Von Gert Ewen Ungar
Die georgische Regierung hat inzwischen ein Gesetzesvorhaben zurückgezogen, das mehr Transparenz hätte bringen sollen. Die Proteste gegen ein geplantes Transparenz-Gesetz nahmen in den letzten Tagen dramatisch zu. Inzwischen hat die Regierung das Gesetz auf Eis gelegt und dem Druck der Straße nachgegeben. Dessen ungeachtet gehen die Proteste weiter. Der Vorgang ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert und wirft erneut ein Schlaglicht auf die Einseitigkeit deutscher Berichterstattung. Es droht eine Wiederholung ukrainischer Verhältnisse von 2014, die den Putsch gegen die ukrainische Regierung zur Folge gehabt und zu einem Bürgerkrieg im Osten des Landes geführt hatte.
Der Sturz der jetzigen georgischen Regierung wäre im Interesse der EU, denn die Regierung unter Premierminister Irakli Gharibaschwili versucht eine Politik des Ausgleichs und der Annäherung an das Nachbarland Russland. Georgien verweigert Waffenlieferungen an die Ukraine und ließ in letzter Zeit deutlich weniger Interesse an einer Aufnahme in die NATO erkennen. Damit stellt sich Georgien konträr zu westlichem Blockdenken und dem Projekt der immer weitergehenden Ausdehnung des Einflussraums der EU und der NATO.
Ausgangspunkt der Unruhen war ein Gesetzesvorhaben der Regierungspartei "Georgischer Traum" für eine Kennzeichnungspflicht für Organisationen, die mehr als 20 Prozent ihrer finanziellen Mittel aus dem Ausland erhalten. Ähnliche Gesetze gibt es unter anderem in Russland und den USA. Auch in den sozialen Netzwerken werden Personen und Medien gekennzeichnet, die Regierungen vertreten oder von Staaten finanziert werden. Der Vorgang ist objektiv betrachtet wenig skandalös.
Die Proteste gegen das Gesetz setzten spontan ein, wobei die Teilnehmerzahl unmittelbar hoch war. Medien sprachen von bis zu 15.000 Teilnehmern. Die Proteste eskalierten schon am ersten Tag. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Darüber berichten auch deutsche Medien. Einen Sturm der Demonstranten auf das georgische Parlament verschweigen sie jedoch. Bilder des russischen Fernsehens zeigen Demonstranten bei dem Versuch, ins Parlamentsgebäude zu gelangen. Sie zeigen zudem, wie Demonstranten, Fassade und Einfassung demolieren und demontieren.
Das Schweigen hierzu verweist auf die Parteilichkeit deutscher Medien. Beim Sturm aufs Kapitol oder dem sogenannten "Sturm auf den Reichstag" in Berlin im Sommer 2020 hatten die Medien die Demokratie in ihrem Kern bedroht gesehen. Jetzt verschweigen diese Medien den Versuch georgischer Demonstranten, das georgische Parlament unter ihre Kontrolle zu bringen. Dies macht den doppelten Standard in der deutschen Berichterstattung deutlich.
Parteilich geht es in den deutschen Medien weiter: Sie weisen darauf hin, dass die Vorlage zum Gesetz aus Russland kommt. Russland habe 2012 ein ähnliches Gesetz erlassen. Das allerdings ist nur die halbe Wahrheit. Russland hat das Gesetz erlassen, nachdem die USA ein Meldegesetz aus dem Jahr 1938 reaktiviert hatten, das sich ursprünglich gegen die Einflussnahme des faschistischen Deutschland auf die Meinungsbildung in den USA gerichtet hatte, nun aber gegen russische Medien in Stellung gebracht worden war. Dieser Kontext wird verschwiegen, ebenso die unterschiedliche Anwendungsweise in den USA und in Russland. Verschwiegen wird zudem, dass eine Kennzeichnungspflicht inzwischen weit verbreitet ist – auch in der EU.
Hingewiesen wird in deutschen Medienberichten stattdessen darauf, dass das russische Gesetz dazu benutzt werde, NGOs und "unabhängige Berichterstattung" in Russland unter Druck zu bringen und die entsprechenden Organisationen zu schikanieren. Belege dafür werden nicht gebracht. Wozu auch? Es passt ins Bild, das deutsche Medien von Russland zeichnen.
Fakt ist, dass Medien und Organisationen, die als "ausländischer Agent" eingestuft werden, in Russland weiter arbeiten können und dies auch tun. Die Einstufung als "ausländischer Agent" hat nicht automatisch die Einstufung als "extremistisch" zur Folge. Als extremistisch werden lediglich Organisationen eingestuft, die die staatliche Ordnung Russlands nicht anerkennen. So ist beispielsweise das Zentrum Liberale Moderne in Russland als extremistisch eingestuft und verboten worden. Das Zentrum mischte sich aktiv in die inneren Angelegenheiten Russlands ein und verfolgte unverhohlen die Ablösung dessen, was es das "System Putin" nennt. Die Aktivitäten des Zentrums zielten offen auf den Umsturz ab, und es wurde daher aus ganz nachvollziehbaren Gründen verboten.
