Rentenproteste in Frankreich eskalieren: Rathaus von Bordeaux in Brand gesetzt

In Frankreich haben am Donnerstag mindestens eine Million Menschen erneut gegen die französische Rentenreform demonstriert. In Paris kam es zu Ausschreitungen, in Bordeaux brannte das Rathaus.

Im Zuge der Proteste gegen die umstrittene Rentenreform von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben Protestierende am späten Donnerstagabend das Rathaus von Bordeaux in Brand gesetzt. Im ganzen Land gingen laut Behördenangaben mehr als eine Million Menschen auf die Straße. In einigen Orten kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, während die Gewerkschaften für die kommende Woche zu neuen landesweiten Streiks und Protesten aufriefen.

Nach Angaben des Innenministeriums nahmen allein an der Demonstration in Paris, die wie zahlreiche andere Demonstrationen auch von Gewalt überschattet wurde, 119.000 Menschen teil, was für die Hauptstadt einen Rekord bei den Rentenprotesten darstellt. Angesichts der starken Beteiligung riefen die Gewerkschaften rasch zu neuen Protesten und Streiks am Dienstag auf, jenem Tag, an dem der britische König Charles III. zu einem Besuch in Bordeaux erwartet wird. Die schwere Holztür des eleganten Rathauses von Bordeaux war am Donnerstagabend mit Blick auf den anstehenden Besuch von Mitgliedern einer nicht genehmigten Demonstration in Brand gesetzt und zerstört worden, wie die Zeitung Sud Ouest berichtet.

Bei dem Brand beschädigt worden sei jedoch lediglich das Portal eines Säulengangs, das zum Vorhof des Rathauses führe, wie eine Sprecherin der zuständigen Präfektur gegenüber Reportern mitteilte. Dies sei vor allem dem schnellen Eingreifen der Feuerwehr zu verdanken gewesen, die den Brand schnell im Griff gehabt habe, so die Sprecherin weiter. Einer der Brandstifter sei inzwischen festgenommen worden. Innenminister Gérald Darmanin, der noch am Donnerstagabend im Polizeipräsidium der Stadt einkehrte, versicherte, dass die Sicherheit "kein Problem" darstelle und der britische Monarch "gut empfangen und willkommen geheißen" werde, wie die Nachrichtenagentur AP berichtet. Dennoch gestand er ein, es habe am Donnerstag eine "enorme Entwürdigung" von öffentlichen Gebäuden und Geschäften gegeben, "weit mehr als bei vorangegangenen Demonstrationen".

Damit bezog der Minister sich auf den Umstand, dass es am Donnerstag im Zuge der Proteste auch in anderen Städten zu Ausschreitungen gekommen war. In Paris etwa spiegelten die Straßenschlachten zwischen der Polizei und schwarz gekleideten, maskierten Gruppen, die mindestens zwei Schnellrestaurants, einen Supermarkt und eine Bank angriffen, die zunehmende Gewalt wider und lenkten die Aufmerksamkeit von den Zehntausenden friedlichen Demonstranten ab. Die Polizei, die mit Molotowcocktails, Gegenständen und Feuerwerkskörpern beworfen wurde, griff mehrfach an und setzte Tränengas ein, um die Randalierer zu vertreiben. Ein Teil des Place de l'Opéra, wo sich die Demonstranten am Ende des Marsches versammelten, war in einen Dunst aus Tränengasschwaden gehüllt. Darmanin gab die Zahl der Radikalen mit etwa 1.500 an.

Auch bei anderen Demonstrationen kam es zu Ausschreitungen, insbesondere in den westlichen Städten Nantes, Rennes und Lorient – wo ein Verwaltungsgebäude angegriffen und der Innenhof der Polizeistation in Brand gesetzt wurde. Zu ähnlichen Szenen kam es auch in Lyon im Südosten Frankreichs. Nach Angaben des Innenministeriums wurden am Donnerstag insgesamt mehr als 170 Menschen festgenommen. In der nordfranzösischen Stadt Rouen wurde Medienberichten zufolge eine junge Frau gesehen, die am Boden lag, nachdem sie eine schwere Verletzung an der Hand erlitten hatte. Zeugen berichteten, sie habe ihren Daumen verloren, nachdem sie von einer sogenannten Blendgranate getroffen worden war, die zuvor von der Polizei abgefeuert worden war, um Demonstranten zu vertreiben.

