Von Nikolai Storoschenko
Die ukrainische Wirtschaft erlebt einen beispiellosen Niedergang – die Stahlproduktion ist zusammengebrochen, das Bruttoinlandsprodukt sank um ein Drittel, die Griwna hat an Wert verloren, und die erwerbsfähige Bevölkerung hat das Land verlassen. Dessen ungeachtet funktioniert das Kiewer Regime weiterhin, und die Goldreserven des Landes nehmen sogar zu. Dieser Widerspruch lässt sich einfach erklären: Es ist eigentlich nicht mehr die Ukraine von früher, die wir hier beobachten. Der Westen hat etwas ganz Neues geschaffen.
Bekanntermaßen waren Metall und Getreide in den letzten Jahren die ertragreichsten Exportgüter der Ukraine. Im Wesentlichen lebte davon die gesamte ukrainische Wirtschaft.
Doch nun ist den Angaben von "Ukrmetallurgprom" zufolge die Stahl- und Walzstahlproduktion in der Ukraine im Januar 2023 im Jahresvergleich um 85 Prozent eingebrochen. Dabei sind diese Zahlen nicht neu: Aufgrund der Kampfhandlungen war die Produktion das ganze Jahr über rückläufig (-70 Prozent).
Die Hauptexporte eingebrochen
Die ukrainischen Exporteure selbst geben an, dass die Nichtverfügbarkeit des Seewegs im vergangenen Jahr zu monatlichen Einnahmeausfällen von etwa 420 Mio. USD geführt hat (also rund 4 Mrd. USD über das Jahr gerechnet). Den Statistiken zufolge sind die Verluste sogar weitaus höher, mehr als doppelt so hoch. Die Exporte von Eisenmetallen brachten der Ukraine im Jahr 2021 um die 14 Milliarden Dollar ein, im Jahr 2022 hingegen nur etwa 5 Milliarden Dollar. Und dazu kommen noch die Verluste der Exporteure von Eisenerz: eine Differenz zwischen 6,9 Mrd. USD im Jahr 2021 und 2,9 Mrd. USD im Jahr 2022. Für das Gesamtjahr ergibt sich somit ein Minus von 13 Milliarden.
Die Agrarwirtschaft der Ukraine wurde durch den Getreide-Deal und die hohen Getreidepreise begünstigt. Lagen aber die Erträge aus Getreide und Ölsaaten im Jahr 2021 immerhin bei 22,2 Milliarden Dollar, so brachten die vier Hauptprodukte (Mais, Sonnenblumenöl, Weizen, Sonnenblumenkerne) der Ukraine im Jahr 2022 nur noch 15,2 Milliarden Dollar ein.
Insgesamt erzielten die Exporte der Ukraine im Jahr 2022 44 Milliarden Dollar (und damit 24 Milliarden Dollar weniger als 2021). Zumal die Ukraine ohne das Getreideabkommen wohl kaum über 35 Mrd. Dollar hinausgekommen wäre.
Hauptsächlich ist der Rückgang der Exporte mit dem Wegfall von Exportkapazitäten in den Häfen zu erklären – ihr Güterumschlag sank auf 59 Millionen Tonnen, im Vergleich zu 153 Millionen Tonnen im Jahr 2021. Außerdem mussten viele Produzenten in der ersten Jahreshälfte ihren Output drosseln, wegen der Verlegung von Produktionsanlagen.
Die fehlende Arbeitskraft
Einen negativen Einfluss auf die Wirtschaft hatte die massive Abwanderung von Arbeitskräften aus der Ukraine. In der Zeit vor der militärischen Sonderoperation wurde der Begriff "präsente Population" eingeführt (die von Kiew kontrollierte Territorien abzüglich der geschätzten Zahl der Arbeitsmigranten). Diese Zahl belief sich auf 37 Millionen Menschen. Der Etat für das Jahr 2023 ging von 34,5 Millionen Menschen aus (die nach Russland abgewanderten oder in Russland gebliebenen wurden abgezogen). Von dieser Zahl sind weitere rund 5 Millionen Flüchtlinge abzuziehen, die sich in der EU aufhalten. Zu Beginn des Jahres 2022 betrug die Zahl der erwerbsfähigen Bevölkerung 17,4 Millionen.
