Die Mitgliedstaaten der EU haben sich am Donnerstag überraschend auf neue Finanzhilfen für Kiew in Höhe von 50 Milliarden geeinigt. Bereits anderthalb Stunden nach Beginn eines Sondergipfels in Brüssel verkündete EU-Rats-Präsident Charles Michel die Nachricht: "Wir haben einen Deal!" Damit wurde klar, dass der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán nach monatelangem Streit seinen Widerstand gegen das Hilfspaket aufgegeben hatte.
Etliche Regierungschefs hatten Orbán im Vorfeld eindringlich vor Konsequenzen gewarnt, als sie im Ratsgebäude eintrafen. Man müsse mit Orbáns Verhaltensmuster, immer mehr zu fordern, brechen, verlangte die estnische Ministerpräsidentin Kaja Kallas: "Ich will nicht das Wort Erpressung verwenden", sagte sie, "aber mir fallen keine anderen Worte ein." Sie sprach offen über das Artikel-7-Verfahren, mit dem man Ungarn im äußersten Fall das Stimmrecht entziehen könnte. Das sei "ein Diskussionspunkt". Sie erwähnte auch die hohe Inflation im Land, seine wirtschaftliche Abhängigkeit. "Ungarn braucht Europa", warnte sie. Donald Tusk, der neue polnische Ministerpräsident, sagte, es gebe "keine Ukraine-Müdigkeit, sondern eine Orbán-Müdigkeit".
"Ich kann dieses sehr seltsame und egoistische Spiel von Viktor Orbán nicht verstehen."
Dessen Haltung zur Ukraine sei "eine Bedrohung unserer Sicherheit". Deshalb müsse man auf mittlere Sicht über "klare Konsequenzen" nachdenken, wenn nicht gar über "harte Maßnahmen".
Diskutiert worden war in Brüssel offen darüber, ob man Ungarn den rotierenden Vorsitz im Ministerrat entziehen solle; der ist für das zweite Halbjahr vorgesehen. Und über gezielte Botschaften, um das Vertrauen in die ungarische Wirtschaft zu erschüttern.
Orbán bezeichnete diese Drohungen später als gezielte "Einschüchterung". Es kursierte in diesem Zusammenhang auch ein Ratspapier in Brüssel, wo Schwachpunkte der ungarischen Wirtschaft aufgezeigt wurden.
Über die Finanzhilfen für die Ukraine hätte eigentlich schon bei einem EU-Gipfel im Dezember entschieden werden sollen. Damals hatte Orbán als Einziger sein Veto eingelegt und inhaltliche Vorbehalte geäußert, was seitens der EU als "Erpressungsversuche" dargestellt wurde. Niemand war aber bei dem jüngsten EU-Gipfel bereit, Orbáns Forderungen entgegenzukommen: Jene Finanzmittel, die seinem Land aus Kohäsionsfonds und dem Corona-Wiederaufbaufonds zustehen, die aber wegen angeblicher Rechtsstaatsmängel eingefroren sind, wurden am Ende nicht freigegeben. Auch ein Kompromissvorschlag, wonach die EU die Finanzhilfen für die Ukraine in vier Tranchen hätte aufteilen und Jahr für Jahr neu beschließen müssen, ist nun vom Tisch.
Ab März soll Kiew jetzt eine erste Zahlung erhalten – die Rede ist von 4,5 Milliarden Euro. Es heißt, die Ukraine benötige dieses Geld dringend, um Gehälter, Pensionen und andere laufende Ausgaben decken zu können. Von den 50 Milliarden Euro werden 33 Milliarden am Finanzmarkt aufgenommen und Kiew als Kredit zur Verfügung gestellt – allerdings zinsfrei und mit langer Laufzeit. Die restlichen 17 Milliarden Euro finanzieren die Mitgliedstaaten, wie andere Budgetzahlungen auch, aus ihren nationalen Haushalten. Doch das Geld aus der EU allein wird nicht ausreichen, um die Lücken im Staatshaushalt zu schließen. Selenskij hat den Bedarf nur für dieses Jahr zuletzt auf 34 Milliarden Euro beziffert. Dafür werden weitere Geldgeber einspringen müssen, auch die USA. Dort allerdings blockiert der Kongress weiter die Gelder für die Ukraine.
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