Polen hat die Jagd auf "russische Spione" eröffnet

Der provinzielle Spionage-Wahn in Polen ist in Konflikt mit den Menschenrechten geraten, wohlgemerkt mit denen eines EU-Bürgers. Seit dem 28. Februar befindet sich der freiberufliche spanische Journalist Pablo González in Polen in Haft.

Von Oleg Chawitsch

Pablo González wird von den polnischen Behörden grundlos beschuldigt, für einen russischen Geheimdienst zu arbeiten. Über das Schicksal von González berichteten zuvor die britische Zeitung The Guardian und der Sender Voice of America, für die González in den Jahren 2020 und 2021 eine Reihe von Berichten produzierte.

Und neulich veröffentlichte eine deutsche Tageszeitung, die taz, einen ausführlichen Artikel über das Schicksal des Journalisten. Der Text wurde von vielen polnischen Publikationen aufgegriffen, unter anderem von dem populären Webportal Wirtualna Polska, und wie jede Veröffentlichung über Polen in Deutschland löste das an den Ufern der Weichsel ein Echo aus.

Im Gegensatz zu ihren angelsächsischen Kollegen schrieben die deutschen Journalisten unverblümt: González sei ohne jeglichen Beweis einer gesetzeswidrigen Handlung festgenommen worden, seine einzige "Schuld" sei seine Arbeit als Journalist im Donbass sowie seine doppelte Staatsbürgerschaft (die spanische und die russische). Seine Mutter ist nämlich die Tochter eines "Kriegskindes" aus Spanien, das vor dem Putsch von General Franco in die Sowjetunion gelangte. Nach dem Zerfall der UdSSR kehrten viele dieser Menschen und deren Nachkommen nach Spanien zurück, darunter auch Frau González und ihr Sohn.

Pawel Rubzow, der ursprünglich also den Nachnamen seines Vaters trug, nahm den Mädchennamen seiner Mutter an und wurde so zu Pablo González. "Im spanischen Standesamt ist er seit 1991 unter zwei Namen eingetragen, entsprechend der Scheidungsurkunde seiner Eltern", sagte der spanische Anwalt von González, dem die polnischen Behörden den Zugang zu seinem Klienten bislang verweigern. Bei seiner Festnahme trug der Journalist einen spanischen und einen russischen Pass bei sich, die jeweils auf den entsprechenden Namen lauten. Deshalb erklärte die polnische Polizei, dass diese Dokumente gefälscht seien, obwohl ein Haftbefehl auf den Namen von Pawel Rubzow ausgestellt worden war.

Der Vater von Pablo González, Alexei Rubzow, der in Moskau lebt, überwies seinem Sohn vor dessen Verhaftung jeden Monat etwa 350 Euro. Für die polnischen Behörden war dies ein Beweis dafür, dass González für den russischen Geheimdienst arbeitete, obwohl es sich Dabei um einen Anteil vom Ertrag der Miete für die Wohnung seiner Großmutter in Moskau handelte.

Unmittelbar nach seiner Verhaftung gab es Vermutungen, dass Pablo González aufgrund einer Denunziation durch die Kiewer Behörden verhaftet wurde – er wurde nämlich am 6. Februar 2022 in dem von Kiew kontrollierten Teil des Donbass festgenommen und nach Kiew gebracht, wo er einem stundenlangen Verhör unterzogen wurde. Doch damals wurde der Journalist dank der Bemühungen der italienischen Botschaft freigelassen, so dass er am 25. Februar die Ukraine ungehindert verlassen und nach Polen einreisen konnte. Dort berichtete er bis zu seiner Verhaftung über die Situation der ukrainischen Flüchtlinge.

Allerdings scheint der spanische Journalist nun ein Opfer des typisch polnischen Spionage-Wahns geworden zu sein, und einer Kampagne, welche die Behörden in Warschau unmittelbar nach Beginn der russischen Spezialoperation in der Ukraine starteten. Bereits Ende März 2022 verkündete der polnische Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro, dass sein Amt im Zusammenhang mit der Situation in der Ukraine einen Gesetzentwurf zur Verschärfung der Strafen für Spionage bis hin zu lebenslänglicher Haft vorbereitet habe.

Außerdem wird vorgeschlagen, neue Straftatbestände in das polnische Strafgesetzbuch aufzunehmen: "Vorbereitung von Spionagetätigkeiten" (bis zu acht Jahre Haft) und "unbeabsichtigte Spionage" (bis zu fünf Jahre). Wenn es im ersten Fall noch eher um Beamte geht, die zumindest Zugang zu vertraulichen Daten haben, so kann im zweiten Fall praktisch jeder Beschuldigte verurteilt werden. Davon ist die Staatsanwältin Ewa Wrzosek überzeugt, die selbst Opfer einer illegalen Abhöraktion durch das Büro von Zbigniew Ziobro geworden war. Ihrer Meinung nach ist der Begriff der "unbeabsichtigten Spionage" zu weit gefasst und kann je nach den politischen Interessen der Generalstaatsanwaltschaft und der polnischen Regierung wie eine "Peitsche" für jeden Andersdenkenden, jede Nichtregierungsorganisation, jedes Unternehmen oder jede politische Partei benutzt werden.

Trotz solcher Warnungen vieler polnischer Juristen kündigte der stellvertretende polnische Justizminister Marcin Warchoł anfangs November an, dass ein Gesetzentwurf zur Verschärfung des Strafmaßes für Spionage in naher Zukunft im Sejm behandelt werde. Den verworrenen Erklärungen von Herrn Warchoł und seines Chef nach zu urteilen, wird wohl jede Anklage der "unbeabsichtigten Spionage" im Stile eines "Gedankenverbrechens" gemäß George Orwells Roman "1984" erfolgen.

