Regierungsbildung in Polen: Opposition trotz Stimmenmehrheit noch nicht am Ziel

Trotz der Stimmenmehrheit des Oppositionsblocks ist der Machtkampf zwischen ihm und der rechtskonservativen PiS um die Regierungsbildung in Polen noch nicht entschieden. Experten zufolge setzt die PiS alles daran, den Weg in die Opposition zu verhindern und sucht daher dringend die für die Koalition noch benötigten Stimmen.

Von Maria Fedorowa und Alex Männer

Knapp drei Wochen nach den Parlamentswahlen in Polen bleibt die Bildung einer neuen Regierung weiterhin problematisch. So ist die Frage nach wie vor nicht geklärt, ob die Regierungspartei von Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, "Recht und Gerechtigkeit" (PiS), oder der von Ex-Premier Donald Tusk angeführte Oppositionsblock "Bürgerkoalition" die neue Regierung des Landes bilden wird.

Bei der Abstimmung am 15. Oktober war die PiS mit mehr als 35 Prozent der Stimmen zwar als die stärkste politische Kraft hervorgegangen, die besseren Aussichten auf eine Mehrheitsregierung haben jedoch die Parteien "Bürgerplattform", die "Vereinigte Linke" und der "Dritte Weg", die als Oppositionsvereinigung "Bürgerkoalition" knapp 54 Prozent der Stimmen auf sich vereinen konnten.

Gemäß der Verfassung muss nun der polnische Präsident Andrzej Duda darüber entscheiden, wem er die Regierungsbildung anvertraut. Laut Meinungsumfragen sprechen sich rund 40 Prozent der Polen für den rechtsliberalen Tusk aus, 30 Prozent wollen dagegen, dass der rechtsnationale Morawiecki weiterhin Regierungschef bleibt.

Indes hat Tusk bereits erklärt, dass die Mitglieder seines Oppositionsblocks zu Verhandlungen über einen Koalitionsvertrag bereit seien. Sollte er an die Macht kommen, dann werde sich Polen deutlich stärker an die Europäische Union binden, vor allem im Hinblick auf die Institutionen und die Werte der Gemeinschaft. Innenpolitisch könnte es aber zum Machtkampf zwischen der Regierung und dem Präsidenten kommen, wie es in den Jahren 2007 bis 2010 bereits der Fall war. Damals war Tusk Regierungschef, den Posten des Präsidenten hatte jedoch der rechtskonservative Lech Kaczyński von der PiS inne, was dazu führte, dass viele Initiativen der Rechtsliberalen blockiert wurden. Inzwischen verweisen immer mehr Beobachter darauf, dass sich diese Situation heute durchaus wiederholen könnte.

Zuerst aber bleibt abzuwarten, wie stabil die Tusk-Regierung – sollte sie, wie erwartet, zustande kommen –  überhaupt sein wird, angesichts so mancher Differenzen, die zwischen den einzelnen Oppositionsparteien bestehen. Diesbezüglich äußert der polnische Experte und Aktivist der linken Bewegung, Jakub Janek, die Ansicht, dass ihre derzeit missliche Lage sich für die PiS perspektivisch sogar zu einem Vorteil entwickeln könnte. Zum einen hätten die drei Oppositionsparteien zu unterschiedliche Auffassungen bei ideologischen und gesellschaftlichen Fragen, etwa der Legalisierung von Abtreibungen oder religiösen Aspekten. Am deutlichsten zeigten sich diese Unterschiede bei der Vereinigten Linken und dem Dritten Weg – diese Parteien könnten nur in geopolitischen Fragen, wie zum Beispiel der Politik gegenüber der EU, den USA und der Ukraine, eine Einigung erzielen, so Janek.

Zum anderen würde die Opposition viele Probleme übernehmen, die die jetzige Regierung nicht lösen konnte und die Tusk und Co. zusätzlich schwächen könnten. Die größte dieser Herausforderungen ist dem Experten zufolge die hohe Inflation. Je schmerzhafter die Folgen des Preisanstiegs werden, umso leichter könnte die PiS die Regierungskoalition unter Druck setzen. Im Gegenzug könnten sich die Rechtskonservativen als ein Stabilisierungsfaktor für das Land darstellen.

Ungeachtet dessen setzt die PiS, die eine gemeinsame Regierung mit Tusk übrigens ausschließt, alles daran, den Weg in die Opposition zu verhindern und sucht daher dringend die für die Regierungsbildung noch benötigten Stimmen. Dazu schreibt die Zeitung Rzeczpospolita, dass die PiS ihren "Kampf" gegen die Opposition selbst gern mit dem Schicksal der sogenannten "verstoßenen Soldaten" (poln. Żołnierze wyklęci) vergleicht – einer Widerstandsgruppe der polnischen antikommunistischen Untergrundbewegung, die in der Nachkriegszeit gegen das kommunistische System gekämpft hatte, aber in der nachfolgenden Volksrepublik Polen politisch verstoßen wurde. Demnach versucht die PiS, die Gesellschaft noch stärker zu radikalisieren, indem sie sich als Opfer einer "mächtigen Verschwörung von liberalen und linken Kreisen" darstellt, die "aus dem Ausland finanziert wird" und Polen seiner "Freiheit und Souveränität" berauben und es den Interessen seiner "Feinde" unterwerfen soll.

So gesehen ist der Machtkampf zwischen der PiS und der Bürgerkoalition auch angesichts der Stimmenmehrheit der Opposition noch nicht entschieden. Wer am Ende die neue Regierung bilden und somit die politische Entwicklung Polens in den kommenden vier Jahren bestimmen darf, soll auf der Parlamentssitzung am 13. November entschieden werden.

Mehr zum Thema - Polens Aufgabe innerhalb der EU: Störenfried im Dienste der USA