Die Länder Europas sollten bei der Sanktionierung Russlands für dessen Vorgehen in der Ukraine Augenmaß bewahren, mahnte der österreichische Außenminister Alexander Schallenberg bei einer Veranstaltung in Paris. Der Chefdiplomat der Alpenrepublik warnte vor Strafmaßnahmen wie einem pauschalen Visumverbot für alle russischen Bürger. In einer Rede am "Youth & Leaders Summit" der Universität Sciences Po in Paris sagte Schallenberg am Montag:
"Wir dürfen nicht über das Ziel hinausschießen, indem wir zum Beispiel ein Visaverbot für 144 Millionen Russen einführen."
Russland werde trotz der aktuellen Spannungen zwischen der Europäischen Union und ihrem östlichen Nachbarn Teil der europäischen Geschichte und Kultur bleiben, ergänzte der österreichische Chefdiplomat. Schallenberg stellte jedoch klar, dass Wien die Ukraine in ihrem Konflikt mit Moskau, in dem "von Russland angezettelten brutalen Angriffskrieg", uneingeschränkt unterstütze.
Zugleich aber unterstrich der österreichische Außenminister bei seiner Rede an der französischen Elitehochschule, dass der Westen "auch an den Tag danach, an die Woche danach und an die Monate danach denken muss". Denn die europäische Sicherheitsarchitektur werde auch in Zukunft auf die eine oder andere Weise Russland angesichts seiner Rolle als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats und seines Status als Atommacht einbeziehen müssen.
Er betonte bei der Veranstaltung etwa die Bedeutung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und kritisierte Polen, das bei der letzten Sitzung der Organisation Anfang Dezember 2022 den Vorsitz führte, dafür, dass es den russischen Außenminister Sergei Lawrow von der Veranstaltung ausgeladen hatte. Schallenberg betonte:
"Die OSZE ist eine der wenigen verbliebenen Plattformen, wo russische Diplomaten noch sitzen und sich unsere Argumente, unsere scharfe Kritik am russischen Angriffskrieg anhören müssen."
Neben der Aufgabe, "Augenmaß zu bewahren", sollte sich der Westen auch bemühen, im Jahr 2023 geeint zu bleiben, so der österreichische Spitzendiplomat. "Unser heutiges Handeln wird über den Status der freien Welt in den kommenden Jahren entscheiden", betonte der 53-Jährige vor den Studenten der prestigeträchtigen Politikhochschule.
Russland entsandte am 24. Februar 2022 Truppen in die Ukraine und begründete dies mit der Nichtumsetzung des Minsker Abkommens durch Kiew, das den Regionen Donezk und Lugansk einen Sonderstatus innerhalb des ukrainischen Staates einräumen sollte. Die unter deutscher und französischer Vermittlung zustande gekommenen Vereinbarungen waren erstmals 2014 unterzeichnet worden. Der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat inzwischen eingeräumt, dass das Hauptziel Kiews darin bestand, mit dem Waffenstillstand Zeit zu gewinnen und "mächtige Streitkräfte zu schaffen".
Kurz vor Ausbruch der Kampfhandlungen erkannte der Kreml die Donbass-Republiken 2022 als unabhängige Staaten an und verlangte, dass die Ukraine sich offiziell zu einem neutralen Land erklärt, das keinem westlichen Militärbündnis beitreten wird. Im vergangenen September wurden Donezk und Lugansk sowie die Regionen Cherson und Saporoschje nach Volksabstimmungen an Russland angegliedert.
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