Von Elem Chintsky
Die Regierungsübernahme von Donald Tusk in der polnischen Republik ist gezeichnet von täglichen Erschütterungen der verschiedenen Staatskanäle, die normalerweise gemäßigt bespielt werden sollen, wenn ein Regierungswechsel in einem EU-Mitgliedsland erfolgt. Zum Beispiel die verfassungstreue Neubesetzung all der Medienressorts, die später große Teile der vierten Gewalt – und somit des Diskurses in Polen – bestimmen soll. Die Rede ist hier – und der Kampf tobt um – die regelmäßige und eindrückliche Erreichbarkeit von 40 Prozent des polnischen Volkes mit empfangsbereiten Rundfunkgeräten. Die neoliberale Koalition Tusks aus Linken, Grünen, anpassungsfähigen Zentristen und Liberalkonservativen aber möchte die vermeintlich Diversität fördernde Deutungshoheit in den Staatsmedien so schnell wie möglich an sich reißen. Gern auch über autoritären Druck.
Die Prozesse der letzten zehn Tage, in denen eine regelrecht gehetzte Firmenübernahme des Staatsfernsehens stattfindet, wurden mittlerweile sogar von größeren privaten US-Medien bemerkt und kommentiert. So hatte die sich im Besitz von Rupert Murdoch befindende New York Post darauf hingewiesen, dass diese autoritären Tendenzen, denen sich die polnische Zivilgesellschaft indessen ausgesetzt sieht, auf eine wichtige Tatsache zurückzuführen sind: Geradezu die Hälfte der 20 größten polnischen Unternehmen in Polen sind in Staatshand. Über die Hälfte der Angestellten in diesen Unternehmen werden vom Staat gestellt. Somit hat der polnische Staat einen signifikanten und direkten Anspruch und Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt. Daraus folgt, dass wenn ein Regierungswechsel zwischen zwei sich allzu feindlich gegenüberstehenden politischen Organisationen stattfindet, die hysterisch eingeleiteten Säuberungsaktionen der neuen politischen Elite Aufmerksamkeit erregen können – da es um eine üppige Ansammlung von Kapital, Vermögen und Eigentum geht, das nicht aus der Staatshand entgleiten soll.
Umso mehr gilt das für ohnehin staatliche beziehungsweise öffentliche Medieneinrichtungen. Tusks neues Führungskollektiv möchte dort alle ideologischen "Artefakte" der PiS – in Form nicht auf Linie stehender Angestellter – so rasch wie möglich ausmerzen. Ähnliches tat natürlich auch die PiS ab dem Jahr 2005 und noch einmal ab dem Jahr 2015 – beide Male eine neue Regierungsperiode beginnend – was zu seiner Zeit auf enorme Kritik, Sanktionen und Empörung aus Brüssel und Berlin traf. Heute sind diese kritischen Stimmen aus dem neoliberalen Staatsfunk und der NATO-Presselandschaft in Deutschland, oder deren Kollegen in der US-Domäne – also der New York Times oder der Washington Post, zum Beispiel – nicht mehr zu hören. Die Zeit, der Tagesspiegel und die Süddeutsche Zeitung haben einzig und allein Lob für Donald Tusk übrig, den sie als Hoffnung der EU ausrufen.
Nachdem am 20. Dezember 2023 der staatliche TV-Nachrichtensender TVP INFO von der neuen Regierung schlicht ausgeschaltet wurde, sprach stattdessen die aus Warschau berichtende Associated Press (AP) davon, wie "die Tusk-Regierung die Medienfreiheit wiederherstellt". Die AP zitierte auch den PiS-Chef Kaczyński, der im Gegenzug lamentierte, dass es "keine Demokratie ohne Pluralismus und starke, regierungsfeindliche Medien" gebe. Müsste dieses Prinzip also auch für "regierungsfeindliche Medien" gelten, die während der PiS-Regierungen sanktioniert und behindert wurden? So war es mit dem polnischen TV-Sender TVN, der seit seinem Sendebeginn 1997 in den Händen privater US-genehmer Mediengiganten war und mit neoliberal-progressiver Agenda Programm machte. Bevor der Sender 2022 unter die volle Kontrolle von Warner Bros. Discovery geriet, war dieser schon seit mindestens 2015 unter Kontrolle von US-Kapital. Der Co-Gründer von TVN, Jan Wejchert, war in der polnischen Umbruchszeit um das Jahr 1991 ein ideologischer Zögling des russophoben, einflussreichen Neoliberalen und ehemaligen US-Sicherheitsberaters Zbigniew Brzeziński.
