Die EU-Kommission informierte in einer Presseerklärung, warum sie am Donnerstag ohne die Mitgliedsländer über eine Verlängerung der Zulassung für das umstrittene Pestizid Glyphosat entschieden habe. Nach EU-Richtlinien müsse die Kommission dann ohne die Mitgliedsländer entscheiden, wenn bei der Abstimmung der Mitgliedsländer keine "qualifizierte Mehrheit" zustande gekommen sei.
So begann die Meldung der EU-Kommission auch mit der Feststellung: "Bei der heutigen Abstimmung im Berufungsausschuss erreichten die Mitgliedsstaaten nicht die erforderliche qualifizierte Mehrheit für die Verlängerung oder Ablehnung der Zulassung von Glyphosat." Daher sei die Kommission verpflichtet gewesen, "im Einklang mit den EU-Rechtsvorschriften und in Ermangelung der erforderlichen Mehrheit in beiden Richtungen" vor Ablauf der Zulassungsfrist am 15. Dezember 2023 "eine Entscheidung zu treffen."
Infolgedessen würde die Kommission am Donnerstag "auf der Grundlage umfassender Sicherheitsbewertungen" (…) "die Zulassung von Glyphosat für einen Zeitraum von zehn Jahren verlängern". Die Sicherheit des Pestizids sei vor der Zulassung von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zusammen mit den EU-Mitgliedsstaaten bewertet worden.
Bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) sei man "überrascht", wie schnell die Kommission Fakten schaffe, wenn die Mitgliedsstaaten nicht entscheiden würden, hieß es in dem Bericht von Donnerstag, wenngleich eine Mehrheit der Staaten für den im September gemachten Vorschlag der Kommission gestimmt habe, die am 15. Dezember auslaufende Zulassung für Glyphosat um zehn Jahre zu verlängern.
Bei der Abstimmung der Mitgliedsstaaten hätten die als Zulassungs-Befürworter aufgetretenen Länder aber nicht die notwendige Mehrheit von mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert – ebenso wenig hätten die Staaten, die die Zulassung ablehnten, den erforderlichen Prozentsatz von mindestens 55 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten. Deshalb habe die EU-Kommission selbst entscheiden müssen.
Die Zulassungsverlängerung habe die Kommission aufgrund der positiven Glyphosat-Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) erteilt. Demnach habe die EFSA "viele Tausend Studien und wissenschaftliche Artikel" ausgewertet. Schon im September hätten Kommissionsbeamte laut FAZ betont: "Wenn es Zweifel an der Sicherheit gegeben hätte, hätte die Kommission keine Verlängerung vorgeschlagen."
FAZ: Nationalstaaten müssen der EU-Entscheidung folgen
Bei der geplatzten Entscheidung der Mitgliedsländer habe sich Deutschland bei der Abstimmung enthalten. Insofern konnten die rund 80 Millionen Bundesbürger weder auf der einen noch auf der anderen Seite der notwendigen Bevölkerungsprozente verbucht werden, um damit eine Entscheidung durch die Mitgliedsländer selbst zu ermöglichen.
Nun bringe die Zulassungsverlängerung von Glyphosat die Bundesregierung "in eine schwierige Lage", kommentierte die FAZ das mutmaßlich neue Ampelproblem. In ihrem Koalitionsvertrag hätten SPD, Grüne und FDP "eigentlich vereinbart", Glyphosat bis Ende des Jahres vom Markt zu nehmen. Da aber das EU-Recht dem FAZ-Artikel zufolge in dieser Frage keine nationalen Alleingänge erlaube, müsse Deutschland das Pestizid jetzt ebenfalls für weitere zehn Jahre zulassen. "Das EU-Recht erlaubt in dieser Frage allerdings keine nationalen Alleingänge", ist dazu in der FAZ zu lesen.
In der Glyphosat-Frage erlaubt EU nationale Alleingänge
Im Gegensatz zur Interpretation der FAZ, hieß es aber in der Presseerklärung der EU-Kommission ausdrücklich, dass die einzelnen Mitgliedsstaaten auch weiterhin auf nationaler Ebene für die Zulassung und Einschränkung von Glyphosat zuständig seien:
"Die Mitgliedsstaaten sind für die nationale Zulassung glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel (PSM) zuständig und können deren Verwendung weiterhin auf nationaler und regionaler Ebene einschränken, wenn sie dies aufgrund der Ergebnisse von Risikobewertungen für erforderlich halten, wobei sie insbesondere die Notwendigkeit des Schutzes der biologischen Vielfalt berücksichtigen."
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