Kritik kommt nicht nur von Aleksandar Vučić, dem aktuellen Präsidenten Serbiens, der in den westlichen Medien oft als äußerst "russlandfreundlich" bezeichnet wird. Diesmal ist der Unmut auch beim ehemaligen Staatschef Boris Tadić, einem eher als "prowestlich" beschriebenen Politiker, recht groß. Grund ist das Vorgehen der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung. Die SPD-nahe Organisation, die bereits seit Mitte der 1990er Jahre auch in der serbischen Hauptstadt ein Büro unterhält, beteiligt sich in der Kosovo-Hauptstadt Pristina an der Ausarbeitung einer möglichen Kompromiss-Lösung einer sehr strittigen und politisch aufgeladenen Frage zwischen Serbien und seiner abtrünnigen Provinz.
Es geht um den Aufbau eines Verbunds serbischer Gemeinden im Norden des Kosovo, in denen die serbische Bevölkerung die Mehrheit bildet. Festgelegt wurde dieser im Rahmen einer Vereinbarung aus dem Jahr 2013, die Belgrad und Pristina unter Vermittlung der Europäischen Union (EU) geschlossen hatten. Das sogenannte Brüsseler Abkommen soll zu einer "Normalisierung der Beziehungen" zwischen Belgrad und Pristina beitragen und sieht unter anderem vor, dass der serbischen Bevölkerung innerhalb jenes Verbundes mehr Autonomie gewährt werden soll, etwa im Bereich der Bildung, Kultur oder des Gesundheitssystems. Das Ansinnen ist jedoch auf beiden Seiten, sowohl in Pristina als auch in Belgrad, höchst umstritten.
Der albanischstämmige Premierminister des Kosovo, Albin Kurti, der erst seit rund zwei Jahren im Amt ist, betrachtet den Verbund als nicht verfassungskonform und befürchtet zu viel Macht für die Serben im Norden, die die Politik in Pristina mithilfe Belgrads blockieren könnten. Laut Kurti könnte, wenn dieser Teil des Brüsseler Abkommens in seiner derzeitigen Form umgesetzt werden sollte, im Norden des Kosovo ein "zweites Republika Srpska" wie in Bosnien-Herzegowina entstehen. Die politische Führung des mehrheitlich von Serben bewohnten Teils des Balkanstaates droht immer wieder mit Abspaltung und "verhindert" laut westlichen Politikern unter anderem die Integration Bosnien-Herzegowinas in die NATO. Einen "Destabilisierungsfaktor" dieser Art will Kurti demnach unbedingt verhindern.
Im Norden der abtrünnigen serbischen Provinz, deren selbst ausgerufene Unabhängigkeit im Jahr 2008 Belgrad bis heute nicht anerkennt, befinden sich vier serbische Gemeinden und im überwiegend albanischen Süden sechs serbische Enklaven. Vučić hatte sich in den vergangenen Jahren stets offen gegenüber der Idee mit dem Verbund gezeigt, zumindest gegenüber Brüssel. Innenpolitisch ist das Thema umstritten, denn Kritiker verweisen darauf, dass der Aufbau des Verbundes eine "Karotte" für Belgrad sei, mit der Serbien dazu gebracht werden sollte, der danach folgenden Integration des Kosovo in internationale Institutionen nicht mehr im Weg zu stehen.
Doch der Druck auf beide Seiten aus dem Westen – vor allem aus den USA sowie Frankreich und Deutschland –, endlich konkrete Schritte in Richtung eines Kompromisses zu machen, war zuletzt immer größer geworden. Vor allem nach Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine. Viele Beobachter sprechen davon, dass die westlichen Akteure auf dem Balkan endlich das Thema abgeschlossen sehen wollen, um Russlands Einfluss in der Region zu schmälern und zugleich den Bruch des Völkerrechts beim Thema Kosovo mit einer Art Anerkennung in Belgrad "vergessen zu machen".
Nun hatten zuletzt verschiedene Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus Serbien und dem Kosovo über eine neue Lösung beim Thema Verbund serbischer Gemeinden diskutiert und eine auch offensichtlich herausgearbeitet. Darunter die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) mit ihrem Büro in Pristina. Am Montag wurde ein konkreter Vorschlag in der kosovarischen Hauptstadt auch vorgelegt. Die SPD-nahe Organisation hat diesen zusammen mit dem European Institute of Peace (EIP) entworfen – einer NGO mit Hauptsitz in Brüssel, die sich nach eigenen Angaben mit Konfliktlösungen beschäftigt.
Laut einem Bericht der Nachrichtenplattform KoSSev haben die zwei Organisationen unterstrichen, dass ihr Handeln "ausschließlich von der Motivation geleitet wurde, dem Start von wesentlichen öffentlichen Diskussionen beizutragen sowie unsere Empfehlungen, die anhand von entsprechenden sowohl einheimischen als auch ausländischen Expertisen geformt wurden, vorzulegen".
Der ehemalige serbische Präsident Tadić kritisierte jedoch, dass hier bereits der Entwurf eines Statuts vorgelegt wird. So eine ernsthafte Angelegenheit gehörte laut dem Ex-Präsidenten nicht in die Hände ausländischer NGOs, sondern sollten die Vertreter Serbiens machen. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter schrieb der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei:
"Eine Diskussion zu starten und den Vorschlag eines Statuts vorzulegen, ist nicht dasselbe."
Es sei ein "nicht nachvollziehbarer Schritt des FES", so Tadić weiter, und genauso wie "die Idee, dass den Vorschlag eines Statuts des Verbunds serbischer Gemeinden statt der offiziellen Vertreter Serbiens eine ausländische NGO entwirft". Zudem sehe der vorgelegte Entwurf sogar auch eine Änderung des Namens vor.
Demnach soll es nicht mehr Verbund serbischer Gemeinden heißen, sondern "Verband der Gemeinden in der Republik Kosova, in denen die kosovo-serbische Gemeinschaft in der Mehrheit ist" (Association of Municipalities in the Republic of Kosova in which the Kosova Serb Community is in Majority).
Auch der aktuelle serbische Präsident kritisierte bereits mehrmals in der Vergangenheit, dass "deutsche Organisationen" zusammen mit den Vertretern der Zivilgesellschaft in Belgrad an einer Lösung arbeiteten. Laut dem Bericht der Nachrichtenplattform KoSSev hat Vučić die deutsche Stiftung mehrmals kritisiert, mit Verweis darauf, dass die Ausarbeitung eines Statuts nicht ihr Job sei.
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