Von Wladislaw Sankin
So ein Dialog fand vor wenigen Tagen in einer Sendung eines öffentlich-rechtlichen Senders statt: Der Sprecher A sagte:
"Die Bundeswehr, eine Verteidigungsarmee, plant einen Angriff auf russisches Territorium und es wird dann überlegt, wie das zu kaschieren ist, dass dies nicht groß auffällt ... In dem Moment würden wir die rote Linie überschreiten. Das ist natürlich ein Gedankenspiel, aber natürlich ein wahnsinnig gefährliches Gedankenspiel."
B: "Ich sehe das bisschen anders. Erst mal ist ein Job des Militärs, sich Gedanken zu machen."
A: "Verteidigungsszenarien ist der Job. Aber nicht Angriffsszenarien gegen andere Länder."
B: "Na gut, jetzt verlieren wir uns erst mal in Semantik. Aber es geht schlicht und ergreifend um die Frage, ob diese Front in irgendeiner Form zu halten ist. Also wir können die Ukraine in einer Form unterstützen, dass sie als Land schlicht und ergreifend nicht verschwindet. Das dient durchaus unserer eigenen Verteidigung. Insofern ist dieses vermeintliche Angriffsszenario auch ein Verteidigungsszenario, wenn du so willst."
A: "Der Punkt ist aber, dass es russisches Territorium ist. Es macht einen Unterschied. Das Programmieren der Ziele in Russland ist direktes Angreifen."
Was denkt der Leser, wer könnte denn der Sprecher A sein? Könnte so eine Person wie A überhaupt noch in den Öffentlich-Rechtlichen auftreten? Bei dem Sender sieht er sich selbst eher als Ausnahme, obwohl er den Kanzler, der Taurus-Raketen in die Ukraine nicht liefern will und die Mehrheit der Deutschen, die diese Position unterstützen, an seiner Seite sieht. An anderer Stelle eben jenes Gesprächs wirft er Medienvertretern Ignoranz und Kriegslüsternheit vor:
"Von den Waffenlieferungen, vom Anfang bis Ende, wurden immer Umfragen gemacht. Aber Journalisten sind die Umfragen völlig egal. Wir haben ein Problem mit der öffentlichen und veröffentlichten Meinung. Die veröffentlichte Meinung war bislang immer für jede Form der Waffenlieferung. Das ist ein riesiger, auffälliger Unterschied und das fällt doch den Wählern auf."
Die Namen der beiden Sprecher sind kein Rätsel, der Teaser zum Artikel hat dies schon angedeutet. Beim A handelt es sich um den Philosophen Richard David Precht und B ist ZDF-Moderator Markus Lanz. Das Streitgespräch zwischen den beiden wurde als Podcast am Freitag auf Youtube hochgeladen.
Auf den Vorwurf von Precht, Medien machten einseitige Propaganda für Krieg, geht Lanz nicht einmal ein. Stattdessen wiederholt er sein vorher erwähntes Argument, Taurus könne auch ohne deutsche Beteiligung schießen, so als ob er aus einem Handbuch liest, von dessen Linie man nicht abweichen darf. Und immer wieder – die Ukraine sei "unglaublich" gut, tapfer, gut ausgebildet und westlich, Russland nationalistisch, propagandistisch, brutal, diktatorisch.
Aber warum ist ausgerechnet dieses Gespräch so bemerkenswert? Weil Precht es vermocht hat, Lanz als Vertreter einer militanten Medien-Clique auf seinem eigenen Feld intellektuell zu schlagen und als Propagandisten bloßzustellen. Unaufgeregt, logisch, nachvollziehbar.
