Bei der von der EU-Kommission geplanten Chatkontrolle sollen Anbieter von verschlüsselten Kommunikationsdiensten wie WhatsApp, Signal, Telegram oder Threema dazu verpflichtet werden, die private Kommunikation ihrer Nutzer zu überwachen und nach spezifischen Inhalten zu durchleuchten. Dazu müsste die Verschlüsselung der Kommunikation aufgehoben werden. Regelmäßig wird "der Kampf gegen den sexuellen Kindesmissbrauch" von der EU als Grund für die Notwendigkeit der Chatkontrolle vorgebracht.
Ein geleaktes EU-Dokument vom April dieses Jahres macht nun deutlich, dass die Positionen zur Chatkontrolle in den einzelnen EU-Ländern teilweise stark voneinander abweichen. Darüber berichtete das Online-Magazin Heise am 23. Mai unter Verweis auf einen Artikel im US-Magazin Wired. Demnach enthält der geleakte Bericht vom 12. April aus der Arbeitsgruppe für Strafverfolgung des Rats der Europäischen Union Eingaben von insgesamt 20 Regierungen zur geplanten Chatkontrolle.
Den Dokumenten zufolge befürwortet Spanien innerhalb der EU die Chatkontrolle am stärksten. Zuletzt habe sich die spanische Regierung sogar für ein Verbot der sogenannten "Ende-zu-Ende-Verschlüsselung" (E2EE) eingesetzt. Aber auch die polnische Regierung habe sich unter Verweis auf den Kinderschutz für die teilweise Entschlüsslung von Chatnachrichten eingesetzt. Die Niederländer hielten eine Verpflichtung zur Entschlüsselung von Informationen "weder wünschenswert noch nötig", weil Inhalte direkt auf den Geräten geprüft werden könnten. Finnen und Esten sähen die Vertraulichkeit der Kommunikation in Gefahr.
Auch Deutschland lehnte die Nutzung von Entschlüsselungstechnologien ab. Das Land habe darauf gedrungen, "dass fundamentale Rechte in Bezug auf Vertraulichkeit und Privatsphäre durch die geplanten Regelungen nicht aufgegeben werden dürften. … Der vorgelegte Text müsse deshalb geändert werden, bevor die Bundesregierung ihn akzeptieren könne", gab Heise die deutsche Position wieder. Nach monatelangem internem Streit sei die deutsche Regierung inzwischen geschlossen gegen das Durchleuchten privater Kommunikation.
Bereits Anfang Mai berichtete das Fachmagazin Netzpolitik.org über die Kritik von Datenschutzverbänden an der geplanten Kommunikationsüberwachung der EU. Ein am 8. Mai bekannt gewordenes Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes des EU-Ministerrats habe die Vereinbarkeit der geplanten Chatkontrolle mit EU-Recht in Zweifel gezogen. Neben der Europäischen Datenschutzbeauftragten würden auch Kinderschutz-Verbände, Bürgerrechtler und der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments die Überwachungspläne der EU-Kommission kritisieren.
Dennoch halte die EU-Kommission an der Chatkontrolle fest: "Die Kommission beabsichtigt nicht, den Vorschlag zurückzuziehen oder zu ändern", antwortete die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am 26. April auf eine Frage des EU-Abgeordneten Moritz Körner (FDP).
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