Von Tom J. Wellbrock
Vorbemerkung: Diese Chronologie ist stark komprimiert und springt zeitlich, wenn es mir angemessen erschien. Sie soll jenen als Einstieg in das Thema dienen, die sich bisher mit dem Ukraine-Konflikt nicht oder nur wenig befasst haben. Eine tiefere Beschäftigung mit dem Thema sei also jedem empfohlen.
Im Zweiten Weltkrieg
Deutsche und ukrainische Nazis haben im Zweiten Weltkrieg teils sehr eng zusammengearbeitet und gemeinsam gemordet. Nach der Befreiung vom deutschen Nationalsozialismus konnten zahlreiche ukrainische Nazis in westliche Staaten fliehen, unter anderem nach Deutschland und in die USA. Dort wurden sie nicht zur Rechenschaft gezogen, sondern lebten unbehelligt ihr Leben, bis es zum natürlichen Tode kam. Eine der Ausnahmen bildet Stepan Bandera, der in München ermordet wurde – vermutlich vom sowjetischen Geheimdienst. Die Nürnberger Prozesse, die zur Verurteilung vieler Nazis geführt hatten, ließen ukrainische Nazis außen vor.
Ukrainische Nazis plünderten, folterten und mordeten noch bis in die Mitte der 1950er Jahre hinein in der Ukraine. Sie kämpften zu diesem Zeitpunkt gegen die Sowjets, die die Ukraine – und zuletzt die West-Ukraine – von den deutschen Nazis befreit hatten. Nach und nach nahm ihre Bedeutung ab, doch sie verschwanden nie und warteten auf ihre Chance, sich neu zu formieren.
Die "Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN)", die unter Stepan Bandera schon während des Zweiten Weltkriegs eine Rolle gespielt hatte, wurde im Laufe der Zeit immer wieder von unterschiedlichen politischen Gruppen geehrt und gefeiert. Ex-Botschafter Andrei Melnyk war also wahrlich nicht der erste, der Bandera und die OUN reinwaschen wollte.
Die angesprochene Chance, zu neuem Einfluss zu kommen, begann mit der deutschen Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Aus der staatlich gelenkten Ukraine wurde ein Markt der Privatisierungen, was die Ungleichheit innerhalb der Bevölkerung massiv verstärkte und die soziale Frage in den Vordergrund rückte. Neofaschistische Gruppen konnten auf diesem Nährboden wachsen und zahlreiche Anhänger für sich gewinnen.
Die Orangene Revolution
Im Jahr 2004 kam es in der Ukraine zur sogenannten Orangenen Revolution, was nichts anderes beschreibt als einen Umsturz, initiiert durch die USA. Der Plan war klar: die Installation eines ukrainischen Präsidenten, der im Sinne der Vereinigten Staaten agiert.
Die Wahl fiel auf Wiktor Juschtschenko, der gemeinsam mit der auserkorenen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko allerdings einen ziemlich missratenen Job machte. Beide zerstritten sich, die Bevölkerung wandte sich ab, und im Jahr 2010 wurde Wiktor Janukowitsch Präsident der Ukraine. Auf ihn wartete eine Herausforderung, denn neben der Zusammenarbeit mit Russland bzw. den GUS-Staaten war ein Assoziierungsabkommen mit der EU in Verhandlungen.
Diese Verhandlungen nahmen im Jahr 2013 Fahrt auf, doch sie führten nicht zu dem aus europäischer Sicht gewünschten Ergebnis. Janukowitsch wollte das Abkommen in dieser Form nicht, weil es sein Land vor die Wahl zwischen Europa und Russland stellte. Zumindest wären die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland auf eine harte Probe gestellt worden, denn für die Ukraine drohten wirtschaftliche Schwächungen durch billige EU-Produkte, und Russland hätte unter EU-Waren ohne Zölle leiden müssen.
Russlands Bemühungen, diese Probleme gemeinsam zu lösen, quittierte der damalige EU-Kommissionspräsident Barroso mit den Worten, dass Russland die Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine nichts angingen. Moskau entgegnete, dass in diesem Fall das Abkommen zwischen Russland und der Ukraine aufgelöst werden müsse, der Preis für die russische Wirtschaft sei zu hoch. Das schreckte Präsident Janukowitsch auf, dem die lange Geschichte der wirtschaftlichen Verbundenheit mit Russland bewusst war. Russland war also ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Ukraine, und so entschied sich Janukowitsch, das Assoziierungsabkommen mit der EU vorerst nicht zu unterschreiben.
