Italiens Ministerpräsidentin, Giorgia Meloni, und Albaniens Ministerpräsident, Edi Rama, haben eine Absichtserklärung bezüglich des Umgangs mit Mittelmeermigranten geschlossen. Das Abkommen sieht vor, dass Personen, die mit staatlichen italienischen Schiffen von Afrika über das Mittelmeer gelangen, künftig direkt nach Albanien gebracht werden. Ausgenommen seien Minderjährige, schwangere Frauen oder andere schutzbedürftige Personen.
"Wir wollen im nächsten Frühjahr betriebsbereit sein", sagte Meloni bei einer Pressekonferenz mit Rama am Montagabend. In den nordalbanischen Gebieten Shëngjin und Gjadër sollen die Migranten dann unter italienischer Gerichtsbarkeit einen Asylantrag stellen können. Italienische Beamte sollen die Ausschiffung und die Identifizierungsverfahren abwickeln und ein erstes Aufnahme- und Kontrollzentrum einrichten. Für die Sicherheit und die externe Überwachung der Strukturen werde die albanische Polizei zuständig sein, heißt es. Jährlich sollen so zwischen 3.000 und 36.000 Antragsteller abgefertigt werden können.
Albanien sei zwar formell noch nicht Mitglied der Europäischen Union, verhalte sich aber de facto so, lobte Meloni das Balkanland. "Das ist einer der Gründe, warum ich stolz darauf bin, dass Italien immer einer der größten Befürworter des Beitritts Albaniens und des westlichen Balkans zur Union war."
Die Vereinbarung zwischen Italien und Albanien könnte ein Modell für die Zusammenarbeit zwischen EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern bei der Steuerung der Migrationsströme werden, fügte Meloni hinzu. Sie hoffe außerdem, dass die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Zusammenarbeit mit Albanien durch dieses Abkommen weiter bereichert werde.
Melonis albanischer Amtskollege Rama kommentierte das Abkommen mit den Worten, Albanien habe eine lange Geschichte der Gastfreundschaft. So habe man über eine halbe Million Kriegsflüchtlinge aus dem Kosovo aufgenommen und später tausenden afghanischen Frauen und Iranern Zuflucht gewährt. Möglicherweise wird sich Meloni im Gegenzug für die Hilfe Albaniens für den EU-Beitritt des Landes einsetzen. Die Ministerpräsidentin hatte in der Vergangenheit versprochen, hart gegen die Migration nach Italien vorzugehen. Seit Anfang des Jahres erreichten dennoch über 145.000 Migranten das italienische Festland. Im Vorjahreszeitraum waren es rund 88.000. Im Interview mit der italienischen Zeitung La Stampa sagte Rama, er sei nicht an Geld interessiert.
Opposition: "Italienisches Guantánamo"
Sowohl in Italien als auch in Albanien wurde die Absichtserklärung teils scharf kritisiert. Belind Kellici, Mitglied im Präsidium der oppositionellen Demokratischen Partei, sagte, das Abkommen sei "ohne parlamentarische Diskussion" und "politischen Konsens" getroffen worden, er sprach von "Verrat an Albanien". Jedes Jahr verließen laut Kellici tausende junge Menschen das Land, während Rama sie durch "illegale Einwanderer" ersetze.
Der Analyst Lutfi Dervishi kommentierte, Rama wolle Albanien in ein "Zentrum für illegale Immigranten in Europa" verwandeln, sodass sich das Land künftig auch mit "afrikanischen und asiatischen Migranten auf ihrem Weg nach Italien" auseinandersetzen müsse. Ebenso wurde kritisiert, dass bislang völlig offen sei, wie die möglichen Rückführungen aus Albanien infolge abgelehnter Asylanträge erfolgen sollen, solange keine entsprechenden bilateralen Abkommen bestehen.
Pierfrancesco Majorino von der Demokratischen Partei Italiens kritisierte Melonis Abkommen als "gefährliches Durcheinander". Ricardo Magi, Sekretär der liberalen Partei "Più Europa", sprach von der Schaffung eines "italienischen Guantánamo", das nicht den internationalen Standards und der EU entspreche. Auch die sozialdemokratische Oppositionspolitikerin Elly Schlein sagte, Meloni verstoße gegen internationales und europäisches Recht. Die EU-Kommission ließ unterdessen mitteilen, dass sie über das Abkommen informiert sei. Einzelheiten würden ihr nicht vorliegen, das Abkommen müsse aber das "EU-Recht und das internationale Recht in vollem Umfang respektieren."
Mehr zum Thema – Nach Scherzanruf aus Moskau: Opposition kritisiert italienische Premierministerin