Während EU-Beitrittsverhandlungen für Ukraine: Scholz schickt Orbán Kaffeetrinken

Am Donnerstag hat die EU für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Kiew gestimmt. Kanzler Scholz soll dem ungarischen Premier Orbán nahegelegt haben, den Saal kurz zu verlassen, um ein einstimmiges Votum zu ermöglichen. Der Kreml spricht von einer "einzigartigen Praxis".

Während der Beratungen der Staats- und Regierungschef der Europäischen Union über die Beitrittsverhandlungen für die Ukraine hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán den Sitzungssaal verlassen. Wie die Zeitung Politico am Freitag berichtete, habe Bundeskanzler Olaf Scholz seinen ungarischen Amtskollegen darum gebeten. "Gönnen Sie sich vielleicht draußen einen Kaffee", soll Scholz gesagt haben.

Die übrigen 26 Regierungschefs beschlossen daraufhin einstimmig die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine. Wenn ein Regierungschef fehlt, spricht laut Reglement nichts dagegen.

Der Schritt des Bundeskanzlers habe für Verwunderung gesorgt, so Politico. EU-Beamte und Diplomaten, die bei dem Treffen am Donnerstag anwesend waren, seien sich nicht sicher gewesen, ob der von Scholz verwendete Schritt jemals in Brüssel angewendet worden sei. Die Idee, dass ein EU-Staatschef den Raum verlassen muss, damit eine einstimmige Entscheidung getroffen werden kann, sei sehr ungewöhnlich gewesen. Ein Beamter sagte der Zeitung, Scholz habe auf einen "alten Trick" aus seiner Zeit bei den Jungsozialisten zurückgegriffen. Gemeint war die Jugendorganisation der SPD, deren stellvertretender Vorsitzender der heutige Bundeskanzler in den 1980er-Jahren war.

Eine weitere Quelle der Zeitung erklärte, Orbáns Position sei bereits am Donnerstagmorgen ins Wanken geraten, als er an einem Frühstück mit Scholz sowie dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, EU-Ratspräsident Charles Michel und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen teilnahm. Orbán habe keine plausiblen Argumente gegen Verhandlungen mit der Ukraine vorbringen können, so die Quelle. Später beim Gipfel hätten die 26 EU-Regierungschefs allen Argumente des ungarischen Premiers widersprochen. Scholz sei mit seinem Vorschlag zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Dieser sei sehr passend gewesen, zitiert Politico einen EU-Diplomaten.

Nach der Bekanntgabe der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen schrieb Orbán auf Facebook, dass Ungarn mit dieser Entscheidung nichts zu tun haben wolle. Er kritisierte: "Es ist eine völlig unsinnige, irrationale und falsche Entscheidung, unter diesen Umständen Verhandlungen mit der Ukraine aufzunehmen." Wenige Stunden später blockierte er die Einigung auf neue Finanzhilfen für die Ukraine. Geplant waren insgesamt 50 Milliarden Euro für die nächsten vier Jahre. Im Januar wollen die EU-Regierungschefs bei einem weiteren Treffen versuchen, doch noch eine Einigung zu erzielen.

Dmitri Peskow, der Pressesprecher des russischen Präsidenten, zeigte sich überrascht. "Das geht uns nichts an, aber wir lesen mit großem Interesse verschiedene Medienberichte über die Praxis, in der EU unterschiedliche Entscheidungen zu treffen, während man darauf wartet, dass jemand Kaffee holt, um Entscheidungen in Abwesenheit von jemandem durchzusetzen. Wenn das der Realität entspricht, dann ist das eine einzigartige Praxis", sagte Peskow. 

"Ich möchte Sie an die gestrigen Worte des Präsidenten erinnern: Denken Sie nicht, dass Ungarn und eine Reihe anderer Länder, die ihre Interessen verteidigen, pro-russisch sind. Sie sind keineswegs prorussisch. Sie sind nur selbstbewusst und unabhängig genug, um ihre eigenen Interessen zu verteidigen."

Ungarn sei ein souveränes Land, habe eigene Interessen und verteidige diese im Gegensatz zu vielen europäischen Ländern. Moskau sei von dieser Haltung beeindruckt.

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