So gab es auch beim privaten TVN (genauer: deren Nachrichtensender TVN24) – den ein großer Teil polnischer Medienkonsumenten tatsächlich als unvoreingenommen und neutral bezeichnen würde – keine Kritik gegenüber der autoritären Handhabe Tusks bei der hastigen Säuberung des polnischen Staatsrundfunks. Das Framing und die Rhetorik erinnerten eher an die Auslegungsart der AP. So zitierte TVN24 die polnische "Gesellschaft der Journalisten" bei der Einschätzung der Situation im besetzten Hauptquartier des polnischen Staatsfernsehens (TVP) folgendermaßen:
"Die Tatsache, dass TVP an Feiertagen sendet, ist normal, aber die Tatsache, dass Politiker in dieser Zeit den Sitz des Senders besetzen, ein abgewirtschafteter Aufsichtsrat einen neuen Präsidenten ernennt und der Nationale Medienrat seine Sitzung einberuft, ist sicherlich nicht normal. Es handelt sich um einen Putsch einer unterlegenen Macht zur Verteidigung ihres Propaganda-Apparats."
Es geht richtigerweise darum, "wer" den Propaganda-Apparat beherrscht – nicht darum, ob es sich um einen Propaganda-Apparat handelt.
Man kann aber auch nicht behaupten, dass die anklagende Argumentation der polnischen "Gesellschaft der Journalisten" vollkommen unbegründet ist. Sie erläutern weiter:
"Die öffentlich-rechtlichen Medien werden entweder unsere sein oder niemandem gehören – sagen, und handeln danach, die Politiker von Recht und Gerechtigkeit [PiS]. Indem der Präsident die Regierung erpresst hat, indem er die Erhöhung der Lehrergehälter und den Haushalt nicht absegnete, hat er die Besetzung der öffentlichen Medien durch die PiS unterstützt. Diese Besetzung und die Rebellion eines Teils der TVP-Leitung gegen die neuen Machthaber ihres Unternehmens haben dazu geführt, dass das Signal von TVP INFO abgeschaltet wurde und die tägliche Nachrichtensendung '19:30' in einem provisorischen Studio bearbeitet und von außerhalb des TVP gesendet wird."
Es ist eine Pattsituation, in der beide Seiten gleich viel Verantwortung tragen. In einem Satz: Es geht immer um die Errichtung eines "selektiven Pluralismus" – also einer erlogenen, falschen und unaufrichtigen Vielfalt. Decken tut man sich mit der Behauptung, einen wahrhaftigen Pluralismus und authentische Objektivität zu gewährleisten. Dieses Spiel ist auch die gegenwärtige Devise des gesamten europäischen Zeitgeistes unter der Pax Americana und ihrem verstümmelten Juniorpartner, der EU und ihrer Kommission.
Hier entschleiert sich ein Modus Operandi, der, wenn einmal verinnerlicht, den ganzen politischen Diskurs in Polen wuchtig als zynische Methodik bloßstellt – nicht lediglich vorsichtig entkleidet. Im vorher genannten Kommuniqué der AP heißt es weiter: "Die Regierung Tusk hat es sich zur Priorität gemacht, die Objektivität und Meinungsfreiheit in den staatlichen Medien wiederherzustellen, die unter der vorherigen PiS-geführten Regierung aggressive Propagandamittel eingesetzt haben, um Tusk und die Opposition anzugreifen und euroskeptische Ansichten zu verbreiten."
Bei aller Skepsis gegenüber der Unvoreingenommenheit der empörten PiS-Akteure, nimmt sich die AP heraus, zu behaupten, dass eine ideologisch konkret definierte und eingefärbte Tusk-Regierung die Instanz sein müsse, die unilateral für "Objektivität" sorgen könne. Selbst die polnische Gesellschaft der Journalisten sprach von "neuen Machthabern", die man zu akzeptieren habe. Manch einer könnte meinen, dass so viel Großzügigkeit seitens der AP gegenüber Tusk einen eigenen Mangel an Objektivität entblößt.
Es gab aber am 19. Dezember eine parlamentarische Abstimmung zu der Tusker "Resolution zur Wiederherstellung der Rechtsordnung sowie der Unparteilichkeit und Integrität der öffentlichen Medien und der Polnischen Presseagentur" – 244 stimmten dafür, 84 dagegen, während sich 16 enthielten. Während der PiS-nahe Staatspräsident Andrzej Duda das Gesetzespapier kritisierte.