Seine Argumente kamen bei den Zuhörern gut an. Da braucht man sich nur die Kommentare anzuschauen. Das Einzige, was Lanz von den Zuhörern zugutegehalten wurde, war nur das, dass er durch seine Teilnahme an dem Gespräch die Aussagen von Precht erst möglich gemacht hat. Es lohnt sich, diese Kommentare genauer anzuschauen. Hier ist eine Auswahl aus mehr als 4.500 ähnlich klingelnden Kommentaren unter dem Video:
"Wenn Herr Lanz seinen Sohn an der Front gehabt hätte, hätte er bestimmt den Vorteil des Vertrags gesehen. Andere kämpfen lassen, ist immer sehr bequem." (zugestimmt: 500)
"Sie werden mir immer sympathischer, Herr Precht. Danke für Ihre ehrliche Meinung und dafür, dass Sie diese Hetze offenbar auch nicht mehr hören können." (322)
"Mit der Auffassung von Lanz steuern wir direkt in den 3. Weltkrieg. Danke für's Dagegenhalten, Herr Precht!" (215)
"Zum Glück ist der Precht noch bei Verstand!" (215)
"Danke Herr Precht! Sie sprechen mir aus der Seele. Besonnenheit, Weitblick, Verantwortung und Verstand." (138)
"Bravo zu Vernunft! Schön eine Stimme zu haben in dieser eintönigen Medienlandschaft! Danke Precht!" (107)
"Hr. Precht, danke für Ihre Vernunft und Ihren Willen zum Frieden!" (98)
"Danke Herr Precht! Herr Lanz, sind Sie wirklich so dermaßen verblendet oder tun Sie es nur so?" (80)
"Der Precht hat echt Nerven wie Stahlseile ... während 'General' Lanz lauter Stuss redet ..." (59)
Was auffällt: Gelobt wird Precht vor allem für seine Vernunft und seinen Verstand. Das ist die gemeinsame Basis zwischen ihm und den Zuhörern, die die Meinung der Mehrheit der Deutschen repräsentieren. Also Precht hat Verstand und die Deutschen – es scheint laut erwähnten Umfragen ja so – mehrheitlich auch. Sie denken an die Zeit nach dem Krieg und ziehen sogar Undenkbares in Erwägung – gemeinsame Sicherheitsarchitektur mit Russland.
Putin: Die Klügeren werden sich Gedanken machen
Was ist das Gegenteil von Vernunft? Wahnsinn. Der Ukraine Taurus-Raketen für Angriffsziele in Russland zu geben, mit dem Argument, damit verteidigen wir uns, ist Wahnsinn. Hören wir nun mal, was der russische Präsident zu der Problematik sagt. Zum ersten Mal hat er sich in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview dazu geäußert.
Zum enthüllten Gespräch der Luftwaffengeneräle mit ihren besten Fachoffizieren sagte Putin:
"Sie fantasieren, stacheln sich an und versuchen uns einzuschüchtern."
Ihre Pläne seien verfassungswidrig:
"Wenn Taurus diesen Teil der Krim-Brücke trifft, der ja auch nach ihren Vorstellungen russisches Territorium ist, dann ist das ein Verstoß gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland."
Damit meinte Putin Paragraf 26 des Grundgesetzes, der lautet:
"Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen."
Dann wies Putin auf die Stimmungen im Deutschen Bundestag und den Druck auf Kanzler Scholz, der sich gegen die Taurus-Lieferungen stellt, hin:
"Das Problem ist, dass die Opposition sich noch aggressiver verhält. Wir verfolgen das sehr genau. Mal schauen, worauf sie sich einigen."
Die westlichen Marschflugkörper würden der Ukraine wenig bringen:
"Aber sie setzen doch britische und US-Raketen ein. Das ändert die Situation auf dem Kampffeld nicht. Sie fügen uns natürlich Schaden zu, das ist offensichtlich. Aber in Wirklichkeit ändert das den Verlauf der Kampfhandlungen nicht. Und die Konsequenzen, die für die gegnerische Seite dann eintreten."
Dann sagte Putin einen Satz, der von den Medien, auch von den russischen, übersehen wurde:
"Es gibt Dinge, über die sie nachdenken müssen. Die Klügeren werden sich Gedanken machen."
Der als germanophil geltende Putin rief deutsche Entscheidungsträger zu Verstand und Vernunft auf. Dabei spricht er mit Precht und seinen Zuhörern mit einer Zunge. Die Sympathie des ZDF-Publikums gegenüber Prechts Argumentation zeigt am eindrücklichsten, dass Russland und Deutschland durchaus eine gemeinsame Basis haben und dass es keine unüberwindbaren Gräben zwischen beiden Ländern gibt. Und das ist die gute Nachricht.
