Bloß Korruption? Polnische Konsulate sollen massenhaft Visa für Arbeitsmigranten ausgestellt haben

Polen befindet sich mitten im Wahlkampf – in einem Monat finden die Wahlen zum Sejm statt. Ausgerechnet die regierende PiS-Partei scheint nun in einen Skandal verwickelt zu sein, der sich um Migration, Korruption und Arbeitsvisa für Migranten aus Asien und Afrika in hunderttausenden Fällen dreht.

Die Bilder sind noch gut in Erinnerung: Hunderte Migranten auf weißrussischer Seite, die die Grenze nach Polen passieren wollen – so im Winter 2021/22. Seither hat Polen seine Ostgrenze massiv befestigt, teilweise mit stacheldrahtbewehrten, mehrere Meter hohen Zäunen.

Wie es hieß, soll mit der so gesicherten Grenze illegale Migration aus Weißrussland verhindert werden.

Neue Routen

Doch seit einigen Monaten steigt die Zahl von Migranten aus Asien und Afrika, die über Polen in die EU kommen. Dabei scheinen diese nicht mehr auf den Umweg über Weißrussland angewiesen zu sein. Polnischen Medienberichten zufolge könnten hinter der neuen Migrationswelle ausgerechnet Politiker der PiS-Partei stehen, die sich besonders zuwanderungskritisch geben. Über polnische Konsulate in Afrika und Asien sollen hunderttausendfach Arbeitsvisa an Migranten verkauft worden sein, so ein Bericht der Welt.

Während in der "Flüchtlingskrise" ab 2015 die meisten Migranten über die sogenannte Mittelmeer- und die Balkanroute kamen, hat sich seit etwa zwei Jahren eine zusätzliche Migrationsroute über Polen nach Deutschland und Mitteleuropa etabliert. Da Polen Mitglied des Schengen-Abkommens ist, fanden bisher kaum Grenzkontrollen an der polnisch-deutschen Grenze statt. Doch seit Wochen kommen, so Beobachtungen der deutschen Bundespolizei, mehr Migranten an der Oder-Neiße-Grenze an. Nachdem Polen seine Grenze zu Weißrussland mit einem über vier Meter hohen Zaun abgeriegelt hatte, stellten die deutschen Beamten kaum noch Migration via Weißrussland fest. Doch allein in der ersten Jahreshälfte von 2023 soll die Bundespolizei über 12.000 illegale Migranten an der Grenze zu Polen aufgegriffen haben. Syrer und Afghanen würden nun über Polen nach Deutschland kommen, wo sie meistens einen Asylantrag stellen.

Einträgliches Geschäft

Bisher habe die polnische Seite zur Erklärung auf die illegale Migration via Weißrussland und Russland verwiesen. Allerdings sind diese Behauptungen seit der massiven Sicherung der polnischen Ostgrenze wenig glaubwürdig. Vielmehr deute einiges darauf hin, dass die polnische Regierung sich selbst als "'Schleuser' von Migranten nach Europa" betätigt habe, so die Welt.

Dabei soll es sich um ein Netzwerk handeln, das polnische Konsulate in Afrika und Asien sowie private Unternehmen, beispielsweise in Dubai, umfasst. Diese korrupten Strukturen hätten tausend- und hunderttausendfach illegale Arbeitsvisa für Polen ausgestellt. Für die Ausstellung solcher Visa seien 5.000 Euro verlangt worden. In sozialen Medien wie TikTok oder Instagram ließen sich mit wenig Aufwand Ratschläge finden, wie die polnischen Papiere erhältlich und eine Einreise per Flugzeug in die EU gefahrlos möglich seien. Zwar gelten die Arbeitsvisa nur für Polen, doch da Warschau auch das Schengen-Abkommen unterzeichnet hat, könnten

"die Migranten damit ohne Probleme weiter nach Deutschland reisen, dort ihre Papiere verschwinden lassen und Asyl beantragen".