Erwähnenswert ist, dass in Polen die Suche nach "Kreml-Agenten" längst zu einer Art Nationalsport geworden ist. Besonders der Vorsitzende der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Jarosław Kaczyński hat sich dabei hervorgetan. Regelmäßig wirft er sowohl Donald Tusk, dem Vorsitzenden der mächtigsten Oppositionspartei, der liberal-konservativen Partei Platforma Obywatelska (PO, Bürgerplattform), wegen des Empfangs für Wladimir Putins in Polen als auch Rechtskonservativen vor, für Moskau zu arbeiten. Seinerseits machte sich das Webportal Wiesci24, welches der polnischen Rechten nahesteht, Ende Oktober über Jarosław Kaczyński selbst lustig und erinnerte daran, dass er zu Zeiten ins Ausland reisen konnte, als es praktisch unmöglich war, Polen zu verlassen. "Wie Kaczyński selbst in einem Interview sagte, war er 1967 in Odessa. Im Jahr 1984 ging er nach Wien. Anfang der 1990er Jahre reiste Kaczyński erneut nach Wien. Zuvor trank er eineinhalb Jahre lang Wodka mit einem russischen Spion in dessen Wohnung im Prager Stadtteil von Warschau. Kaczyński wurde bei seiner Karriere von einem kommunistischen Apparatschik unterstützt. Weshalb? Vielleicht wegen ... der Verbindungen zu den Russen?", schrieben die Journalisten – ganz im Stil des PiS-Chefs über andere.

Doch denjenigen, die von den polnischen Behörden beschuldigt werden, Verbindungen zu Russland zu unterhalten, ist keineswegs nach Scherzen zumute. Beispielsweise saß der ehemalige Sejm-Abgeordnete und Journalist Mateusz Piskorski, der aus seinen Sympathien für Russland keinen Hehl macht, drei Jahre in Untersuchungshaft. Ihm wurde – ohne Beweise – vorgeworfen, mit dem russischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten, russische Interessen zu fördern und die Stimmung in der polnischen Gesellschaft zu manipulieren.

Selbst die UN-Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen stellte fest, dass die lange Untersuchungshaft des Politikers gegen mehrere Artikel des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte verstößt, und forderte seine Freilassung. Piskorski wurde im Mai 2019 gegen eine Kaution von 50.000 US-Dollar freigelassen, was für polnische Verhältnisse sehr viel ist, doch seither ist sein Prozess noch immer nicht abgeschlossen.

Übrigens sind die polnischen Medien in letzter Zeit wieder voll von Angriffen gegen Mateusz Piskorski, denn er hat ein Buch des russischen Philosophen Alexander Dugin übersetzt. Es gab zwar keine neuen Anschuldigungen gegen ihn, aber die Präsentation dieses Buches in Gdańsk wurde zweimal untersagt.

Pablo González scheint das gleiche Schicksal wie seinem polnischen Kollegen widerfahren zu sein. Im August wurde die Inhaftierung des spanischen Journalisten ein zweites Mal verlängert, ohne dass er vor Gericht gestellt wurde, und für Ende November planen die polnischen Sicherheitsbehörden noch einmal dasselbe zu tun. Zumindest aber fordern die Berufsverbände (Internationaler Journalistenverband und Internationales Presseinstitut) und Journalistenkollegen seine Freilassung. Gerade den Letzteren ist die Bekanntmachung zu verdanken, dass González in strenger Isolationshaft gehalten wird, nur eine Stunde am Tag mit gefesselten Händen und in Begleitung mehrerer Wärter spazieren gehen darf, und dass ihm eine Zusammentreffen mit seiner Frau untersagt ist.

Völlig unbekannt ist jedoch das Schicksal von drei weiteren Personen, die der Spionage für Russland beschuldigt werden und deren Verhaftung in Polen im März, April und August 2022 gemeldet wurde. Die polnischen Behörden verheimlichen nicht einmal, dass sie eine Einschüchterungskampagne im Lande durchführen. Der stellvertretende Justizminister Marcin Warchoł erklärte ausdrücklich, dass "die Strafandrohung für Spionage einen präventiven Charakter hat".

Im Visier der polnischen Sicherheitsdienste stehen aber nicht nur polnische Regimekritiker, sondern auch russische Staatsbürger, deren Zahl an den Ufern der Weichsel in den letzten Monaten zugenommen hat. Bei einem der drei wegen Spionage verhafteten Personen handelt es sich um einen russischen Staatsangehörigen, der 18 Jahre lang ein Unternehmen in Polen geführt, somit dort Arbeitsplätze geschaffen und auch Steuern gezahlt hat. Nicht auszuschließen ist, dass alle russischen Bürger in Polen mit der Zeit vor die Wahl gestellt werden, entweder für den polnischen Geheimdienst zu arbeiten, bestenfalls ausgewiesen oder schlimmstenfalls sogar verhaftet zu werden, weil sie angeblich im Interesse eines "russischen Geheimdienstes arbeiten".

Übersetzt aus dem Russischen, zuerst veröffentlicht in Wsgljad.

Oleg Chawitsch ist gebürtiger Westukrainer und Experte für die ukrainische Politik. Seit 2014 publiziert er hauptsächlich auf der Plattform ukraina.ru und in russischen Medien. 

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