Ukraine kann Garnison in Artjomowsk nur opfern – um Wagner-Sturmtrupps zu verlangsamen

Ein neuer Frontabschnitt lässt sich im Ukraine-Krieg ausmachen: Zunächst noch nicht geographisch neu, durch das Eröffnen einer neuen Front – vielmehr lassen die enge Verzahnung und die identische Beschaffenheit der Kampfhandlungen am Stück von Artjomowsk bis zu Sewersk im Norden diese Strecke aus dem Frontabschnitt Donbass legitimerweise heraustrennen.

Das Aufgebot der Ukraine im Stadtinneren von Artjomowsk ist schon länger von jeglichen praktikablen Wegen zur Versorgung, Verstärkung und Rückzug abgeschnitten, also militärisch gesehen todgeweiht – doch Kiew gibt seinen Truppen dort immer noch kein Kommando, sich zu ergeben. Das ukrainische Kommando opfert sie also dafür auf, die Sturmtrupps des russischen privaten Militärunternehmens Wagner durch Gefechte zu binden, so lange es eben geht – damit sie nicht nach Norden in die Umgebung von Sewersk vorrücken können, wo ihre Kameraden aktuell ebenfalls im Sturmkampf begriffen sind, hält Juri Podoljaka fest.

Nicht nur sind die in der weiteren Umgebung von Artjomowsk – bei Tschassow Jar und Slawjansk – konzentrierten ukrainischen Truppen außerstande, die operativ eingekesselte Garnison in Artjomowsk zu entlasten. Mehr noch, immer weitere Kontingente werden erzwungenermaßen immer wieder zur Abwehr der russischen Angriffe nahe Tschassow Jar in den Kampf geworfen.
Am Frontabschnitt Saporoschje derweil hat die mehrfach gestaffelte russische Verteidigung eine erste Feuerprobe absolviert: Kiews Truppen haben sich dort an der Aufklärung durch Kampf versucht – und es nicht einmal durch die erste der mehreren Defensivlinien geschafft.

Die ukrainischen Verluste allein an Fahrzeugen sollen sich auf sechs Panzer, ein Rad-Transportpanzer und zwei Schützenpanzer belaufen. Der russische Kriegsberichterstatter Alexander Sladkow beschreibt massive Verteidigungsanlagen und kommentiert:  "Die ukrainischen Truppen wollen bis zur Krim vorstoßen? Diesen Versuch will ich sehen." Juri Podoljaka vertritt eine ähnliche Ansicht: Beim Versuch einer Offensive dort würde Kiews Militär spätestens an der dritten Defensivlinie zum Stillstand gebracht werden – "Doch in Anbetracht der Art und Weise, wie alles aufgebaut ist, sowie der Probleme, die Kiew mit seiner Mobilmachungskampagne und den westlichen Rüstungslieferungen hat, lässt sich begründet hoffen, dass es dem Gegner nicht einmal gelingen wird, die erste Verteidigungslinie zu durchbrechen", so der Militärbeobachter.

Juri Podoljaka ist ein ukrainischer politischer Blogger (auf Youtube hatte sein Kanal vor der Löschung durch die Verwaltung der Plattform 2,6 Millionen Abonnenten) und Journalist aus Sumy (er wohnt seit dem Jahr 2014 im russischen Sewastopol), dessen Einsichten im Zeitraum um den Beginn der Intervention in den russischen Medien zunehmend gefragter wurden. Seine Analyseausgaben warten mit nur wenigen Zahlen auf – dafür vermittelt er durch Arbeit mit Karten aber ein gutes Verständnis vom räumlichen Umfang der jeweiligen Entwicklungen und bietet dann und wann kurzfristige Prognosen.

An Quellen bemüht Podoljaka einerseits offen zugängliche Daten: Dies sind Meldungen von Augenzeugen in den sozialen Medien sowie Meldungen des russischen, aber auch des ukrainischen Verteidigungsministeriums. Andererseits gibt er Insiderquellen an: Neben solchen in den Volksmilizen und Sicherheitsorganen der russischen Volksrepubliken Donezk und Lugansk seien dies solche in den ukrainischen Sicherheits- und Regierungsbehörden, die er aufgrund alter Beziehungen aus der Zeit als ukrainischer Journalist noch zu unterhalten erklärt. Um es mit dem aktuellen Jargon der Aufklärungsdienste auszudrücken, ist Juri Podoljaka also vornehmlich ein OSINT-Analyst.