Munitionshunger: Slowakischer Ex-Ministerpräsident beklagt leere Waffenlager in Europa

Die Waffenlager in ganz Europa sind leer, ihre Wiederaufstockung wird bis zu zehn Jahre dauern, erklärte der slowakische Ex-Ministerpräsident Peter Pellegrini. Experten weisen darauf hin, dass Europa mit den Waffenlieferungen an Kiew nicht die Niederlage Russlands erreichte, dafür aber in eine stärkere Abhängigkeit von den USA geriet.

Von Alexandr Karpow, Jelisaweta Komarowa und Aljona Medwedewa

Zahlreiche europäische Waffenarsenale seien leer und ihre Wiederauffüllung werde Jahre in Anspruch nehmen, erklärte der ehemalige Ministerpräsident der Slowakei und Vorsitzender der Partei "Stimme – Sozialdemokratie" Peter Pellegrini.

"Lagerhäuser in ganz Europa sind leer, alle Armeen werden ihre Vorräte aufstocken. Dies ist eine Arbeit für fünf bis zehn Jahre", zitiert ihn die Nachrichtenagentur TASS.

Pellegrini fügte hinzu, dass die Slowakei wegen des Mangels an Ressourcen keine nennenswerte Militärhilfe an die Ukraine mehr werde leisten können. Dabei eröffne der Konflikt in der Ukraine neue Perspektiven für die slowakische Rüstungsindustrie.

"Heute wird Munition für die Ukraine über ein System von zentralisierten europäischen Käufen erworben. Wenn wir sie nicht in der Slowakei herstellen und damit Einkommen und Arbeitsplätze für das Land generieren, wird sie in einem Nachbarland hergestellt und trotzdem dorthin gelangen, wohin sie gelangen soll", so Pellegrini.

Überverbrauch

Europäische Politiker hatten zuvor mehrmals gewarnt, dass die Lieferungen von Waffen und Kriegsgerät an Kiew die eigenen Vorräte und Arsenale der EU-Länder erschöpfen und dass ihre Wiederaufstockung lange Zeit in Anspruch nehmen wird.

So behauptete Ende Mai der europäische Chefdiplomat Josep Borrell, dass die Rüstungsindustrie der EU die gestiegene Nachfrage nach Waffen und Munition nicht decken könne.

"Ehrlich gesagt fehlt es unserer Verteidigungsindustrie heute an kritischer Masse und Reaktionsfähigkeit, und die lange Dauer der Produktionszyklen schränkt unsere Fähigkeit ein, den Produktionsumfang zu steigern", erläuterte er in seinem Blog auf der Seite des diplomatischen Dienstes der EU.

Zuvor hatte die Financial Times unter Berufung auf europäische Beamte berichtet, dass der Plan der EU, die Munitionsproduktion für den Bedarf der Mitgliedsstaaten zu steigern, wegen des Zustands der Rüstungsindustrie auf Schwierigkeiten stoße.

"Das Hauptproblem besteht darin, dass sich die europäische Verteidigungsindustrie nicht in einer ausreichend guten Form für die großangelegte Produktion von Militärgütern befindet", sagte damals ein deutscher Beamter.

Vertreter des tschechischen staatlichen Unternehmens Explosia, eines der größten Lieferanten von Sprengstoff für Munitionsfabriken in Europa, berichteten gegenüber der Financial Times, dass die Kapazitäten zur Herstellung des für die Granaten des NATO-Standardkalibers von 155 Millimeter benötigten Sprengstoffs komplett ausgeschöpft seien und die Produktion bis zum Jahr 2026 nicht mehr gesteigert werden könne.

"Investitionen für eine weitere Steigerung unserer Produktionskapazitäten werden gemacht. Dennoch ist dies ein Projekt, das für drei Jahre ausgelegt ist, und keine Aufgabe von wenigen Monaten", zitierte die Zeitung den Vertreter des Konzerns Martin Vencl.

Der Financial Times zufolge hätten europäische Beamte in Privatgesprächen eingeräumt, dass eine Steigerung der Waffen- und Munitionsproduktion selbst unter Berücksichtigung der milliardenschweren Subventionen, die die EU dafür plant, keine einfache Aufgabe wird.

"Wir unterstützen die Stärkung der Verteidigungsindustrie. Doch wenn im Ergebnis dieser EU-Initiative ein zweiter Anwärter die gleiche knappe Ressource beansprucht, wird sich das negativ auf den Preis niederschlagen. Dabei bereichern sich Waffenunternehmen auch so schon genug", kritisierte ein Beamter aus Deutschland.

Obwohl europäische Funktionäre und Politiker regelmäßig auf die erschöpften Waffenvorräte verweisen, fordert Kiew von ihnen weitere Lieferungen.

Anfang Juni behauptete der stellvertretende Leiter des ukrainischen Präsidialamts Igor Schowkwa in einem Interview gegenüber der Zeitung The Times, dass es dem ukrainischen Militär weiterhin an Waffen für die seit den letzten Monaten in den westlichen Medien angekündigte Gegenoffensive mangele.

