Von Dawid Narmanija
"Politiker werden (und sollten) ihre Politik nicht auf Meinungsumfragen stützen", sagen die Analysten des European Council on Foreign Relations. Nach einem solchen Zitat kann man nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. So sieht also Demokratie aus.
Es lässt sich kaum ein geeigneteres Beispiel finden, um zu zeigen, dass die europäischen Politiker und die ihnen dienenden Experten sich ihres eigenen Elitismus und ihrer Abgehobenheit vom Volk nicht schämen. Sie seien die Einzigen, die Entscheidungen treffen sollten. Was die Wähler zu bestimmten Themen denken, ist Nebensache. Brüssel und weitere europäische Hauptstädte scheinen beschlossen zu haben, folgende Worte zu ihrem Credo zu machen:
"Warum sollte man den Viehbeständen die Freiheit schenken? Sie sollten geschlachtet oder geschoren werden."
Was hat sie zu dieser Haltung bewegt? Ganz einfach: Die Bevölkerung hat sich an der heiligen Kuh der "zivilisierten Welt", der Ukraine, vergriffen. Es hat sich herausgestellt, dass die Bürger der EU-Mitgliedstaaten nicht mehr an die Fähigkeit Kiews glauben, den Konflikt mit Russland gewinnen zu können. Dies geht zumindest aus den Ergebnissen einer jüngst veröffentlichten Umfrage hervor, die von den Analyseunternehmen YouGov und Datapraxis in zwölf Ländern durchgeführt wurde.
Insgesamt glauben nur zehn Prozent der Befragten an die Fähigkeit Kiews, eine Rückkehr zu den Grenzen von 1991 zu erreichen. Doppelt so viele sind davon überzeugt, dass Russland sich durchsetzen wird. Mit 37 Prozent glauben die meisten Befragten, dass das Ergebnis des Konflikts ein Kompromissabkommen sein wird. Und es scheint unwahrscheinlich, dass sie damit ein Abkommen meinen, bei dem Russland seine wiedererlangten Regionen an Kiew zurückgegeben würde.
Bemerkenswert ist, dass nur in drei Ländern die meisten Befragten an einen Sieg der Ukraine glauben: Schweden, Polen und Portugal. In den Niederlanden, Deutschland, Spanien, Rumänien, Frankreich, Österreich, Italien, Ungarn und Griechenland ist das Bild genau umgekehrt.
Anzuerkennen ist, dass die Befragten im Gegensatz zu den Mitarbeitern der Denkfabrik eine beneidenswerte Rationalität an den Tag legen: 41 Prozent der Befragten halten es für notwendig, Druck auf Kiew auszuüben, um es zu Verhandlungen zu zwingen. Das sind zehn Prozent mehr als die Zahl derer, die sagen, dass die Unterstützung für die Ukraine fortgesetzt werden sollte.
Es gibt aber noch einen weiteren Umstand, der diese Analyse zusätzlich würzt.
Auch wenn die Umfragen erst am Mittwoch veröffentlicht wurden, so wurden sie aber bereits im Januar durchgeführt. Das heißt, noch vor der Befreiung Awdejewkas und Wladimir Putins Interview mit Tucker Carlson. Es scheint, dass die Niederlage der ukrainischen Armee in einer der am stärksten befestigten Gegenden entlang der gesamten Frontlinie die Einschätzung der Konfrontation gelinde gesagt etwas verändert hätte. Und eine freimütige Darlegung der Motive und Russlands Ziele in diesem Konflikt, wie sie im Putin-Interview zu hören ist, hätte sicherlich Einfluss darauf, wie die Europäer den Ausweg aus der Situation sehen. Und in beiden Fällen wären die Veränderungen der Umfrageergebnisse bestimmt nicht im Sinne Brüssels und der politischen Analysten, die versuchen, ihr Handeln zu rechtfertigen.
Erwartungsgemäß setzen die Autoren der Studie ihre Predigt mit der These fort, dass ein Sieg Russlands keinen für die EU akzeptablen Frieden ermöglichen werde. "Wenn der Preis für die Beendigung des Krieges darin besteht, die Ukraine in eine neutrale Zone zu verwandeln, wäre das nicht nur eine Niederlage für Kiew, sondern auch für Europa insgesamt", argumentieren sie.
Dies stellt aber bloß einen weiteren Versuch dar, den einfachen Europäern die Idee einzuflößen, dass ihre Interessen, ob sie es wollen oder nicht, unter die Räder kommen werden, um Kiews prowestliche Ausrichtung zu erhalten.
Übersetzt aus dem Russischen. Ersterscheinung am 22. Februar 2024 bei RIA Nowosti.
Dawid Narmanija ist ein russischer Kolumnist und Blogger.
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