Der chilenisch-amerikanische Blogger und Politkommentator Gonzalo Lira ist erneut verschwunden. Sein letztes Video postete er am frühen Dienstagmorgen. Er setzte sich eine Frist von zwölf Stunden für den Grenzübertritt nach Ungarn, wo er politisches Asyl beantragen wollte. Eine Nachricht im Vorfeld des Ausreiseversuchs lautete: "Wenn Ihr in den nächsten zwölf Stunden nichts von mir hört, dann bin ich auf dem Weg in ein Arbeitslager! Wünscht mir Glück."
Nach einem dreimonatigen Aufenthalt in ukrainischer Untersuchungshaft wurde Lira gegen eine Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt. Seinen Schilderungen zufolge wurde er in der Haft schwer geschlagen und ausgeraubt – RT DE berichtete. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU wirft Lira vor, im Internet prorussische Positionen geteilt zu haben. Der 55-jährige Blogger ist meinungsstark und scheut trotz der damit verbundenen Gefahren nicht davor zurück, die ukrainische Regierung und die ukrainischen Streitkräfte scharf zu kritisieren. Laut eigenen Angaben müsste am 2. August die erste Gerichtsverhandlung gegen ihn stattfinden. Ihm drohen fünf bis acht Jahre Haft.
Offenbar ist Lira der Grenzübertritt nicht geglückt, sodass er von den ukrainischen Sicherheitsorganen bei der Passkontrolle festgesetzt und wieder verhaftet wurde. Das geht aus einem Tweet des US-amerikanischen Journalisten und Politkommentatoren Mark Sleboda hervor. Er schrieb:
"Ich kann außerdem bestätigen, dass Lira auf der ukrainischen Seite der Grenze aufgehalten wurde und seitdem verschwunden ist, und zwar seit mehr als 24 Stunden. Das ist das Letzte, was man von ihm gehört hat".
Sleboda hat nicht angegeben, woher diese Informationen stammen. Allerdings ist bekannt, dass er und Lira über digitale Kommunikationskanäle in Kontakt standen und im Internet gemeinsame Diskussionen veranstalteten. Daher ist anzunehmen, dass Lira es noch geschafft hat, Sleboda eine Kurznachricht über seine Verhaftung zu übermitteln. Sleboda ist ebenso wie Lira im Internet als US-kritischer Kommentator aktiv und tritt regelmäßig in verschiedenen Medien auf. Er ist Politemigrant und lebt seit vielen Jahren in Moskau.
Im Thread unter seinem Tweet hat er erklärt, warum Lira sein Video vor dem Grenzübertritt in Internet gepostet hat. Denn damit habe er sicherlich die Aufmerksamkeit der Spitzel auf sich gezogen habe und seinen Plan gefährdet, schrieb einer der Kommentatoren. Dieses Risiko habe Lira bewusst in Kauf genommen, denn er wusste nicht, ob er es schaffen würde, die Grenze zu passieren, erwiderte Sleboda. "Er wollte nicht einfach verschwinden, ohne dass die Leute wussten, was passiert war."
Die Unteroffizierin und Pressesprecherin der ukrainischen Streitkräfte Sarah Ashton-Cirillo hat angedeutet, dass der SBU hinter dem Verschwinden von Gonzalo Lira stecken könnte. "Das ist der Grund, weshalb ihr bislang nichts mehr von Gonzalo Lira gehört habt, nachdem er sein sogenanntes Asylgesuch in Ungarn öffentlich gemacht hatte. Weil der Staatssicherheitsdienst, besser bekannt als SBU, in seinen Reihen einige der besten und talentiertesten Agenten der ganzen Welt hat. Und sie wussten, wo Gonzalo Lira ist", sagte die US-Transfrau und Bloggerin in einer Twitter-Videobotschaft vor dem offiziellen Pressebanner der ukrainischen Territorialverteidigung.
Die Nachricht über das erneute Verschwinden von Gonzalo Lira verbreitete sich in den alternativen Medien wie ein Lauffeuer. Ob es diesmal möglich sein wird, mithilfe der Öffentlichkeit genug Druck auf die ukrainischen Behörden auszuüben und Liras Freilassung zu bewirken, ist ungewiss. Die chilenische Botschaft hat sich für ihn eingesetzt, schilderte Lira in seiner letzten Videobotschaft. Die US-Botschaft habe ihm hingegen jegliche Hilfe versagt. Außenpolitiker wie Viktoria Nuland sähen ihn lieber tot als lebendig, sagte er.
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