In Frankreich kam es auch in der sechsten Nacht in Folge zu gewalttätigen Ausschreitungen. Das französische Innenministerium gab bekannt, dass es landesweit 78 Festnahmen gegeben hat.
Ein 24-jähriger Feuerwehrmann starb in Saint-Denis, nördlich von Paris, als er in der Nacht von Sonntag auf Montag, einen Fahrzeugbrand bekämpfte, wie Innenminister Gérald Darmanin am Montag mitteilte. Darmanin schrieb auf Twitter:
"Ein junger Obergefreiter der Pariser Feuerwehr ist trotz der sehr schnellen Versorgung durch seine Teamkollegen gestorben."
Laut dem Innenministerium hat sich der Vorfall in "einer Tiefgarage" ereignet. "Eine Untersuchung ist im Gange", fügte das Ministerium hinzu.
Bisher wurde offiziell keine Verbindung zwischen dem Brand, bei dem der Feuerwehrmann im Einsatz war, und den städtischen Gewalttätigkeiten, die in vielen Städten Frankreichs wüten, hergestellt.
Großmutter von erschossenem Jugendlichen ruft zu Ruhe auf
Am Sonntagnachmittag hatte die Großmutter von Nahel, dem Jugendlichen, der in Nanterre westlich von Paris bei einer Verkehrskontrolle getötet wurde, eine Botschaft an die Randalierer. Sie sagte gegenüber dem Nachrichtensender BFMTV:
"Sie sollen die Schaufenster nicht zerschlagen, sie sollen die Schulen nicht zerschlagen, nicht die Busse."
Sie sei "müde und am Boden zerstört", fügte sie hinzu. Gleichzeitig forderte sie, dass der Polizist, der den tödlichen Schuss abgegeben hatte, "wie jeder andere" für seine Tat bezahlen müsse, und versicherte, dass sie "Vertrauen in die Justiz" habe. Eine Demonstration von Müttern, die zur Ruhe aufrufen, wurde auch im Nordosten von Paris gemeldet.
Das Innenministerium hatte auch für den Sonntag-Abend landesweit ein massives Polizeiaufgebot aufgefahren. Insgesamt wurden 45.000 Gendarmen und Polizisten mobilisiert.
Heftige Ausschreitungen in der Nacht vom 1. Juli
In der Nacht von Samstag auf Sonntag wurden laut dem französischen Innenministerium im ganzen Land 719 Festnahmen vorgenommen. Insbesondere wegen des Tragens von Gegenständen, die als Waffen oder Geschosse dienen könnten. Zuvor, in der Nacht von Freitag auf Samstag, war die Zahl der Festnahmen auf 1.300 gestiegen, eine Rekordzahl seit Beginn der Ausschreitungen.
"Ruhigere Nacht dank des entschlossenen Handelns der Ordnungskräfte", hatte Innenminister Gérald Darmanin am Sonntag auf Twitter geschrieben. Doch ganz so ruhig war die Nacht nicht.
Das Haus des Bürgermeisters von L'Haÿ-les-Roses im Departement Val-de-Marne wurde mit einem Rammbock angegriffen, seine Frau und eines seiner beiden Kinder wurden verletzt.
Ferner wurden 45 Polizisten und Gendarmen verletzt, 577 Fahrzeuge und 74 Gebäude in Brand gesetzt und 871 Brände auf öffentlichen Straßen gezählt, wie das Ministerium am Morgen des 2. Juli mitteilte.
Überdies wurden zehn Polizeistationen, zehn Gendarmeriekasernen und sechs städtische Polizeistationen von den Randalierern ins Visier genommen, so das Ministerium.
In Marseille, auf der Canebière, der Hauptstraße der zweitgrößten Stadt Frankreichs, gelang es Polizeikräften, unterstützt von den Eliteeinheiten Raid und GIGN (Gendarmerie), Gruppen von Jugendlichen zu vertreiben, die am Vortag ein Chaos angerichtet hatten, wie Journalisten der Nachrichtenagentur AFP berichteten.
"Sie sind extra gekommen, um zu zerstören, zu stehlen und wieder zu gehen", beklagte Youcef Bettahar, ein Geschäftsmann im Einkaufszentrum Merlan, in der Stadt, "wir sind wirklich angewidert von dem, was passiert".
In Paris waren für den Samstag entlang der Champs Élysées, wo in den sozialen Netzwerken Aufrufe zu Versammlungen kursierten, starke Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden, wie eine Journalistin von AFP berichtete. Entlang der gesamten Avenue zogen kleine Gruppen schwarz gekleideter Jugendlicher unter den Augen von Polizeikräften vor die Geschäfte, deren Vorderseiten mit Holzbrettern geschützt waren.
Hinter schwarzen Gittern empfing das berühmte Restaurant Le Fouquet's seine Gäste ganz normal zum Abendessen. Die letzten Gäste wurden vor 2:00 Uhr nachts evakuiert.
In den Pariser Vororten, dem Ausgangspunkt der Unruhen, wurden Polizisten in Vigneux, südlich von Paris, mit Feuerwerkskörpern beschossen. In dem Versuch, die Gewaltspirale einzudämmen, verhängten viele französische Gemeinden eine Ausgangssperre und die öffentlichen Verkehrsnetze wurden früher als geplant geschlossen, insbesondere die Bus- und Straßenbahnnetze im Großraum Paris ab 21:00 Uhr.
Die zweite große Krise von Macron
Die Schüsse aus nächster Nähe auf einen Motorradfahrer, die durch ein Amateurvideo aufgezeichnet wurden und der Tod des jungen Nahel in Nanterre, stehen im Widerspruch zu der offiziellen Darstellung der Polizei und lösten in ganz Frankreich einen Flächenbrand in sozialen Brennpunkten aus.
Diese Welle der Gewalt und die Wut vieler junger Bewohner von Arbeitervierteln auf die Polizeigewalt oder den Staat erinnert an die Unruhen, die Frankreich 2005 nach dem Tod zweier von der Polizei verfolgter Jugendlicher erschüttert hatten.
Innerhalb von drei Wochen waren seinerzeit 10.000 Fahrzeuge zerstört, mehr als 200 öffentliche Gebäude in Brand gesteckt und etwa 5.200 Personen festgenommen worden.
Die schweren Ausschreitungen sind nach der umstrittenen Rentenreform die zweite größere Krise von Präsident Emmanuel Macron nach seiner Wiederwahl.
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