Mehr Geld, mehr Krieg: Protokoll der 68. Parlamentarischen Versammlung der NATO

Der Deutsche Bundestag hat das Protokoll der 68. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO veröffentlicht, die im November 2022 in Madrid stattfand. Obwohl sich die Veranstaltung um Sicherheitsfragen drehte, waren die Anschläge auf die Energieinfrastruktur Deutschlands offenbar kein Thema.

Der Deutsche Bundestag hat das Protokoll der 68. Jahrestagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO veröffentlicht, die vom 18. bis zum 21. November 2022 in Madrid stattfand. Bei dem Format, das 1955 ins Leben gerufen worden war, handelt es sich um eine Informations- und Diskussionsveranstaltung mit dem Fokus auf die Sicherheit der NATO-Mitgliedsstaaten und ihrer Anwärter und Partner. Auch eine deutsche Delegation, bestehend aus zehn Mitgliedern des Bundestags und fünf Mitgliedern des Bundesrats, nahm an der Veranstaltung teil.

Das nun veröffentlichte Protokoll beinhaltet die Schwerpunkte der Jahrestagung, eine Zusammenfassung der Vorträge und Diskussionsbeiträge der Ausschüsse für Politik, Verteidigung, Demokratie, Wirtschaft und Wissenschaft, eine Zusammenfassung der Plenarsitzung sowie die verabschiedeten Entschließungen.

Schwerpunkt der Versammlung war die Frage der künftigen Ausrichtung der NATO gegenüber Russland und China. Mehrere Beiträge diskutierten zudem die nötigen Maßnahmen in Bezug auf die Ukraine nach dem Krieg im Falle eines Sieges.

Obwohl die Sicherheit bei Fragen der Energieversorgung wiederholt Thema der Versammlung war, schien es dem Protokoll nach kein Interesse am damals frisch verübten Anschlag auf die deutsche Energieinfrastruktur durch die Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines gegeben zu haben; weder fanden sie Erwähnung in den Vorträgen noch in den Diskussionsbeiträgen der teilnehmenden Parlamentarier.

Verstoß gegen die UN-Charta muss Folgen haben

Im Ausschuss für Politik warnte der spanische Außenminister José Manuel Albares vor der Gefahr einer Kriegsmüdigkeit, die sich in Europa einstellen könnte, und der man durch soziale Maßnahmen entgegenwirken müsse. Den Weg zur EU-Mitgliedschaft der Ukraine hielt Albares für sicher, über den NATO-Beitritt des Landes werde erst nach Kriegsende entschieden.

Den Staaten des Globalen Südens, die den Ukraine-Krieg für eine europäische Angelegenheit halten, müsse man deutlich machen, dass ein Angriffskrieg als Verstoß gegen die UN-Charta einen weltweiten Präzedenzfall schaffe, der künftig auch die Staaten des Globalen Südens selbst treffen könnte, wenn er ohne Folgen bliebe.

Der Generalberichterstatter der Slowakei, Tomáš Valášek, stellte in seinem Vortrag klar, dass das strategische Konzept der NATO von 2022 zur Grundlage habe, dass der euro-atlantische Raum nicht mehr in Frieden lebe. Es bedürfe einer neuen Aufteilung der NATO-Truppen zwischen der Ostflanke (Balkan, Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien) und der Reserve. Daneben müsse sich die NATO künftig stärker auf die Schwarzmeerregion und die Arktis konzentrieren.

Kampf um die Arktis

Da Russland in der Arktis seine Militärpräsenz ausbaue, sieht Valášek hier einen möglichen Ort für künftige militärische Konfrontationen. Javier Colomina, der Sonderbeauftragte des NATO-Generalsekretärs für den Kaukasus und Zentralasien, forderte die NATO-Mitglieder, die dem Arktischen Rat angehören, auf, bei Sicherheitsfragen in der Region die Initiative zu ergreifen.

Gleichzeitig, so Valášek, verliere der klassische Beistand nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags angesichts unkonventioneller Bedrohungen, etwa in Form von Terror- und Cyberangriffen, an Bedeutung.