Das konservativ-libertäre US-Blatt The American Spectator ging in seiner Kritik an der neuen polnischen Regierung sogar noch weiter und verglich die heutigen Resort-Säuberungen von oben nach unten mit dem Kriegsrecht in der Volksrepublik Polen ab 1981. So hieß es im Artikel wortwörtlich:
"Die Polizei stürmte das Gebäude, in dem Journalisten und Politiker der Partei Recht und Gerechtigkeit [PiS] gegen die am Vortag erfolgten Massenentlassungen bei TVP, Polskie Radio und der Polnischen Presseagentur protestierten." Dieser Protest läuft sogar noch.
Das Fazit des US-Mediums war wenig optimistisch:
"Es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis wir genau wissen, was sich in der chaotischen TVP-Zentrale abgespielt hat, aber mit dem, was man als 'Rechtsstaatlichkeit' bezeichnen könnte, hatte es sicher nichts zu tun. Es ist das jüngste Signal dafür, dass die liberalen Akteure, die die neue Regierung leiten – obwohl sie weit davon entfernt sind, ein Wahlmandat zu haben – bei der Umgestaltung des Landes keine Geduld aufbringen werden."
Berlin und Warschau im Vergleich
Die halbwegs gute Nachricht ist, dass die polnische Politik-Landschaft noch nicht auf einem so flachen Level gleichgeschaltet ist wie in der Bundesrepublik Deutschland. Ja, die Ampelregierung unterscheidet sich kosmetisch von den Großen Koalitionen unter Angela Merkel, aber letztendlich ist es immer noch derselbe "politische Pfeil", der einst im Jahr 2005 (manche würden sagen, im Jahr 1998, oder sogar 1990) abgeschossen wurde – und heute sogar rascher flitzt als einst. Es bedarf aber heutzutage nicht viel, "weniger gleichgeschaltet zu sein" als die BRD. Zu Ende gedacht ist es dann doch nur ein schwacher Trost. Um in Deutschland einen Aufsehen erregenden Elitenkampf polnischer Größenordnung zu erleben, müsste die AfD zu einer voll operativen Volkspartei heranwachsen. Das dauert aber noch ein paar Jahre.
Und selbst wenn — dringt man nämlich in die politische Realität Polens tief genug ein, stößt man unter dem harten "Erz der Spaltung" auch dort auf eine fluide Schicht der Gleichschaltung – nämlich in Sachen NATO und EU. Darauf ist nach wie vor Verlass. Und die sogenannte "Euroskepsis" der PiS, unter der Brüssel und Berlin in den letzten Jahren so gelitten haben, stellte ein eigenes kleines Theater dar.
Außerdem geht es der Tusk-Regierung nicht darum, die Staatsmedien, welche PiS im Jahr 2016 noch verbindlicher an den Staat koppelte, wieder "freier" und "objektiver" zu machen, erneut vom Staat zu "entbinden" und auf dem immergrünen "Markt der Ideen" freizügig schlendern zu lassen. Es geht vielmehr darum, auf der fleißigen Arbeit der PiS weiter aufzubauen und auf deren autoritären Mühen zur institutionellen Konsolidierung neue, eigene diskursive Erfolge zu feiern. Indem man nämlich – wie aus der derzeitigen Gehässigkeit ersichtlich – die in den letzten acht PiS-Jahren enger geschnürten und ausgeweiteten Systemstrukturen etwas zu eilig unter die eigene ideologische Kontrolle zu bringen versucht. Dieses Tandem ist entscheidend – wie beim vorher erwähnten BIP generell, so auch konkret bei den Staatsmedien.
Deshalb sollten sich die jetzige PiS-Opposition von Kaczyński und die neue Tusker Regierungskoalition auch zu "Pest und Cholera" umbenennen – das würde gegenüber der Perspektive eines polnischen Bürgers um Längen aufrichtiger und transparenter erscheinen.
Elem Chintsky ist ein deutsch-polnischer Journalist, der zu geopolitischen, historischen, finanziellen und kulturellen Themen schreibt. Die fruchtbare Zusammenarbeit mit RT DE besteht seit 2017. Seit Anfang 2020 lebt und arbeitet der freischaffende Autor im russischen Sankt Petersburg. Der ursprünglich als Filmregisseur und Drehbuchautor ausgebildete Chintsky betreibt außerdem einen eigenen Kanal auf Telegram, auf dem man noch mehr von ihm lesen kann.
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