Der ehemalige griechische Finanzminister hat sich in einem Interview, das unter anderem von der Plattform TikTok verbreitet wird, mehr als deutlich über das inexistente internationale Gewicht der Europäischen Union und ihres heutigen Spitzenpersonals geäußert. Sein Fazit lautet wenig diplomatisch:
"Europa ist am Ende (Europe is over)."
Der linksliberale Wirtschaftsexperte war unter Alexis Tsipras als Finanzminister während der Euro- beziehungsweise Bankenkrise für die Verhandlungen mit der EU zuständig und hatte die äußerst herablassende, demütigende Behandlung durch die Brüsseler Bürokraten und auch deutsche Politiker wie Wolfgang Schäuble öffentlich gemacht. Nun kommentiert er den aktuellen Zustand der EU mit drastischen Worten.
Varoufakis stellt in dem Interview ein Gedankenexperiment an: Was wäre, wenn es schon morgen Friedensverhandlungen über den Ukraine-Konflikt gäbe? Wer würde an dem "Riesentisch" sitzen, der unter der Ägide der UNO "in Genf" oder "wo auch immer" stünde? Varoufakis beantwortet selbst die von ihm aufgeworfene Frage:
"Wir wissen, wer die Ukraine vertreten wird: Selenskij. Russland – Putin, Amerika – Biden, China – Xi, Indien – Modi. Wer wir Europa vertreten? Fragen Sie sich das einmal, und dann werden Sie plötzlich feststellen, wie irrelevant Europa ist."
Und obwohl der Wirtschaftsfachmann vor bald zehn Jahren seine eigenen Erfahrungen mit der deutschen Politik gegenüber Griechenland machen musste, kommt er zu dem Schluss, wer für die EU sprechen könnte:
"Früher hätte das selbstverständlich Merkel gemacht. Merkel hatte das politische Vermögen und dazu die Schlagkraft. Scholz hat das nicht, Macron auch nicht. Warum?"
Auch diese Frage beantwortet Varoufakis wenig rücksichtsvoll:
"Nicht nur, weil sie Winzlinge im Vergleich zu Merkel sind. Das sind sie einfach.
Aber auch deshalb, weil alles, was sie sagen, mit einem Veto der polnischen Regierung, der Regierung von Litauen, von Estland, Finnland und Schweden belegt wird, die beide [Macron und Scholz; Anm. d. Red.] als Dienstmädchen von Putin ansehen. Beide – Scholz und Macron."
An dieser Stelle wäre zu ergänzen, dass Paris und Berlin es scheinbar bereitwillig zulassen, derart vorgeführt zu werden und dass Polen, die baltischen Staaten sowie die traditionell transatlantisch ausgerichteten Nordeuropäer jegliche Beziehungen nach Moskau verteufeln. (Derweil macht der Ehemann der vehement antirussisch auftretenden estnischen Ministerpräsidentin Kallas mit seiner Firma Geschäfte mit Russland.) Der politische Effekt dieser Konstellation ist laut Varoufakis für die beiden größten EU-Länder verheerend:
"Das heißt, den beiden Ländern, die für den Wiederaufbau der Ukraine zahlen müssen, wird nicht erlaubt, die Europäische Union bei diesen Verhandlungen zu vertreten."
Wenn es schon nicht Macron oder Scholz sind, die für die EU sprechen könnten, müsste es doch jemand aus der EU-Führungsetage sein. Varoufakis, der seit jeher für seine Pro-EU-Haltung bekannt ist, versagt sich schließlich jegliche Zurückhaltung:
"Wer also wird die EU vertreten? Von der Leyen? Ich meine, sie ist nur da [Präsidentin der Europäischen Kommission; Anm. d. Red.], weil sie als Ministerin in Merkels Kabinett versagt hat und Merkel sie loswerden wollte. Sie hat sie nur deshalb nach Brüssel geschickt, weil man nicht hört, wie sie dort schreien."
Bliebe noch nachzutragen, dass konsequenterweise in den englischen Untertiteln des TikTok-Clips der Nachname des deutschen Regierungschefs durchgehend falsch geschrieben wird: "Scholtz". Auch daran wird der politische und ökonomische Bedeutungsverlust der BRD deutlich.
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