Die Artillerie ist der "Gott des Krieges" – diese alte militärische Weisheit geht zurück bis zu den napoleonischen Kriegen. Auch für den Ukraine-Krieg trifft sie zu. Da die Luftwaffe wegen starker Luftabwehr nur eingeschränkt eingesetzt werden kann, wird die Rolle der herkömmlichen Artillerie nun wieder wichtiger. Für den militärischen Erfolg kommt es also zunehmend auf die Menge und Qualität der Artillerie-Munition an.
Seit Monaten prophezeien westliche Militäranalysten für die russischer Armee Munitionsknappheit. "Wann werden den Russen die Geschosse ausgehen?" Diese Frage ist auch im russischen Internet zu einem Meme aufgestiegen. Die russischen Behörden informieren regelmäßig darüber, dass die Produktion von Munition in vielen Werken auf einen Dreischichtbetrieb hochgefahren wurde.
Dem Ex-Präsidenten Dmitri Medwedew zufolge haben die Unternehmen der russischen Rüstungsindustrie ein "hohes Volumen in der Waffenproduktion erreicht". Als stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates ist Medwedew auch mit der Kontrolle der Rüstungsindustrie betraut. "Ich hätte vor allem zu Beginn nicht gedacht, dass sich der militärisch-industrielle Komplex so schnell anpassen würde", sagte er vergangene Woche bei seinem Vietnam-Besuch. Auch sagte er, dass es "im Ganzen" genügend Artilleriegeschosse gebe.
Lob für den Nachschub an Munition gab es auch von der Front. "Diese neue Munition, die jetzt für die Artillerie produziert wird, trifft genau auf den Punkt", teilte am Samstag der bekannte Militärkorrespondent Alexander Sladkow auf seinem Telegram-Kanal mit und bedankte sich bei den Herstellern.
"Super, die Munition ist von höchster Qualität."
Dies sei die übereinstimmende Meinung der Artilleristen und Kriegsberichterstatter. "Wir meistern es. Wir können es. Wir sollten es tun. Wir warten", schloss er.
Allerdings schätzt Sladkow die Situation an der Front gerade in Bezug auf Artillerie als nicht zufriedenstellend ein. "Unsere Stellungen stehen unter schwerem Artilleriebeschuss. Ich kenne viele schlimme Details, aber ich werde sie nicht preisgeben", schrieb er nur wenige Stunden zuvor. Verbittert teilte er mit:
"Die Tendenz ist, dass wir beschossen werden und nicht reagieren, und dafür gibt es keinerlei gute Gründe. Es liegt nicht an den kämpfenden Bataillonen, Regimentern, Divisionen. Hunderte von Granaten werden auf uns geschossen und wir reagieren nicht darauf. Was ist das für ein Krieg?"
Korrespondenten zufolge werde das gegnerische Artilleriefeuer aufgrund fehlender Gegenbatterie bei den Luftlandetruppen nicht erwidert. "Wir vergeuden Menschen wegen unserer eigenen Unzulänglichkeiten. Ja, wir fügen dem Feind mit unseren Raketenangriffen hinter den Linien schweren Schaden zu. Aber die Frontlinie muss auch verteidigt werden, dort stehen unsere Männer", beklagte Sladkow.
Über das Problem des unzureichenden Gegenbatterie-Feuers berichtete auch der bekannte Feldkommandeur Alexander Chodakowski auf seinem Telegram-Kanal. "Der Feind feuerte innerhalb einer Stunde vierundsiebzig großkalibrige Granaten auf sechs unserer Stellungen ab. Methodisch, indem er das Feuer von einer Stellung zur anderen weiterleitete, elf bis siebzehn Granaten pro Stellung … Gott sei Dank sind unsere unversehrt geblieben. Aber deprimierend ist, dass wir nicht darauf geantwortet haben", teilte er am 31. Mai mit.
Chodakowski befehligt das Sturmbatallion "Wostok" und stammt aus der Donezker Volksrepublik. Er ist seit 2014 an der Front und der einzige bekannte Feldkommandeur der Volkswehr, der am Leben geblieben ist. In seinen Textbeiträgen auf Telegram berichtet er oft über Probleme, die seiner Meinung nach Russlands Sieg verhindern könnten und teilt seine Ideen für deren Lösung mit.
"Solange die geistige Grundlage unserer Existenz nicht verändert wird, hat Russland keine Chance. Alle oberflächlichen Maßnahmen sind nur Spielereien. Wir müssen jetzt Zeit gewinnen, um nicht nur immer wieder neu anzufangen, sondern grundlegend umzusteuern. Wenn wir das nicht tun, werden wir das (traurige) Ergebnis nur hinauszögern", schrieb der Militär in seinem letzten Beitrag.
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