Wenn man davon ausgeht, dass die erwerbsfähige Bevölkerung proportional abgenommen hat, dürfte allein die Migration zu einem Rückgang von etwa 3,8 Millionen Menschen im erwerbsfähigen Alter geführt haben (13,6 Millionen). Subtrahieren wir davon weitere rund 500.000, die nach dem Beginn der Sonderoperation zum Militärdienst einberufen wurden, sowie die geschätzten militärischen Verluste (mindestens 100.000 Menschen), so kommen wir auf 13 Millionen Menschen. Der Zusammenbruch des Arbeitsmarktes war jedoch noch viel gewaltiger: 2,6 Millionen Menschen galten am Ende des Jahres offiziell als arbeitslos, wobei Schätzungen eher von fünf Millionen ausgehen.
Andererseits war der Einfluss der Flüchtlingsströme nach Europa und der Ausfall der Häfen auf die Importe viel geringer und sank lediglich auf 55 Mrd. USD (69 Mrd. USD im Jahr 2021). Wobei hier der Schmuggel nicht mitgerechnet ist, dessen Volumen 2022 deutlich zunahm.
Das Spiel mit dem Wechselkurs
Eine solche Diskrepanz zwischen Importen und Exporten bei einem Rückgang des BIP von 200 Mrd. USD (2021) auf 130 Mrd. USD bedeutet entweder eine Schwächung der nationalen Währung oder eine Devisenmarktintervention zur Stützung des Wechselkurses. Beides ist in der Ukraine der Fall.
Nach dem Beginn der militärischen Sonderoperation fiel der reale Marktkurs der Griwna von 28 auf 36 pro Dollar. Die Regierung und die Nationalbank konnten den offiziellen Wechselkurs bis Ende Juli bei 29,25 Griwna pro Dollar aufrechterhalten, mussten ihn dann aber auf 36,56 Griwna pro Dollar abwerten (ein Kurs, der bis heute gilt).
Einer der Gründe für diese Entwertung war die Griwna-Emission. Insgesamt brachte die Nationalbank im Jahr 2022 zusätzliche 400 Milliarden Griwna in Umlauf. Doch die Hälfte des Betrags kam in nur drei Monaten (April–Juni) auf den Markt. Ein weiterer Grund ist der Getreide-Deal, der am Folgetag der Geldentwertung abgeschlossen wurde. Dieses Geschäft brachte Devisenerlöse ein – und für die Exporteure war es wichtig, diese Devisen auf dem Markt zu veräußern.
Wie bereits erwähnt, konnte der Erlös aus den Exporten die Situation nicht wesentlich verbessern. Die Nationalbank war dennoch gezwungen, Devisen auf den Markt zu bringen. Dabei hat das Volumen der Interventionen den Bedarf der Importeure deutlich überschritten. Die Differenz zwischen Exporten und Importen betrug 11 Milliarden Dollar, und die Nationalbank verkaufte im Laufe des Jahres 26,7 Milliarden Dollar.
Die Reserven blieben intakt
Der fieberhafte Ausverkauf der Devisenreserven hatte allerdings keinerlei Auswirkungen auf deren Bestand, sie sind sogar von 28 Mrd. $ auf 29 Mrd. $ (Anfang 2023) angewachsen. Wie ist dies möglich?
Unterschiedlichen Schätzungen zufolge hat die Ukraine im Jahr 2022 zwischen 28 und 32 Mrd. USD an Krediten und sonstigen Hilfsgeldern ohne Rückzahlungspflicht von ihren Verbündeten erhalten. Dies ist an der Höhe der Staatsverschuldung zu erkennen, die von 57 Mrd. USD (2022) auf 71,4 Mrd. USD (2023, +14,2 Mrd. für das Jahr) gestiegen ist.
Dasselbe Schema ist auch für das Jahr 2023 geplant. Das Haushaltsbudget rechnet mit einem Verlust von 38 Mrd. USD, was um eine Größenordnung höher ist als in den Jahren, in denen das Land am schlechtesten gewirtschaftet hat. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Kristalina Georgieva, schätzte den Bedarf der Ukraine an externer Finanzierung im Jahr 2023 auf 40 bis 48 Milliarden Dollar (im schlimmsten Fall auf 57 Mrd. USD).
