Die EU beansprucht eine stärkere Rolle bei der Beendigung des Gaza-Konflikts. Sie möchte die Nachkriegsordnung mitgestalten - nicht ohne Eigeninteresse.
Der Anspruch ist gleich in doppelter Hinsicht schwierig. Zum einen wird er von der deutschen Haltung einer bedingungslosen Unterstützung Israels durchkreuzt. Zum anderen bleibt die EU ihrem Konzept der Belehrung und des "Werteexports" treu, wie die Verurteilung des Irans im Namen von Josep Borrell am Mittwoch im EU-Parlament deutlich macht. Zudem bemühen sich die BRICS um Vermittlung im Nahost-Konflikt. Sowohl China als auch Russland genießen das Vertrauen islamischer Staaten und binden ihre Bemühungen nicht an Bedingungen. Aufgrund seiner Geschichte ist die Solidarität Südafrikas mit Palästina besonders ausgeprägt. Das Land hatte lange ein ähnliches Apartheitsregime zu erdulden wie die Palästinenser. Südafrika konnte sich davon erst 1992 befreien.
"Wir Europäer" müssten schon "aus Eigeninteresse" künftig eine Schlüsselrolle im Nahen Osten spielen, zitiert der außenpolitische Blog German-Foreign-Policy den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell. Davon werde "ein bedeutender Teil der künftigen globalen Rolle der EU abhängen".
Trotz des Anspruchs trat die Vizepräsidentin für Demokratie und Demografie, Dubravka Šuica, im Namen Josep Borrells am Mittwoch im EU-Parlament gegenüber dem Iran fordernd und konfrontativ auf. Sie sagte:
"Die Europäische Union ist besorgt über die anhaltende fortschreitende Verschlechterung der Menschenrechte im Iran. Unterdrückung und Einschüchterung gehen in erschreckender Weise weiter, insbesondere gegen Frauen. Wir sind auch besorgt über das aktuelle Tempo der Hinrichtungen im Land. Inoffiziellen Schätzungen zufolge wurden seit Januar mindestens 550 Personen hingerichtet."
Einer Kooperation und einer Vermittlerfunktion steht die einseitige Parteinahme der EU entgegen.
Aber noch mehr durchkreuzt werden die Pläne der EU nicht von den eigenen Doppelstandards, sondern von Deutschlands Festhalten an der bedingungslosen Unterstützung Israels. Deutsche Politik verschließt die Augen vor den israelischen Kriegsverbrechen. Dem deutschen Staatssender Deutsche Welle (dw) sagte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) mit Blick auf den Überfall Israels auf Gaza, "es ist nicht Aufgabe der Politik, die Waffen zum Schweigen zu bringen".
Auch Bundeskanzler Scholz ließ sich Ende Oktober mit der Bemerkung zitieren, er zweifele nicht daran, dass Israel das Völkerrecht einhalte. Deutschland lehnte einen Waffenstillstand ab. Baerbock irritierte mit der Aussage, bei einem Waffenstillstand, werde Israel weiter von der Hamas beschossen.
"Waffenstillstand hieße ja, dass Israel mit der Hamas darüber verhandeln muss, dass man sich jetzt nicht mehr gegenseitig beschießt. Und das würde bedeuten, dass Israel sich unter dem andauernden Raketenterror nicht verteidigen könnte."
Deutschland setzt wie schon in der Ukraine auch im Gaza-Konflikt auf eine militärische Lösung. Die Ukraine soll zu einem Sieg über Russland befähigt werden, Israel ist berechtigt, die Hamas mit militärischen Mitteln zu vernichten. Der Suche nach diplomatischen Lösungen verweigert sich Deutschland.
Aufgrund dieser Haltung droht nicht nur Deutschland, sondern auch der EU ein massiver Ansehensverlust in den arabischen Ländern.
Deutschland ist mit dieser radikalen Position weitgehend isoliert. In diesem Fall kann auch nicht geltend gemacht werden, dass Deutschland den Vorgaben aus den USA folgt. Die USA haben im UN-Sicherheitsrat mit ihrem Verzicht auf ein Veto eine Resolution möglich gemacht, in der Feuerpausen und Rückkehr zum humanitären Völkerrecht gefordert werden.
Angesichts dessen hat der Anspruch der EU auf Einfluss in Nahost wenig Aussicht auf Umsetzung in der Realität. Deutschland ist dabei das größte Hindernis.
Die BRICS haben auf ihrem virtuellen Gipfel am Dienstag Israels Vorgehen offen kritisiert. Russlands Präsident Wladimir Putin schlug vor, die BRICS könnten künftig bei Vermittlungen in Konflikten eine stärkere Rolle spielen. Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa warf Israel Kriegsverbrechen vor. Dennoch haben die Bemühungen der BRICS Aussichten auf Erfolg, denn die Beziehungen zu den arabischen Ländern sind inzwischen stabiler als die der EU. Zudem verzichten die BRICS auf die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten und messen mit dem Maß des Völkerrechts und nicht mit doppelten Standards.
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