Spätestens seit Großbritannien und Frankreich die Marschflugkörper "Storm Shadow" und "SCALP" an Kiew geliefert haben, steht die Bundesregierung unter wachsendem Druck, auch den Taurus für die ukrainische Armee auf dem Schlachtfeld zur Verfügung zu stellen. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Oleksij Makejew, sagte kürzlich im Wiesbadener Kurier, er "hoffe, die Lieferung von Taurus dauert nicht so lange wie die Panzerdebatte in Deutschland". Aus dem Verteidigungsministerium hieß es in den vergangenen Tagen immer, der Minister habe eine Lieferung abgelehnt, und dazu gebe es keinen neuen Stand.
Bislang wurde die Bitte der Ukraine vor allem aus der Opposition – vorwiegend von der Union – unterstützt. Auch am Dienstag kritisierte Florian Hahn (CSU), Mitglied des Verteidigungsausschusses, gegenüber der F.A.Z. die Regierung: "Die Bundesregierung hat seit Anfang Juli keine klaren Aussagen über die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern gemacht. Obwohl diese Waffen helfen könnten, die fehlende Luftüberlegenheit der Ukraine zumindest teilweise auszugleichen, weigert sich die Bundesregierung, die Taurus-Systeme zur Verfügung zu stellen." Henning Otte (CDU), stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, teilte der F.A.Z. mit: "Aufgrund des Fehlens vorausschauender Planung diskutiert die Ampel ausschließlich einzelne Waffensysteme anstelle von Fähigkeiten und entscheidet dann (zu) spät."
Allmählich mehren sich allerdings auch Stimmen aus den Koalitionsparteien, die sich für die Lieferung der Marschflugkörper an Kiew einsetzen wollen. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses und die Waffenlobbyistin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, erklärte gegenüber der F.A.Z. am Dienstag: "Die Ukraine muss auch mit unserer Unterstützung in die Lage versetzt werden, gegen militärische Ziele – auch auf russischem Boden – vorzugehen, von denen tagtäglich hunderte Raketen auf die Ukraine abgeschossen werden." Die Unterstützung für die Ukraine dürfe nicht nachlassen. Die stellvertretende Vorsitzende der Grünen im Bundestag, Agnieszka Brugger, teilte der F.A.Z. am Dienstag mit, die Ukraine brauche zwar dringend mehr Flugabwehr, aber auch "weitreichende Waffensysteme, um beispielsweise russische Logistik und Nachschubwege zu erschweren".
Tatsächlich könnte der Taurus Ziele in Russland treffen. Mit rund 500 Kilometern Reichweite fliegt er noch weiter als die von Großbritannien und Frankreich gelieferten Marschflugkörper.
Der Kanzler hat sich bislang bedeckt gehalten. Es dürfte allein daran liegen, dass Marschflugkörper den Operationsradius der Ukraine weiter als alle anderen bisher gelieferten Waffensysteme ausweiten. Erst in den letzten Tagen haben Drohnenangriffe auf Moskau belegt, dass die Ukraine offenbar dazu bereit ist, Ziele bis weit in das russische Hinterland – vor allem nach dem gescheiterten Gegenoffensive – anzugreifen.
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