Die zahlreichen Herausforderungen brächten zudem die Notwendigkeit mit sich, dass die NATO-Mitgliedsstaaten ihre Beitragszahlungen an das Zwei-Prozent-Ziel anpassen (zwei Prozent des Bruttosozialprodukts der Mitgliedsstaaten für die NATO). Eine Rückkehr zur Politik der Friedensdividende, also der Senkung der Rüstungs- und Verteidigungsausgaben, dürfe es hingegen nicht mehr geben.

Im Ausschuss für Verteidigung plädierte auch der Generalberichterstatter Frankreichs, Cédric Perrin, für die Aufwendung von mindestens zwei Prozent des Bruttosozialprodukts für Militärausgaben. Die Parlamente der Mitgliedsstaaten spielten für die entsprechende Umsetzung der NATO-Beschlüsse eine tragende Rolle.

Vorwärtsverteidigung und Aufstockung

In der entsprechenden Beschlussvorlage des Generalbericht­erstatters der Slowakei hieß es, dass eine verstärkte Vorwärtsverteidigung und eine erhebliche Aufstockung der NATO-Streitkräfte unerlässlich sei. Die spanische Verteidigungsministerin Margarita Robles warnte im Verteidigungsausschuss vor dem zunehmenden Einfluss Russlands in vielen Staaten Afrikas durch die Söldnergruppe "Wagner".

Der spanische Generalstabschef Teodoro Esteban López Calderón betonte, dass es sich beim Konflikt in der Ukraine um den ersten Cyberkrieg handele. Er plädierte für eine Intensivierung des nachrichtendienstlichen Austauschs der Mitgliedsstaaten, um Desinformation entgegenzuwirken.

Die Berichterstatterin Italiens, Roberta Pinotti, sagte hierzu, dass Russland und China bemüht seien, die eigenen Cyberfähigkeiten zu erhöhen und die der NATO-Staaten zu verringern. Die NATO müsse ihre eigenen Cyberfähigkeiten optimieren.

Im Ausschuss für Wirtschaft gab der Präsidenten des Institute Prospective et Sécurité en Europe (IPSE), Emmanuel Dupuy, zu bedenken, dass der Krieg in der Ukraine noch lange nicht entschieden sei. Aufgrund der Gefahr der intensiven und umfassenden Kriegsführung (High Intensity Warfare) in der Ukraine müsse die NATO ihre Verteidigungsfähigkeiten stärken. Die Rüstungsindustrie müsse angekurbelt werden, insbesondere für die Produktion von Munition.

Ebenso müsse der Entstehung weiterer privater Milizen wie der Gruppe "Wagner" sowie der Propaganda entgegengewirkt werden. Dupuy räumte ein, dass die Unterstützung für den Krieg in den NATO-Mitgliedsstaaten mit der zunehmenden Dauer des Konflikts nachlasse. Daher sei es wichtig, die Bevölkerung von der Fortführung des Kriegs zu überzeugen.

Zwei Prozent künftig nur Untergrenze

Jacob Kirkegaard vom German Marshall Fund of the United States plädierte dafür, den Prozess des Wiederaufbaus der Ukraine möglichst schnell durch die G7-Staaten einzuleiten. Als Koordinator für die Überwachung der Finanzierung seien die USA am besten geeignet.

Die internationale Unterstützung der Ukraine sei jedoch nicht als Akt der Wohltätigkeit zu verstehen, sondern sei vielmehr eine Chance für die EU zu wirtschaftlichem Aufschwung. Die Schätzungen der Kosten für den Wiederaufbau reichen von 350 Milliarden Euro (Weltbank) bis 700 Milliarden Euro (Ukraine).

In seiner Ansprache auf der Plenarsitzung betonte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dass die NATO im Ukraine-Krieg keine Konfliktpartei sei. Dennoch stelle Russland für das Bündnis die größte Bedrohung dar. Ein konstruktiver Dialog sei nicht mehr möglich. Stoltenberg räumte ein, dass eine Lehre des Ukraine-Kriegs sei, dass man künftig die Partner des Bündnisses, zum Beispiel Georgien, früher und mehr unterstützen müsse.

Den Schwerpunkt des NATO-Gipfels in Vilnius im Juli 2023 würden laut Stoltenberg die Militärausgaben der Mitgliedsstaaten darstellen. Das bisherige Zwei-Prozent-Ziel solle auf dem Gipfel als Untergrenze festgelegt werden.

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