Dass die georgische Regierung inzwischen zurückgerudert ist, beruht augenscheinlich auf der Befürchtung, es könnte zu ähnlichen Verhältnissen wie 2014 in der Ukraine kommen. Der Verdacht liegt nahe, dass die Proteste von außen gesteuert werden und eine Farbrevolution nach Vorlage des Maidan zum Ziel haben. Bisher hat der Schritt nicht zu einem Abebben der Proteste geführt. Auch das ist eine Parallele zu den Geschehnissen in der Ukraine 2014. Unwahrscheinlich ist, dass sich an einem Gesetz, das nicht unmittelbar die Lebensbedingungen der Bürger verschlechtert, ein derart umfassender Protest ohne ausländische Unterstützung entzündet, wie es aktuell in Georgien der Fall ist.
Folgt man den großen deutschen Medien in ihrer Argumentation, setzen sich die georgischen Demonstranten gegen angebliche russische Einflussnahme zur Wehr. Die Argumentation ist insgesamt nicht stimmig. Der Ablauf der Ereignisse lässt diese Inkonsistenz deutlich zutage treten. Mit dem Gesetzesvorhaben sollte die Finanzierung durch das Ausland offengelegt werden. Betroffen hätte dies vor allem Organisationen, die Gelder aus dem Westen erhalten, denn Russland vertritt seine Interessen im Ausland kaum über NGOs und nicht staatliche Organisationen. Damit wird klar, dass es nicht um den Schutz von Pressefreiheit geht, wie deutsche Medien vorgeben, sondern sich die Proteste gegen die Offenlegung von Manipulation und Einflussnahme durch westliche Organisationen richten.
Der Protest der Demonstranten richtet sich gegen Transparenz. Sie möchten nicht, dass transparent gemacht wird, welche in Georgien tätigen Organisationen, aus dem Ausland für ihre Arbeit Geld erhalten. Es ist unwahrscheinlich, dass sich in diesem Kontext spontan so umfassender Protest erhebt, wie er sich in den letzten Tagen in Georgien gezeigt hat. Eine weitere Parallele zum Maidan ist die allseits präsente EU-Symbolik. Die Einmischung und Steuerung von außen wird dadurch offensichtlich.
Aber noch etwas ist auffällig: Ähnlich wie bei den Maidan-Protesten 2013 und 2014 in der Ukraine wurden die Proteste als Ausdruck einer Sehnsucht der Georgier nach Freiheit und Demokratie geframt. Ob die georgische Mehrheitsgesellschaft glaubt, die EU stehe für Freiheit, Demokratie und Wohlstand, kann angesichts der Entwicklung der EU in den letzten Jahren bezweifelt werden. Die EU greift zum Mittel der Zensur zur Unterdrückung unliebsamer Meinungen, fördert Militarisierung und Aufrüstung und lehnt Diplomatie als Mittel zur Konfliktlösung ab. Vor den bedenklichen Entwicklungen in der Ukraine hin zur Diktatur verschließt die EU die Augen. Ihre Selbstbeschreibung als Hort der Demokratie und der westlichen Werte ist angesichts der Entwicklung der EU in den letzten Jahren völlig unglaubwürdig, eine Annäherung wird immer weniger erstrebenswert. Sie bedeutet die Preisgabe nationaler Souveränität.
Die Regierungspartei Georgischer Traum, die sich um ein ausgewogenes Verhältnis zu Russland bemüht, wurde 2019 mit großer Mehrheit in die Regierung gehoben und hat 81 der insgesamt 150 Sitze inne. Sie repräsentiert die Mehrheit. Der Kurs der Annäherung ist von den Bürgern Georgiens gewollt und wurde legitimiert.
Außerhalb der eigenen Sphäre ist der Glaube, die Länder des Westens stünden für Demokratie und freiheitliche Werte ohnehin sehr gering ausgeprägt. Im Gegenteil stehen die westlichen Länder für die Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder, um dort ihre Machtinteressen durchzusetzen. Die Indizien deuten darauf hin, dass dies jetzt auch in Georgien passiert ist.
Der EU und der NATO droht angesichts der Entwicklung in Europa ein Einflussverlust in Georgien. Es ist anzunehmen, dass der Westen dies nicht hinnimmt und ähnlich wie in der Ukraine beabsichtigt, auch in Georgien eine EU-freundliche Marionettenregierung zu installieren. Damit wiederholt der Westen alle gemachten Fehler in der Ukraine und verfolgt weiterhin das Ziel der Destabilisierung des europäischen Kontinents.
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