Wie sich bereits am Donnerstagabend abgezeichnet hatte, einigte sich der Rat der EU-Staaten nun am Freitagmittag auf ein neuntes Paket von Sanktionsmaßnahmen gegen Russland. Die neue Runde antirussischer Strafen bringt neben Beschränkungen für den Handels- und Finanzsektor auch Vermögenssperren und Einreiseverbote in die Europäische Union für beinahe 200 russische Einrichtungen und Organisationen. Überdies zielt Brüssel auch auf den Mediensektor und erteilte weitere Sendeverbote für russische Kanäle.
Schwierige Einigung
Die EU hatte sich zunächst nicht auf ein neues Sanktionspaket einigen können und musste in mehreren Verhandlungsrunden einen internen Kompromiss erzielen. Dabei ging es darum, unerwünschte Nebenwirkungen der Sanktionen möglichst zu verhindern. Insbesondere die Regierungen von Frankreich, den Niederlanden und Deutschland hatten verlangt, bisherige Regelungen zu entschärfen, um Beeinträchtigungen des Handels mit russischen Agrarprodukten und Düngemitteln zu vermeiden.
Dagegen befürchten andere Staaten wie Polen, solche Ausnahmen könnten von Moskau als eine Lockerung der Sanktionen aufgefasst werden.
Die Sanktionen treten erst in Kraft, wenn der Beschluss im EU-Amtsblatt veröffentlicht ist, womit jedoch in Kürze zu rechnen sei, wie es aus Brüssel hieß.
In einer EU-Pressemitteilung wird Josep Borrell, der "Hohe Vertreter" für die Außen- und Sicherheitspolitik der Staatengemeinschaft, mit folgender Erklärung zitiert:
Nach Nahrung und Hunger setzt Putin nun den Winter als Waffe ein, indem er Millionen von Ukrainern absichtlich Wasser, Strom und Heizung vorenthält. Die Europäische Union reagiert auf diese jüngste Eskalation und dieses Kriegsverbrechen mit unserem neunten Paket von harten Sanktionen. Wir werden weiterhin gezielt gegen die Wirtschaft und diejenigen vorgehen, die an diesem brutalen Krieg beteiligt sind."
Auch die Chefin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, zeigte sich zufrieden mit dem neuen Sanktionspaket und teilte per Twitter mit, dass diese Maßnahmen sich gegen "Personen und Einrichtungen" richten würden, die angeblich "an Angriffen auf Zivilisten und der Entführung von Kindern" beteiligt seien.
Auch Medien betroffen
Betroffen von den Sanktionen sind drei weitere russische Banken, wozu auch ein vollständiges Transaktionsverbot für die russische Bank für regionale Entwicklung gehört.
Im Medienbereich verhängte die EU nun für vier weitere russische Sender – NTV/NTV Mir, Rossija 1, REN TV und den Perwyi Kanal – ein Sendeverbot. Begründet wird dies damit, dass diese Anstalten "unter ständiger direkter oder indirekter Kontrolle der Führung der Russischen Föderation" stünden und von Moskau für "kontinuierliche und konzertierte Desinformations- und Kriegspropagandaaktionen" benutzt würden.
Sie dienten angeblich dazu, die "russische Aggression" zu "legitimieren" sowie die "Unterstützung für die Ukraine" zu "unterminieren". Ausdrücklich betont wird unter Berufung auf die Charta der Grundrechte, dass die genannten Medien wie auch ihre Mitarbeiter nicht daran gehindert würden, in der EU andere journalistische Tätigkeiten, Recherchen und Interviews auszuüben, sofern keine Sendungen ausgestrahlt werden.
Eine lange Liste – mit Ausnahmen
In letzter Zeit hatte es Streit unter den EU-Staaten darüber gegeben, wie mögliche unerwünschte Nebenwirkungen von Sanktionen verhindert werden könnten. Deutschland hatte gemeinsam mit Ländern wie Frankreich und den Niederlanden gefordert, bestimmte Regeln zu ändern, um Beeinträchtigungen des Handels mit Agrarprodukten und Düngemitteln zu vermeiden. Andere Staaten wie Polen warnten davor, dies könne als eine Lockerung der Sanktionen verstanden werden.
In Brüssel einigte man sich jetzt darauf, dass die neuen EU-Sanktionen in keiner Weise den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Lebensmitteln behindern dürfen. Zu der Einigung zählt eine Ausnahmeregelung, die es erlauben soll, Zahlungsströme für landwirtschaftliche Produkte unangetastet zu lassen. So sollen Gelder von Geschäftsleuten, die bisher von der EU sanktioniert wurden, in bestimmten Fällen wieder freigegeben werden, sofern deren Agrar-Erzeugnisse für den internationalen Handel hohe Bedeutung haben. Dazu zählen etwa Weizen oder auch Düngemittel.
Um, wie von der Leyen formulierte, "die russische Wirtschaft und Kriegsmaschinerie weiter aus den Fugen zu bringen", nimmt Brüssel weitere Wirtschaftsbereiche Russlands ins Visier.
So werden im Technologiebereich neue Ausfuhrkontrollen und -beschränkungen für den Verteidigungs- und Sicherheitsbereich eingeführt, damit Dual-Use-Produkte und -Technologien, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, nicht nach Russland gelangen. Betroffen sind "wichtige Chemikalien, Nervenkampfstoffe, Nachtsicht- und Funknavigationsgeräte, Elektronik und IT-Komponenten", die nicht mehr frei gehandelt werden dürfen.
Schärfere Ausfuhrverbote wurden auch für die Luft- und Raumfahrtindustrie beschlossen. So dürfen Flugzeugtriebwerke oder auch nur deren Teile nicht mehr exportiert werden. Dieses Verbot erstreckt sich sowohl auf bemannte als auch unbemannte Flugzeuge. Somit ist die "direkte Ausfuhr von Triebwerken für Drohnen nach Russland und in alle Drittländer, die Drohnen an Russland liefern könnten, verboten."
Zudem werden Dienstleistungen in den Bereichen Werbung, Markt- und Meinungsforschung sowie Produktprüfung und technische Inspektion für die Russische Föderation verboten.
Im Energie- und Bergbausektor werden Neuinvestitionen in den russischen Bergbau untersagt, erweitert jedoch mit der Ausnahme des Abbaus "bestimmter kritischer Rohstoffe".
Schließlich ist es nun EU-Bürgern verboten, "Ämter in den Leitungsgremien aller in Russland ansässigen staatlichen oder staatlich kontrollierten juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen zu bekleiden."
In Moskau fiel die erste Reaktion des Präsidentensprechers Dmitri Peskow auf die Frage nach der russischen Bereitschaft zu Gegenmaßnahmen verhalten aus, wie TASS meldete:
"Machen wir uns zunächst mit der Liste vertraut, holen wir offizielle Informationen ein, und dann werden wir einige Antworten formulieren. Es ist noch nichts angekündigt worden."
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