"Will man eine erfolgreiche Gegenoffensive beginnen, muss man über alles verfügen, darunter Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und Panzer. Also haben wir wohl noch nicht alles, was nötig ist", zitiert ihn die Zeitung.

Der ukrainische Vizeaußenminister Andrei Melnyk forderte Deutschland auf, die Lieferungen von Panzern, gepanzerten Transportern und Panzerfahrzeugen an Kiew deutlich zu steigern. In einem Interview mit dem Tagesspiegel behauptete er, dass Berlin die Anzahl der an die Ukraine gelieferten Panzer des Typs Leopard 2 verdreifachen könnte, ohne dabei die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu beeinträchtigen.

Ebenso forderte er die deutsche Regierung auf, weiter 60 Schützenpanzer vom Typ Marder und Langstreckenraketen vom Typ Taunus an Kiew zu übergeben.

Optimistische Prognose

Die Behauptung des slowakischen Ex-Ministerpräsidenten, dass Europa für die Wiederaufstockung seiner Waffenbestände zehn Jahre brauchen werde, sei jedoch zu optimistisch, meint der Militärpolitologe Iwan Konowalow. Die tatsächliche Dauer könne unter Berücksichtigung des Rüstungsindustriepotentials der europäischen Staaten noch länger ausfallen.

"In Wirklichkeit wird es viel mehr Zeit brauchen, um das militärische Potenzial der europäischen Staaten vollständig wiederherzustellen. Das Beispiel der Slowakei zeige, dass das Land de facto alle seine Waffen an die Ukraine übergeben hat. Noch ernster steht es um die Munition, denn das Verbrauchstempo von Geschossen durch die ukrainische Seite übersteigt die Möglichkeiten des militärischen Industriekomplexes von Europa und den USA zusammen", betonte der Experte in einem Gespräch mit RT.

Konowalow verwies darauf, dass nach dem Ende des Kalten Kriegs und der Konfrontation zwischen der Warschauer Vertragsorganisation und der NATO die europäischen Staaten ihre Militärausgaben sukzessive kürzten.

"Die Produktion entwickelte sich unter den Bedingungen des Friedens, die Rüstungsindustrie war nicht das meistentwickelte Segment. Jetzt stehen sie in einer Sackgasse. Sie haben nur noch wenige Vorräte, und die stammen meist aus den USA. Man sollte aber verstehen, dass die USA, nachdem sie die europäischen Arsenale geleert haben, Europa den Kauf von US-amerikanischen Waffen aufzwangen – sowohl jetzt als auch in Zukunft. Europa ist damit faktisch gezwungen, auf US-amerikanische Waffen umzusteigen. Genau dies war das Ziel der USA, die die ukrainische Krise provozierten und Kiew gegen Russland instrumentalisierten", bemerkte Konowalow.

Mangels der Möglichkeit, die eigene Waffenproduktion schnell und wirksam zu steigern, werden die EU-Staaten gezwungen sein, sich an US-amerikanische Waffenhersteller zu wenden, fügte er hinzu.

"Europa wurde damit in die Knie gezwungen. Die europäischen Staaten wurden vollständig zu Satelliten der USA, sie werden gezwungen sein, vor allem US-amerikanische Waffen zu kaufen. Obwohl viele europäische Länder über eine entwickelte Rüstungsindustrie verfügen, genügen sie nicht den Anforderungen der NATO, sich selbst stärker zu bewaffnen und dabei noch die Ukraine weiter zu versorgen. Diese Möglichkeiten gibt es nicht", sagte Konowalow.

Die USA bleiben der Hauptbefürworter von Waffenlieferungen an die Ukraine, während die europäischen NATO-Staaten Washingtons Weisungen befolgen müssen, obwohl ihre Waffenvorräte nicht mit den US-amerikanischen vergleichbar seien, erklärte der Militärexperte Oberst a. D. Wiktor Litowkin in einem Gespräch mit RT.

"Europa ist von der Hilfe an die Ukraine und vom Druck der USA, die es zwingen, das Letzte an Kiew abzugeben, müde. Die Lager der Slowakei und anderer europäischer Staaten sind schon fast leer. Washington zwingt sie, ihre Waffen an die Ukraine abzugeben, damit sie neue bestellen, und zwar bei den USA", betonte der Experte.

Dabei hätten die Lieferungen großer Waffenmengen an Kiew nicht das gewünschte Ergebnis für Europa gebracht, denn trotz beispielloser Militärhilfe gelang es nicht, Russland eine strategische Niederlage auf dem Schlachtfeld zu bereiten, fügte er hinzu.

"Das ganze Ergebnis, das Europa bisher erzielte, sind Schulden und die Abhängigkeit von den USA im Bereich der Sicherheit und Waffenlieferungen. Washington ist mit dieser Situation zufrieden, denn Europa wird als Konkurrent ausgeschaltet, seine Industrie verliert den Zugang zu Ressourcen und ist gezwungen, ausschließlich Munition für das ukrainische Militär zu produzieren", schlussfolgert Litowkin.

Übersetzt aus dem Russischen.

Mehr zum Thema Bettelorgie nach schweren Verlusten: Melnyk und Klitschko fordern mehr deutsche Panzer