ZDF baut Schranken
Aber es gibt auch die Kehrseite. Trotz Lanz-Blamage bleibt dieser Moderator dem Sender erhalten. Ganz offenbar werden er und seinesgleichen zumindest in absehbarer Zukunft weiterhin in allen großen deutschen Medien ihre Hetze verbreiten dürfen. Das ZDF hat im Bericht des Heute-Journals über das Interview Putins ruhig vorgetragene Aussagen des Präsidenten gegenüber den Deutschen nicht einmal zur Kenntnis genommen. "Putin im Staatsfernsehen: Propaganda vor der Wahl", titelte der Sender.
Die Moderatorin Marietta Slomka leitete ein: "Wer sich tägliche Propaganda im russischen Fernsehen antut, braucht starke Nerven. Putins Lautsprecher machen es gerne wild." Gemeint war sicherlich auch jene bildhafte Darstellung davon, welche Brücken in Deutschland im Gegenzug auf den Angriff der Krim-Brücke zerstört werden könnten.
Dem Sender zufolge herrsche in Putins Reich "Unruhe", die er mit "propagandistischen Botschaften" kaschieren will ... Es macht allerdings wenig Sinn, sich mit dem Unsinn des ZDF-Beitrags an dieser Stelle länger auseinanderzusetzen. Wichtig ist: Was Putin zu den Deutschen gesagt hat, blieb den Zuschauern verborgen.
Und das merken die Menschen. "Ich will mir Putins Propaganda ungeschnitten anhören und meine Meinung selbst bilden", schrieb ein Kommentator dazu. Nun ja, das ZDF lässt genau das aber nicht zu, lieber Zuhörer. Aber ihm bleibt zumindest immer noch ein Precht! Im besagten Podcast redete er teilweise so, dass Lanz ihn sogar der Verbreitung der "russischen Propaganda" verdächtigte.
Warum Precht Hoffnung macht
Dabei ist Precht alles andere als ein Russlandversteher. Er hält zum Beispiel Russland für eine Diktatur und den Westen für "unsere liberale Demokratie". In Grundsatzfragen ist er konform, aber er besitzt das, was Putin, der zu vielen Dingen eine andere Meinung als Precht hat, auch erwartet: Vernunft. Das hat Precht mit seinen bisherigen Vorschlägen und Vorhersagen bewiesen.
Angesichts der NATO-Osterweiterung hat er in den Talkshows noch im Jahr 2014 vor einem Krieg mit Russland gewarnt. Seine Befürchtungen haben sich bewahrheitet. In den ersten Tagen des Ukraine-Krieges hat Precht der Ukraine vorgeschlagen, "sich zu ergeben". Die Ukrainer könnten den Krieg objektiv nicht gewinnen und da der Krieg aus diesem Grund aussichtslos sei, gelte es sinnlose Opfer, also Menschenleben, zu vermeiden, so seine Argumentation.
Nun, nach Hunderttausenden getöteten Soldaten und mehr als zehntausend zivilen Opfern, Zerstörungen, Gebietsverlusten und der zunehmenden Gefahr eines direkten Zusammenstoßes zwischen Russland und den NATO-Ländern, schlägt kein Geringerer als Papst Franziskus Ähnliches vor. Das nennt man Weitsicht. Heute warnt Precht vor der Entstehung neuer Kriegsfelder: "Je mehr der Westen Moldau unterstützt, desto höher wird die Wahrscheinlichkeit eines Krieges. Dann passiert genau das Gleiche, was in der Ukraine passiert ist." Auch warnt er davor, dass der Westen einem erneuten Wettrüsten nicht standhalten werde und wie die UdSSR mit einem Zerfall ende.
Und die Menschen, die Deutschen, stimmen ihm zu Tausenden zu und lassen den russophoben Lanz allein im Regen der Kritik stehen. Das macht Hoffnung. Hoffnung darauf, dass Russland und Deutschland künftig gegenseitige Drohungen sein lassen und zu Gesprächen zurückkehren.
Mehr zum Thema - Auf Kriegsfuß mit den Fakten: Correctiv verbreitet Lügen über das Taurus-Desaster