2014: Der Euro-Maidan
Der Westen und die USA waren mit der Ukraine bekanntlich noch nicht fertig. Und so folgte die nächste "Revolution", diesmal unter dem Zeichen der Maidan-Proteste oder des Euro-Maidan.
Erneut ging die Initiative und insbesondere die Finanzierung von den USA aus. Victoria – Fuck the EU – Nuland hatte freimütig zugegeben, dass für die Installation einer neuen Regierung mehr als 5 Milliarden Dollar in die Hand genommen wurden, um das Vorhaben zu realisieren.
Bei den Protesten auf dem Maidan spielten erneut faschistische Gruppen eine wichtige Rolle, und das dürfte wiederum dem abgewählten Präsidenten Juschtschenko gefallen haben, der gewissermaßen als letzte Amtshandlung im Jahr 2010 Stepan Bandera zum "Held der Ukraine" ernannt hatte. Sein Nachfolger Janukowitsch machte diese Ernennung wieder rückgängig, nachdem er Präsident geworden war.
Die eskalierende Gewalt auf dem Maidan stellte die politische Führung der Ukraine vor eine unüberwindbare Aufgabe. Insbesondere die Polizei, die angewiesen war, alles zu tun, um eine Eskalation zu verhindern, war zunächst ratlos, dann hilflos und am Ende Opfer von Schlägertrupps, die sogar Polizisten in Brand setzten. Da die Proteste gewissermaßen wie Familienausflüge unzufriedener Bürger begonnen hatten, hoffte die Regierung um Janukowitsch, durch Gespräche eine Einigung erzielen zu können. Doch eine solche war für die amerikanischen Drahtzieher zu keinem Zeitpunkt eine Option. Die Polizei, die zunächst unbewaffnet die Demonstrationen überwacht hatte, wurde von der Heftigkeit der Angriffe überrascht.
Zynisch in diesem Zusammenhang: Die zivilen Opfer der Proteste, die angeheuerten Scharfschützen und mit Baseballschlägern bewaffneten Faschisten zum Opfer fielen, wurden im Anschluss durch die Täter geehrt und betrauert. Der Großteil der anderen Demonstranten bemerkte diesen Zynismus nicht. Drei plötzlich neu gegründete Fernsehsender dokumentierten die Demonstrationen und stellten es so dar, als sei die Gewalt ausschließlich von der Polizei ausgegangen.
Die verfassungswidrige Entmachtung des Präsidenten
Das frühzeitige Ende des ukrainischen Präsidenten Janukowitsch war seine Entmachtung. Eine Legitimation gab es für sie nicht, denn die nötige parlamentarische Mehrheit kam nicht zustande, weitere gesetzliche Hürden wurden ebenfalls ignoriert. Das hinderte die Umstürzler aber nicht daran, ihren Präsidenten "vom Hof zu jagen", und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Janukowitsch floh mit einem Hubschrauber. Die Fahrzeugkolonne, in dem seine Widersacher ihn vermuteten, wurde beschossen – allerdings bekanntlich, ohne den Präsidenten töten zu können, was die Absicht der Angriffe gewesen war.
Die neue Regierung kam also faktisch illegal ins Amt und nahm einen ukrainischen Verfassungsbruch in Kauf. Das störte weder den neuen Präsidenten Arsenij Jazenjuk von der nationalistischen Partei "Swoboda" noch den Westen, der den neuen Staatsführer mit offenen Armen empfing. Inzwischen war unter Gnaden der USA auch Wladimir Klitschko ins Spiel gekommen, der im Zuge des Umsturzes eng mit Swoboda zusammengearbeitet hatte. Später sagte er:
"Das ist keine Zusammenarbeit. Wir haben uns im Kampf gegen das Regime zusammengetan, mehr nicht."
Und überhaupt, so die westliche Erzählung, habe die Partei Swoboda kaum Einfluss gehabt. Zwar stellte sie drei Minister, diese hätten aber nicht viel zu sagen gehabt. Und auch der rechtsextreme "Rechte Sektor" sei von Moskau überbewertet worden.
Angriff auf den Donbass
Tatsächlich begann mit der neuen – es sei daran erinnert – illegal formierten ukrainischen Regierung der Druck auf den Donbass und die Krim. Die russische Sprache wurde nicht mehr anerkannt, die russischstämmigen Menschen der Ukraine erfuhren erheblichen Druck. Hatte Janukowitsch kurz nach seiner Amtseinführung im Besonderen mit Blick auf die Ost- und Süd-Ukraine Russisch als zweite Amtssprache eingeführt, dauerte es nach seinem Sturz nur einen Tag, bis diese Entscheidung wieder rückgängig gemacht wurde.
