Der ukrainische Premierminister Denis Schmygal gab auf einer Pressekonferenz in Washington bekannt, dass eine Gegenoffensive der ukrainischen Truppen "in naher Zukunft" beginnen werde. Er behauptete:
"Wir sind zuversichtlich, dass die Gegenoffensive so bald wie möglich beginnen wird. Die Vereinigten Staaten unterstützen uns voll und ganz."
Gleichzeitig bekräftigte Schmygal erneut die Absicht Kiews, die Krim und den Donbass vollständig einzunehmen. Er betonte, es sei das Ziel der Ukraine, die Grenzen von 1991 zu erreichen. Ihm zufolge ist Kiew von seinen Absichten "zutiefst überzeugt".
Anfang April hatte Schmygal geäußert, dass die ukrainische Gegenoffensive bereits im Sommer beginnen könnte, während der Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates der Ukraine, Alexei Danilow, sagte, dass sich Kiew erst "im allerletzten Moment" für eine Gegenoffensive entscheiden werde.
Dennoch versprechen sich die europäischen Verbündeten der Ukraine von einer möglichen Gegenoffensive Kiews keinen nennenswerten Durchbruch. Ein realistisches Ziel bestehe darin, um etwa 30 Kilometer vorzurücken, berichtete Bloomberg zuvor unter Berufung auf einen EU-Beamten.
Viele Militärexperten, auch im Westen, bezweifeln die Fähigkeit der ukrainischen Truppen, in ihrem derzeitigen Zustand eine erfolgreiche Offensive durchführen zu können. Vor allem bei den Kämpfen um die Stadt Artjomowsk (ukrainisch Bachmut) verlor die Ukraine russischen Schätzungen zufolge eine fünfstellige Zahl an Soldaten. Damit wurden die kampffähigsten Truppen aufgerieben.
Außerdem führen die russischen Streitkräfte täglich verlustreiche Angriffe mit Präzisionswaffen auf Artilleriestellungen, Soldatenunterkünfte, Treibstofflager, Waffendepots und sonstige Ansammlungen von Personal und Militärtechnik im nahen Hinterland aus. In westlichen Medien ist häufig von einem "Zermürbungskrieg" die Rede.
Der Westen finanziert die ukrainischen Militärausgaben mittlerweile fast vollständig und liefert an die Ukraine immer modernere und teurere Waffen. Die USA steuern dabei den größten Anteil bei. Das gibt Grund zu der Annahme, dass der Westen als Hauptinvestor des Krieges Kiew zu aktiveren Handlungen an der Front anregt – ungeachtet der hohen Verluste an Soldatenleben.
Noch Ende Januar prophezeite der Präsident des Europäischen Rates, Charles Michel: "Die nächsten Wochen und Monate sind für die Ukraine von entscheidender Bedeutung." Deshalb sei "die Zeit gekommen, maximale Unterstützung zu leisten".
Es ist daher kein Zufall, dass ein solch hoher ukrainischer Beamter wie Schmygal nun ausgerechnet in der Hauptstadt des wichtigsten Lieferanten Kiews das Versprechen abgibt, die Offensive könne in absehbarer Zeit starten. Andere ukrainische Regierungsvertreter versuchen unterdessen, die Erwartungen des Westens auf einen Erfolg der ukrainischen Truppen so weit es geht zu dämmen.
"Wir müssen uns mit allen Mitteln dagegen wehren, dass eine Gegenoffensive als die entscheidende Schlacht des Krieges angesehen wird", sagte beispielsweise Außenminister Dmitri Kuleba der Financial Times noch vor wenigen Wochen.
In Medienberichten waren zuletzt immer wieder Zweifel am Erfolg der erwarteten Frühjahrsoffensive der Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland laut geworden. Geleakte US-Geheimdienstdokumente legten laut Berichten der Washington Post nahe, dass das ukrainische Militär die ursprünglichen Pläne zur Rückeroberung der von Russland kontrollierten Gebiete "weit verfehlen" könnte. Grund sind den Dokumenten zufolge die Schwierigkeiten Kiews beim Nachschub an Truppen, Munition und Ausrüstung. Dennoch werde NATO-intern damit gerechnet, dass die nächste Offensive im Ukraine-Krieg noch im April von den ukrainischen Streitkräften ausgehen wird.
Mehr zum Thema - Internes Konzeptpapier der EU: Militärhilfe für die Ukraine bekommt Auflagen und Ausstiegsklausel