Im Norden Kosovos kam es am Sonntagmorgen nach Angaben der kosovarischen Behörden zu einem Angriff auf die Polizei. Ein Laster soll einer Polizeipatrouille die Durchfahrt nahe des Dorfes Banjska versperrt haben, woraufhin sie aus dem Hinterhalt beschossen wurde. Ein Polizist starb bei dem Schusswechsel, ein weiterer wurde verletzt, teilte die Regierung in Pristina mit. Der Premierminister der abtrünnigen Region, Albin Kurti, verurteilte den Angriff umgehend als Terroranschlag.
"Die Angreifer sind Profis, die Masken tragen und schwer bewaffnet sind", schilderte Kurti. "Das organisierte Verbrechen mit politischer, finanzieller und logistischer Unterstützung der Vertreter Belgrads greift unser Land an." Auch die kosovarische Präsidentin Vjosa Osmani beschuldigte Serbien und sprach von einem Angriff auf die Unabhängigkeit des Kosovo. "Solche Attacken beweisen einmal mehr die destabilisierende Kraft krimineller Banden, die seit Langem von Serbien organisiert werden", sagte sie.
Der Sprecher des serbischen Parlaments, Wladimir Orlić, erwiderte, Kurti habe die Serben vorschnell verurteilt. Kurti sei derjenige, der eine Eskalation wolle. Wenn Kurti sage, es handle sich um einen Angriff von Profis, müssen die Angreifer ja identifiziert worden sein – er wisse also, wer die Angreifer sind. Die US-Botschaft nahm den Vorfall zum Anlass, um der US-freundlichen Regierung in Pristina den Rücken zu stärken und volle Solidarität zu demonstrieren. "Die orchestrierten, gewalttätigen Angriffe auf die Polizei des Kosovo verurteilten sie aufs Schärfste. … Die Täter müssen zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gestellt werden", schrieb die Botschaft in einer Erklärung. Nach Angaben örtlicher Medien seien Kontingente der NATO-Friedenstruppe KFOR in das Gebiet entsandt worden.
Im Laufe des Tages kam es zu weiteren Kämpfen in Banjska. Eine Gruppe maskierter Bewaffneter drang mit gepanzerten Fahrzeugen in ein Kloster der orthodoxen Kirche Serbiens ein. Die Situation nahe der Toreinfahrt dokumentiert ein Foto, das aus dem Fenster eines nahe gelegenen Gebäudes aufgenommen wurde. Im Banjska-Kloster befand sich zu dem Zeitpunkt eine Gruppe von Pilgerern aus einem anderen Kloster. Sie und die Brüderschaft des Klosters hätten sich in ihren Räumen verschanzt, heißt es in einer Mitteilung der Diözese Raszien-Prizren.
"Maskierte, bewaffnete Männer bewegen sich im Innenhof, manchmal sind Schüsse zu hören", so die Meldung weiter. Zu hören sind die Schüsse auch in einem im Internet veröffentlichten Video.
Zum Verlauf der Militäroperation in Banjska gibt es nur wenige Meldungen aus einer einzigen Quelle – der offiziellen Regierung in Pristina.
"Die Angriffe der bewaffneten Gruppen gehen weiter. Mindestens 30 schwer bewaffnete Männer sind von unseren Truppen umzingelt und ich fordere sie auf, sich zu ergeben", teilte Premier Albin Kurti am Mittag mit. Kurti sagte weiter, dass die kosovarische Polizei mit Handgranaten und Mörsern angegriffen worden sei, und bezeichnete dies als "einen von serbischen kriminellen Gruppen gut organisierten terroristischen Angriff".
Später hieß es, einer der "serbischen" Angreifer von heute Nacht wurde getötet. Um 17 Uhr teilte RT Balkan mit, dass nach offiziellen Angaben noch zwei weitere Angreifer getötet wurden, ein dritter sei festgenommen worden.
Nach bisherigem Kenntnisstand stellt die Situation selbst für Kenner der Region ein Rätsel dar. Der serbische Politikwissenschaftler Aleksandar Đokić sagte in einem Kommentar, dass die derzeitige Situation außergewöhnlich und nicht mit früheren Szenarien vergleichbar sei, in denen es zu einer Verschärfung der Lage in der Region kam.
"Die Situation ist in der Tat alarmierend, aber vor allem sehr verwirrend. In der Vergangenheit, während eines anderen Vorfalls, ging es definitiv um Eskalationen, hinter denen entweder Belgrad oder Pristina steckten, und die Teil einer Art politischen Theaters waren, um ihre Stärke und ihren Einfluss zu zeigen", sagte Đokić. Er glaube nicht, dass das offizielle Belgrad hinter dem Angriff steckt, "weil es daraus keinen Nutzen ziehen kann". Aber auch eine von Pristina orchestrierte False Flag-Attacke sei unwahrscheinlich. Möglich sei hingegen die Verstrickung krimineller Klans.
RT Balkan wies auf seinem Telegram-Kanal auf die scharfe und einseitig prokosovarische Reaktion vonseiten der USA hin. Er vermutet, dass der Angriff ein Casus Belli sein könnte. Inoffiziellen Informationen zufolge werden die serbischen Gemeinden im Norden der Provinz zu einer "Antiterror-Operationszone" erklärt. Auch die Grenzübergänge zu Serbien seien gesperrt (der Ort befindet sich Luftlinie in ca. zwölf Kilometern Entfernung zur Grenze nach Serbien). Um 20 Uhr wird eine Ansprache des serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić erwartet. Laut lokalen Medien habe die Polizei am späten Nachmittag mit der Erstürmung des besetzten Klosters begonnen. "Die Operation könnte in einer Stunde beendet werden", so die Meldungen weiter.
Mehr zum Thema - Kosovo: "Kalte Dusche" für Pristina von der anderen Seite des Atlantiks