Die Krim entging diesem Druck durch ein Referendum, das bis heute als illegal bezeichnet und vom Westen nicht anerkannt wird. Doch die Abspaltung von der Ukraine und Zuwendung zu Russland blieben bestehen, sehr zum Ärger der Regierung Kiews. Entgegen der westlichen Erzählung war es nicht so, dass Russland das Referendum den Menschen auf der Krim aufgezwungen hatte. Es war genau umgekehrt: Die Menschen auf der Krim hatten gesehen, was in Kiew passiert war und stellten sich offensiv dagegen, ebenfalls in den Sog der neuen Regierung zu geraten. Im Westen wurde das Bild einer Zwangsveranstaltung vermittelt, da russisches Militär vor Ort war. Die Medien machten daraus eine militärische Aktion, die die Menschen mit Gewalt zum Referendum trieb.
Das ist schlicht gelogen. Schon kurz nach dem Regierungssturz in Kiew machte sich auf der Krim Widerstand breit, die Bevölkerung wollte in jedem Fall Russland zugehörig sein. Die Präsenz des Militärs war im Übrigen nicht außergewöhnlich, da die Krim schon historisch bedingt ein wichtiger Militärposten der Russen war. Bei dem Referendum wurde niemand verletzt oder getötet, nach der Bekanntgabe des Ergebnisses wurde ausgiebig gefeiert, inklusive Feuerwerk. Für den Anschluss an Russland hatten sich weit über 90 Prozent der Menschen entschieden, die Abstimmungsbeteiligung lag ebenfalls bei deutlich über 90 Prozent.
Beim Donbass hielt sich Russland deutlich bedeckter, vermutlich genährt durch die Hoffnung, es käme zu einer gütlichen Einigung. Und so sah Russland lange – nicht wenige sagen: zu lange – zu, wie der Druck von Kiew auf den Donbass stetig wuchs. Heute ist bekannt und international anerkannt, dass im Donbass rund 14.000 Menschen durch Angriffe aus der West-Ukraine ums Leben kamen. Doch über die physischen Attacken hinaus erfuhren die Menschen im Donbass weitere Schikanen, etwa fehlende oder verzögerte Auszahlungen von Geldern wie Renten oder die teilweise Zerstörung oder Unterbrechung zum Beispiel der Wasserversorgung.
Wie auch auf der Krim hatten die russischstämmigen Ukrainer im Donbass wahrgenommen, dass von einem Tag auf den anderen die russische Sprache verbannt wurde, entsprechend wachsam waren sie. Da aus der Anbindung an Russland zu diesem Zeitpunkt nichts wurde, formierten sich die Menschen in der Ost-Ukraine selbst. Damit begann ein mehr als acht Jahre dauernder Beschuss der West-Ukraine auf – wie es oft heißt – das eigene Volk, die eigenen Leute. Man muss allerdings in diesem Zusammenhang ergänzen, dass die Bezeichnung "eigene Leute" oder "eigenes Volk" nicht korrekt ist. Wie schon die Faschisten von Swoboda oder dem Rechten Sektor immer wieder betonten, wollten sie von Russen, Juden und anderem "Gesindel" nichts wissen. Sie waren es auch, die nach Janukowitschs Entscheidung, die russische Sprache zur zweiten Amtssprache zu machen, am lautesten protestierten und Rache und Vergeltung ankündigten.
Widerstand gab es auch in Odessa, wo am Ende 48 Menschen starben, die nach Angriffen von Hooligans und Auftragsfaschisten der West-Ukraine in das Gewerkschaftshaus geflüchtet waren. In Odessa wurden auch Gesichter gesehen, die zuvor auf dem Maidan aktiv zur Eskalation beigetragen hatten. Im ukrainischen Fernsehen wurde im Anschluss an die Morde von Odessa die Meldung frenetisch bejubelt, dass keine "Ukrainer" ums Leben gekommen waren, sondern "nur" abtrünnige russischstämmige Menschen.
Russlands Anerkennung der Volksrepubliken
Bekanntlich erkannte Russland kurz vor dem Beginn des aktuellen Krieges am 24. Februar 2022 die Volksrepubliken an. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich ab, dass eine Eskalation bevorstand. Doch man muss wissen, dass Putin bis zuletzt versucht hat, beim Westen Gesprächsbereitschaft zu erzeugen, um gemeinsam eine friedliche Lösung zu erzielen. Auch der Druck im eigenen Land ist dabei nicht zu unterschätzen. Wie oben erwähnt, gab es in Russland Kritiker, die Putin Untätigkeit in Sachen Donbass vorwarfen. Es war nur folgerichtig, dass der russische Präsident sich diesem Druck nicht dauerhaft entziehen konnte. Und so kam es zu der Abstimmung in der Duma, die Anerkennung der Volksrepubliken war besiegelt.