Schon seit einer Weile sei auffällig, dass kein anderes EU-Land so viele Arbeitsgenehmigungen für Nicht-Europäer erteilt habe wie Polen. Etwa ein Drittel dieser für die EU ausgestellten Genehmigungen stammten allein aus Polen – insbesondere für Personen aus Afrika oder arabischen Ländern. Dabei tut sich gerade die PiS-Regierung besonders damit hervor, Migration aus arabischen und muslimischen Ländern zu bekämpfen. Doch seit bereits fünf Jahren liegt Polen an der Spitze bei derartigen Genehmigungen. Allein 2021 soll Warschau rund 970.000 solcher Erlaubnisse ausgestellt haben. Bezeichnenderweise seien für 2022 noch keine diesbezüglichen Daten von Polen an die EU übermittelt worden.

Mitten im Wahlkampf

Wie sich der Skandal um illegal und massenhaft ausgestellte Arbeitsvisa und mutmaßlich korrupte Netzwerke in der polnischen Regierung auf das Abstimmungsverhalten bei den Wahlen zum Sejm in einem Monat auswirken werden, ist noch nicht abzusehen. Die oppositionelle, liberale "Bürgerplattform" (PO) von Donald Tusk habe der PiS-Regierung seit geraumer Zeit "Heuchelei" beim Thema Migration vorgeworfen. Die Welt zitiert den früheren polnischen Premier mit der Aussage, im Vergleich zur nationalkonservativen PiS sei Lukaschenko ein "Amateur" – dieses Weißrussland-Bashing konnte sich Tusk offenbar nicht verkneifen. Tusk habe der PiS vorgeworfen, "antimigrantische Hysterie" zu verbreiten, dabei jedoch selbst eine "Rekordzahl von Migranten" nach Europa gebracht und "Millionen mit der Visavergabe" verdient zu haben.

Tatsächlich spielt die PiS das Migrationsthema nun erst recht im Wahlkampf und kritisiert gern die deutsche Asylpolitik und Sozialleistungen als "Pullfaktoren", wohl nicht ganz zu Unrecht. Nun könnte die PiS aber ein Problem mit der Glaubwürdigkeit ihrer Kritik bekommen.

Wie das polnische Online-Portal Onet – eine Schwesterpublikation des Springerblatts Welt – herausgefunden haben will, hätten polnische Konsularbeamte Papiere auf Anweisung des polnischen Vizeaußenministers Piotr Wawrzyk für Personen in Indien ausgestellt. Dabei seien teilweise hundert Namen mit Kontaktdaten in E-Mails aufgeführt worden, die die Konsularbeamten kontaktieren sollen, um sie nach Polen zu holen. Die Aktion führte jedoch zu Verwicklungen mit den USA. Denn die Migranten, die schließlich – "getarnt als indisches Bollywood-Filmteam" – nach Mexiko reisten, hätten versucht, die Grenze zu den USA zu passieren. Vizeaußenminister Wawrzyk musste inzwischen sein Amt aufgeben. Der Skandal könnte für die US-treuen Konservativen von der PiS zu Stimmenverlusten führen.

Ermittlungen

Unterdessen habe die staatliche Antikorruptionsbehörde mit Untersuchungen begonnen. So habe das "Zentrale Antikorruptionsbüro" (CBA) Computer im polnischen Außenministerium beschlagnahmt. Laut der Gazeta Wyborcza habe das CBA allerdings erst seine Ermittlungen eingeleitet, nachdem sich andere EU-Länder in Warschau beschwert hatten. Die Sicherheitsbehörden anderer EU-Staaten hätten eine auffällig hohe Zahl von Migranten mit polnischen Papieren registriert. Woher der Druck auf Warschau kam, wurde nicht berichtet.

Da die Ermittlungen offenbar erst auf Druck von außen zustande kamen, scheint fraglich, inwieweit der Skandal aufgeklärt werden kann. So steht die Frage, ob es sich bei der massenhaften Erteilung von Arbeitsvisa lediglich um ein Korruptionsproblem handelt oder ob Teile der polnischen Regierung mit der Visavergabe weitergehende politische Absichten verfolgten. Schließlich lässt sich Migration in vielfacher Hinsicht instrumentalisieren.

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