Und die Spender sind bereits engagiert: Die EU stellt der Ukraine in diesem Jahr 18 Milliarden Euro zur Verfügung, von denen die Ukraine bereits drei erhalten hat. Die Vereinigten Staaten haben 45 Milliarden Dollar für die Ukraine budgetiert. Wie wir sehen, reicht das selbst im Falle des ungünstigsten Szenarios völlig aus. Obwohl der IWF selbst gerade mit der Ausarbeitung eines Finanzierungsprogramms für die Ukraine beschäftigt ist: Voraussichtlich wird die Ukraine über mehrere Jahre 14 bis 16 Milliarden Dollar erhalten können (fünf bis sieben Milliarden im Jahr 2023).
Beispiellose Großzügigkeit und ihre Enthüllung
Von diesen vielen Milliarden flimmert es einem buchstäblich vor den Augen, nicht wahr? Insbesondere, wenn man sich an die früheren Erfahrungen der Ukraine mit ihren Gläubigern im Ausland erinnert. So verhandelte die EU mehrere Jahre lang über mickrige 1,5 Milliarden Euro und forderte von der Ukraine die Aufhebung des Moratoriums für die Ausfuhr von Rundholz. Oder die Bedingung der heutigen US-Präsidenten Joe Biden, den Staatsanwalt Schokin zu entlassen, um der Ukraine eine Kreditgarantie in Höhe von 1 Milliarde US-Dollar zu gewähren. Unvergesslich bleibt auch, was die Ukraine im Gegenzug für ein paar Milliarden Dollar vom IWF tun musste: Da ging es um den Ausverkauf von Land, den Verkauf der größten staatlichen Banken an internationale Investoren, die Privatisierung von "Energoatom" (dem Betreiber der ukrainischen Kernkraftwerke) und die totale Kontrolle internationaler Strukturen über den Finanz- und Bankensektor. Und in diesem Zusammenhang sei noch eine Bedingung des IWF aus der Vergangenheit erwähnt: ein Haushaltsdefizit von nicht mehr als 188 Milliarden Griwna. Heute beträgt das Defizit 1,3 Billionen – und das interessiert den Fonds überhaupt nicht.
Wie erklärt es sich aber, dass die arme und friedliche Ukraine keinen Cent zu viel erhielt, während eine Ukraine, die ihr Land, die Bevölkerung und die Wirtschaft verloren hat, buchstäblich mit Geld überschwemmt wird?
Jedes Land beteiligt sich mit seinen Waren am Weltmarkt. Für die Ukraine waren das lange Zeit Getreide und Metall – und sind es immer noch, wenngleich in viel geringerem Maße. Doch die Ukraine hat sich eine neue Marktnische erschlossen: Sie verkauft der ganzen Welt den Krieg mit Russland.
Und es hat sich herausgestellt, das der Bedarf an dieser Dienstleistung so groß ist, dass in der Ukraine zwei parallele Wirtschaftssysteme existieren. Eine traditionelle, mit Importen, Exporten, Schmelzen und Mahlen. Und die neue, wo man Milliarden an Krediten und Zuschüssen sowie Waffen bekommt (die früher nur den Verbündeten zur Verfügung standen). Und das alles in der Größenordnung Ihres jährlichen Bruttoinlandsproduktes. Was, ist Ihr BIP etwa um 30 Prozent gesunken? Kein Problem! Hier ist ein weiteres BIP mit Krediten und M142 HIMARS. Kämpfen Sie einfach weiter, hören Sie nicht auf!
Eine Sache ist, einfach zu hören, dass man in der Ukraine gegen einen geeinten Westen antritt. Doch das ist keine Hypothese, nicht bloß eine leere Propagandafloskel. Der geeinte Westen, vertreten durch die USA, die EU und den IWF, ist gegeben. Und auch die militärische Dienstleistung ist gegeben, die großzügig vergütet wird. Waffen, Geld, Lebensmittel, Medikamente, neuerdings sogar Strom. All dies wird nicht von der ukrainischen Wirtschaft produziert. Die Ukraine selbst gleicht heute einem Handschuh an der Hand eines Fremden, einer Marionette mit einer Eisenstange.
Das, womit wir es heute zu tun haben, ist schon zur Hälfte keine Ukraine mehr. Und die Wirtschaft ist dafür ein direkter Beweis.
Zuerst erschienen bei Wsgljad. Übersetzt aus dem Russischen.
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