Man kann geteilter Meinung darüber sein, ob die Anerkennung der Volksrepubliken zu diesem Zeitpunkt klug war, ebenso wie man die Referenden mitten im Ukraine-Krieg unterschiedlich bewerten kann. Unabhängig von der Frage des richtigen oder falschen Zeitpunkts muss man jedoch konstatieren, dass die Situation, wie sie war, irgendwann einen Punkt erreichen musste, der nach Entscheidungen verlangt. Der Westen jedenfalls hätte jede Möglichkeit gehabt, die Eskalation bis hin zum Krieg zu verhindern. Heute ist bekannt, dass er daran kein Interesse hatte, und die Aussage der ehemaligen deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), wonach das Abkommen "Minsk 2" lediglich dazu diente, der Ukraine Zeit für eine entsprechende militärische Aufrüstung zu verschaffen, ist nur eine unter vielen, die belegen, dass der Ukraine-Krieg vom Westen bzw. den USA ausdrücklich gewollt war.
Lösungen
Es ist gar nicht so schwer, zu einer Lösung des Ukraine-Konflikts zu kommen. Zumindest dann nicht, wenn man davon ausgeht, dass die USA und der Westen Russland unterstellen, die gesamte Ukraine einnehmen und/oder vernichten zu wollen. In Anbetracht der irrigen Annahme, dass Putin neben der Ukraine noch weitere Länder überfallen und vereinnahmen will, könnte man diese Behauptungen als Verhandlungsgegenstand nutzen.
Der Autor dieses Textes ist überzeugt davon, dass Russland weder ein Interesse noch die Kapazitäten hat, Länder zu überfallen und einzunehmen. Als Verhandlungsgrundlage könnte diese Unterstellung aber nützlich sein, wenn man sie zur russischen Maximalforderung erhebt. Denn davon ausgehend könnten Verhandlungen das Ziel haben, diesen angeblichen Ausdehnungswunsch Russlands "wegzuverhandeln". Wenn es der Sache denn dient, soll der Westen daran glauben, dass er die Expansionspläne Russlands durch Diplomatie beseitigen kann. Er könnte das Gesicht wahren, während Russland einer Lösung zustimmt, der überhaupt kein Problem vorausgegangen ist, nämlich die imperiale Landnahme welcher Länder auch immer.
Die Vorstellung, der Donbass und die Krim könnten an die Ukraine gehen, ist dagegen nur als absurd zu bezeichnen. Denkbar wären erneute Referenden, unter Aufsicht der russischen und der westlichen Seite. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Menschen der Krim und des Donbass für die Ukraine entscheiden, siedelt der Autor dieses Textes bei null an. Dennoch wäre damit Klarheit geschaffen, der sich faire und ehrliche Regierungen anschließen müssten. Und das natürlich auch, wenn sich die Menschen für den Anschluss an die Ukraine entscheiden würden.
Auch ohne diplomatische Auszeichnungen kann man sagen, dass die Weiterführung des Krieges ein Vorhaben ist, das keinerlei Lösungen erzielen wird. Lösungen kommen nur zustande, wenn die Diplomatie endlich siegt und mit konkreten Lösungsvorschlägen beginnt, auf deren Grundlage eine Einigung erzielt werden kann. Möglich ist das, wenn Diplomaten beteiligt sind, die für die Sache brennen und alles dafür tun, dem Krieg ein Ende zu bereiten. Das ist kein Hexenwerk, und es gab in der Geschichte der Menschheit sicher Kriege, die aussichtsloser erschienen und am Ende doch diplomatisch beendet wurden.
Man muss jedoch ganz nüchtern feststellen: Sowohl die deutschen politischen Führer als auch die der international beteiligten Länder – allen voran die Vereinigten Staaten – haben nach wie vor kein Interesse daran, diesen Krieg zu beenden, nachdem die Vertreter dieser Länder jahrzehntelang daran gearbeitet haben, ihn Realität werden zu lassen.
Damit sind die Bevölkerungen in der Pflicht, ihren Unmut kundzutun und klarzustellen, dass sie Krieg kategorisch ablehnen und ihre Regierungen nur akzeptieren, wenn diese sich in Diplomatie üben. Alles andere als sich laut und deutlich äußernde Bevölkerungen ist eine Illusion, denn auf den hohen Plätzen der Politik sind Vernunft und Diplomatie nicht vorgesehen.
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs "neulandrebellen".
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