Von Wladimir Kornilow, RIA Nowosti
Polen befindet sich wieder einmal im Zustand der Hysterie. Seit einigen Tagen kochen Politiker und Propagandisten verschiedener Couleur vor Wut über die Äußerungen Wladimir Putins beim Treffen mit den ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates am Freitag.
Auf offizieller Ebene hat sich der Zorn bereits in Form einer Vorladung des russischen Botschafters Sergei Andrejew in das polnische Außenministerium entladen. Gleichzeitig kann Warschau nicht in klare Worte fassen, was es an den Worten des russischen Präsidenten konkret auszusetzen hat – deshalb die Hysterie.
Putin hat einen Teil seiner Rede am Freitag den Plänen Warschaus gewidmet, ukrainisches Land zu besetzen. Dies ist nicht aus der Luft gegriffen – Polen selbst diskutiert seit einigen Tagen über das viel beachtete Interview seines Präsidenten Andrzej Duda mit der deutschen Bild-Zeitung. Darin räumte dieser die Stationierung polnischer Truppen auf ukrainischem Gebiet "im Falle eines Waffenstillstands" ein. Die polnische Presse ist von diesen Aussichten regelrecht begeistert. Die Zeitung Fakt zum Beispiel widmete dem Thema eine ganze Seite unter der Überschrift "Wir müssen unseren Nachbarn helfen". Den Lesern wird eine Umfrage unter normalen Bürgern präsentiert, von denen die meisten die mögliche Einführung polnischer Truppen in der Ukraine enthusiastisch unterstützen.
Es wäre seltsam, wenn Russland darauf nicht reagieren würde. Zumal Polen seit langem Pläne diskutiert, sich auch einen Teil des weißrussischen Territoriums anzueignen. Deshalb reagierte das russische Staatsoberhaupt darauf mit einer strengen Warnung an die Polen:
"Eine Aggression gegen Weißrussland ist eine Aggression gegen die Russische Föderation. Darauf werden wir mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln antworten."
Eine nützliche Mahnung – damit man sich in Warschau in dieser Hinsicht keine Illusionen macht.
Aber der größte Teil der Hysterie polnischer Beamter hat nicht einmal etwas mit diesem Teil der Rede des russischen Präsidenten zu tun. Warschau reibt sich an Putins anlassbezogenem historischen Exkurs. Vor allem an seinen Worten über die Grenzen Polens:
"Die westlichen Gebiete des heutigen Polens sind ein Geschenk Stalins an die Polen. Haben das unsere Freunde in Warschau vergessen? Wir werden sie daran erinnern."
Es war diese Passage, die die polnischen Spitzenpolitiker aufschreien ließ. Ministerpräsident Mateusz Morawiecki schrieb:
"Stalin war ein Kriegsverbrecher, der für den Tod von hunderttausenden Polen verantwortlich war. Die historische Wahrheit steht außer Frage."
Stanisław Zarin, Sprecher des polnischen Geheimdienstes, schlug ähnliche Töne ein:
"Wladimir Putin bedient sich wieder einmal des Geschichtsrevisionismus, um falsche Anschuldigungen gegen die Republik Polen zu verbreiten."
Und der stellvertretende polnische Außenminister Paweł Jabłoński sagte nach einem Krisentreffen mit unserem Botschafter:
"Diese pseudohistorischen Argumente, Versuche, den Kriegsverbrecher Stalin zu beschönigen, (...) sind ein Akt, den Polen als Versuch interpretiert, eine Eskalation zu provozieren."
Und dies ist nur eine kleine Liste von Beamten, die ihre Meinung zu Putins historischem Exkurs kundgetan haben. Ganz zu schweigen von einer Flut von Äußerungen verschiedener "Experten", "Analysten" und anderer "Institutionen des nationalen Gedächtnisses" zum selben Thema in polnischen Medien – man kann sie nicht zählen!
Nur eines fehlt bei all dem empörten Aufheulen: die Widerlegung der von Putin angeführten Fakten. Denn es ist unmöglich, sie zu widerlegen, sie sind offensichtlich und wohlbekannt. Es genügt, sich mit den Unterlagen der Potsdamer Konferenz von 1945 vertraut zu machen, wo die Frage der Festlegung der Westgrenze Polens zum Hauptstreitpunkt zwischen Stalin, Truman und Churchill wurde. Bei dem Treffen am 21. Juli (übrigens am selben Tag wie Putins Rede – 78 Jahre später!) verteidigte Stalin entschlossen das Recht Polens auf die deutschen Ostgebiete und ging sogar so weit, auf Reparationen zugunsten der UdSSR aus diesen Gebieten zu verzichten. Und das zu einer Zeit, als unser Land in Trümmern lag und enorme Mittel für den Wiederaufbau benötigte!
Jetzt behaupten die Polen, die Feststellung dieser unbestreitbaren Tatsache, die durch Dokumente und zahlreiche Memoiren bestätigt wird, sei "pseudohistorischer Revisionismus"! Und wie man Putins Worte über Polen auch dreht und wendet, man wird nirgends einen Versuch finden, Stalin zu "beschönigen". Wenn man will, kann man sie sogar als Verurteilung interpretieren: Warum sollten wir den Polen deutsches Land gegeben haben, wenn Warschau es sowieso nicht danken wird? Aber das ist es ja, was Hysterie ausmacht – Argumente, Fakten, Daten und Zitate spielen bei einem Wutanfall absolut keine Rolle.
Die zunehmende Nervosität Warschaus lässt sich damit erklären, dass den Behörden der Boden unter den Füßen entgleitet. Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Parlamentswahlen gleichen sich die Werte der Regierung allmählich denen der Opposition an. Der einst solide Abstand zwischen der Regierungskoalition und der Opposition hat sich bereits praktisch auf null reduziert. Daher die abenteuerlichen Pläne der polnischen Regierungschefs, die Ukraine zu besetzen, und die provokativen Äußerungen über Russland. Sie versuchen, ihre Popularität auf einer chauvinistischen Welle zu steigern (wie es das Piłsudski-Regime schon in den 1930er Jahren tat).
Deshalb flippen sie jetzt in Warschau aus. Nicht, weil Putin sie an die unumstößlichen Fakten der Geschichte erinnert hat. Sondern, weil er die Polen deutlich vor den Folgen von Abenteuern gewarnt hat. Und hier wird eine Kenntnis der Geschichte nicht überflüssig sein – Warschau sollte sich daran erinnern, dass jedes antirussische Abenteuer mit der Teilung Polens endete. Und nur im Bündnis mit Moskau hat es einst Geschenke in Form deutscher Gebiete erhalten.
Übersetzung aus dem Russischen. Der Artikel ist zuerst am 24. Juli 2023 auf ria.ru erschienen.
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