"Botschaft an Putin": Britisches Pflegepersonal soll auf Lohnerhöhung verzichten

Im Streit über eine bessere Bezahlung für Krankenpfleger hat ein britischer Minister den Gewerkschaften vorgeworfen, mit einem Streik den russischen Präsidenten zu unterstützen. Die Gewerkschaften weise derartige Rhetorik entschieden zurück. Es könnte noch vor Weihnachten zu landesweiten Streiks kommen.

Zum ersten Mal in der Geschichte Großbritanniens wollen Krankenschwestern und Pfleger im ganzen Land streiken. Sie fordern mehr Gehalt. Nach Ansicht des Vorsitzenden der Konservativen Partei Nadhim Zahawi würde das jedoch lediglich dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spielen. Am Sonntag forderte Zahawi, der auch Minister ohne Geschäftsbereich ist, die Gewerkschaften deshalb dazu auf, ihre Forderungen aufzugeben und "zusammenzukommen", um Putin eine klare Botschaft zu übermitteln, dass er "Energie nicht als Waffe einsetzen kann". "Dies ist nicht die Zeit, um sich zu spalten. Wir müssen zusammenkommen, um – wie ich hoffe – Herrn Putin eine klare Botschaft zu übermitteln, dass er Energie nicht auf diese Weise als Waffe einsetzen kann", sagte der führende Politiker der Tories am Sonntag in einem Interview mit den Sky News.

Laut Zahawi sei die Krise der Lebenshaltungskosten nur dadurch zu bewältigen, "dass wir die Inflation eindämmen und daher bei den Gehältern im öffentlichen und privaten Sektor diszipliniert vorgehen". Großzügige Lohnerhöhungen würden die von Putin verursachte Inflation hingegen nur weiter verschlimmern. Er fügte hinzu, dass ein großflächiger Streik demnach lediglich ein "gespaltenes" Großbritannien offenbaren würde, während stattdessen aber eine vereinte Front gegen Russlands "illegalen Krieg" nötig sei. "Sie sollten darüber nachdenken, denn das ist genau das, was Putin sehen will – diese Spaltung. Lasst uns nicht spalten, lasst uns zusammenkommen", beendete Zahawi seinen Versuch, Russland die Schuld an der anhaltenden Krise der Lebenshaltungskosten in Großbritannien zuzuweisen.

Das Pflegepersonal in England, das überwiegend vom Berufsverband Royal College of Nursing (RCN) vertreten wird, will am 15. und 20. Dezember in den Streik treten. Der Verband fordert eine Gehaltserhöhung von fünf Prozent oberhalb der Inflationsrate, die derzeit bei mehr als elf Prozent liegt. Der britische Gesundheitsdienst NHS (National Health Service) ist anders als hierzulande nicht über Beiträge finanziert, sondern bestreitet seine Ausgaben aus einem von der Regierung festgelegten Budget. Die jüngsten Äußerungen des konservativen Politikers lösten in Großbritannien deshalb weithin Spott und Empörung aus. 

So wiesen die Gewerkschaftsbosse die Äußerungen des Vorsitzenden der Tories als derzeit "neuen Tiefpunkt für diese Regierung" und "Schande" zurück. "Russlands Krieg in der Ukraine als Rechtfertigung für eine Reallohnkürzung für Krankenschwestern im Vereinigten Königreich zu benutzen, ist ein neuer Tiefpunkt für diese Regierung", entgegnete Pat Cullen, die Generalsekretärin des RCN: "Das Pflegepersonal kann sich seine Lebensmittel und andere Rechnungen nicht leisten und befürchtet in diesem Winter das Schlimmste, was die Energieversorgung betrifft. Auch deshalb glaubt die Öffentlichkeit diese Art von Rhetorik nicht. Stattdessen will sie, dass die Minister unsere Forderungen ernst nehmen." Der Verband wirft der Politik vor, nicht zu ernsthaften Verhandlungen bereit zu sein.

Diese Ansicht teilt auch die Vorsitzende der Gewerkschaft Unite Sharon Graham: "Ein weiterer millionenschwerer Regierungsminister hat sich dazu entschlossen, gewöhnliche Arbeitnehmer anzugreifen, deren einziges 'Verbrechen' darin besteht, dass sie sich weigern, eine Lohnkürzung hinzunehmen." Ihrer Ansicht nach seien die Behauptungen von Zahawi "ebenso lächerlich wie beschämend". Großbritannien hat bereits mit Arbeitskampfmaßnahmen in einer Reihe von Sektoren zu kämpfen und sieht sich nun mit Streiks tausender Pfleger in England und Wales konfrontiert, die noch in diesem Monat wegen der Bezahlung und der Arbeitsbedingungen streiken wollen. Die von der Regierung von Premierminister Rishi Sunak angebotene Lohnerhöhung um drei Prozent lehnen sie ab.

Um den Betrieb des Öffentlichen Dienstes auch bei landesweiten Streiks aufrechterhalten zu können, erwägt die britische Regierung deshalb derweil offenbar sogar den Einsatz des Militärs, wie Zahawi gegenüber Sky News bestätigte. Demnach sei die Rolle der Armee Teil der Notfallplanung, in deren Rahmen Soldaten eingezogen werden könnten, um die Arbeit wichtiger Mitarbeiter zu übernehmen, wenn diese in Bereichen wie der Grenzkontrolle und dem Rettungsdienst in den Streik treten sollten. Unsere Botschaft an die Gewerkschaften lautet: "Jetzt ist nicht die Zeit für Streiks, jetzt ist die Zeit für Verhandlungen. Aber wenn das nicht gelingt, ist es wichtig, dass die Regierung Notfallpläne bereithält."

"Wir denken an das Militär, wir denken an eine spezialisierte Eingreiftruppe ... eine Überbrückungskapazität", sagte er und fügte hinzu, dass das Militär auch eingesetzt werden könne, um Krankenwagen zu fahren. Der Eindruck, dass das Land durch eine Reihe von Streiks zum Stillstand kommt, ist ein ernsthaftes politisches Risiko für die Regierung von Rishi Sunak. Der Premierminister, der erst seit etwas mehr als einem Monat im Amt ist, sieht sich derzeit mit einer Reihe von Problemen konfrontiert, darunter eine möglicherweise lang anhaltende Rezession im Vorfeld einer Wahl, die die Konservativen laut Umfragen verlieren werden.

Erst kürzlich berichtete die Zeitung Sunday Times, dass Sunak angesichts der drohenden Streikwelle sogar darüber nachdenke, das Streikrecht für Beschäftigte des öffentlichen Sektors – darunter für das Personal des Gesundheitsdienstes sowie für Lehrer und Feuerwehrleute – vorübergehend einzuschränken. Die wichtigste Oppositionspartei, die Labour-Partei, forderte die Regierung hingegen dazu auf, mit den Beschäftigten des öffentlichen Sektors zu verhandeln. Den NHS trifft der Streik in einer schwierigen Zeit. Die staatliche Krankenversorgung leidet seit Jahren unter einer immer knapper werdenden Finanzierung. Zusätzlich hat die Corona-Krise viele andere Behandlungen monatelang erschwert.

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