"Ich bin gegen diese Reform und ich bin wirklich dagegen, dass die Demokratie nichts mehr bedeutet", rechtfertigte sich ein Demonstrant gegenüber Reuters. "Wir werden nicht repräsentiert, und deshalb haben wir die Nase voll." Nur durch Proteste könnten sie sich Gehör verschaffen, erklärte ein anderer Protestteilnehmer der Nachrichtenagentur AFP. Denn auf anderen Wegen sei es nicht gelungen, "diese Reform zurückzunehmen". Die Proteste legten auch den Zugverkehr und die Ölraffinerien lahm. Aber auch Lehrer und Mitarbeiter des Pariser Flughafens Charles de Gaulle legten die Arbeit nieder.

Beliebte Touristenattraktionen wie der Eiffelturm und das Schloss von Versailles, in dem nächste Woche ein Abendessen für König Charles III. und den französischen Präsidenten geplant ist, blieben am Donnerstag ebenfalls geschlossen. Und mit einem Abflauen der Proteste ist weiterhin nicht zu rechnen: Umfragen zufolge lehnen die meisten Franzosen den Gesetzentwurf von Präsident Macron zur Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre ab. Dieser jedoch argumentiert, sie sei notwendig, um das System finanzierbar zu halten. Gegner der Reform schlagen andere Lösungen vor, darunter höhere Steuern für Wohlhabende oder Unternehmen, die laut Macron jedoch der Wirtschaft schaden würden. 

Die landesweiten Protestaktionen waren eine Reaktion auf eine Ansprache des französischen Präsidenten, in der er am Mittwoch versichert hatte, trotz der Proteste an den Plänen zur Erhöhung des Rentenalters festhalten zu wollen. Ebenso hatte er die Forderung der Gewerkschaften und  Oppositionsparteien zurückgewiesen, er solle "dem wachsenden Volkszorn Rechnung tragen". Kritiker griffen Macron daraufhin für seine Äußerungen an und bezeichneten ihn als "selbstgefällig", "weltfremd" und "beleidigend". "Die Straße hat in Frankreich eine Legitimität", so ein Demonstrant in Nantes. "Wenn Herr Macron sich nicht an diese historische Realität erinnern kann, weiß ich nicht, was er hier macht."

"Während der Präsident versucht, das Blatt zu wenden, bestätigt diese soziale und gewerkschaftliche Bewegung ... die Entschlossenheit der Welt der Arbeitnehmer und der Jugend, die Rücknahme der Reform zu erreichen", erklärten die acht Gewerkschaften, die die Proteste organisieren, in einer Erklärung. Sie riefen zu weiteren lokalen Aktionen an diesem Wochenende und zu neuen landesweiten Streiks und Protesten am Dienstag auf.

Die Gewalt, zu der es bei Protesten in Frankreich immer wieder kommt, hatte in den letzten Tagen zugenommen. Die Polizei in Frankreich bereitet sich nach eigenen Angaben daher vor allem in Paris auf weitere gewaltsame Ausschreitungen vor. Laut Darmanin seien am Donnerstag zusätzlich 12.000 Polizisten im Einsatz gewesen, davon 5.000 allein in Paris. Das Bildungsministerium teilte in einer Erklärung mit, dass etwa 24 Prozent der Lehrer an Grund- und Mittelschulen und 15 Prozent der Lehrkräfte an Gymnasien am Donnerstag die Arbeit niederlegten. Am Pariser Bahnhof Gare de Lyon gingen laut Medienberichten mehrere hundert Streikende auf die Gleise, um die Weiterfahrt der Züge zu verhindern, schwenkten Fackeln und skandierten: 

"Und wir werden streiken, und wir werden streiken bis zum Rücktritt (Macrons). Macron, geh weg. Der Präsident der Republik ist kein König." 

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