Seit sich die russische Armee in der Nacht von Donnerstag auf Freitag aus Cherson zurückgezogen hat, berichten ukrainische Journalisten, dass sie nicht in die nach ukrainischer Darstellung "zurückeroberte" Stadt gelassen werden. Nun hat der ukrainische Präsident bestätigt, dass Journalisten vorerst der Zugang nach Cherson verschlossen bleibt. In einer Videobotschaft am Freitagabend sagte Selenskij:
"Da die Entminung noch nicht einmal begonnen hat, können wir den Medien keinen Zugang nach Cherson gewähren. Wir müssen zumindest die wichtigsten Kommunikationswege entminen und die wichtigsten Einrichtungen überprüfen".
Der im spanischen Exil lebende oppositionelle ukrainische Journalist und Blogger Anatoli Scharij befürchtet jedoch ganz andere Gründe hinter der Aussperrung der Journalisten aus der Stadt und der "zurückeroberten" Region. Am Freitag schrieb er in seinen sozialen Netzwerken:
"Der Zugang von Journalisten zu den befreiten Siedlungen wird erst nach der Umsetzung von "Stabilisierungsmaßnahmen" wieder möglich sein
Ich möchte mir einige Aspekte dieser "Stabilisierungsmaßnahmen" nicht einmal vorstellen."
Zuvor hatte Scharij berichtet, dass die ukrainische Armee unmittelbar nach ihrem Einmarsch mit Repressionen gegen Einwohner der Region begonnen habe. So sollen seinen Informationen nach in der Siedlung Snigirewka 20 Menschen erschossen worden sein, die man der "Kollaboration" mit Russland verdächtigte. Am Freitagmorgen schrieb er dazu:
"In Snigirewka, das kürzlich in aller Stille verteidigt worden war und sich in der Tat in aller Stille ergeben hatte, wurden nach Angaben des russischen Militärs 20 mit den Russen kollaborierende Einwohner getötet.
Ich bin bezüglich der Zahl skeptisch. Ich glaube, es sind viel mehr."
Am Sonnabend postete er Videoaufnahmen von rund 200 Personen, die auf dem Hauptplatz von Cherson mit ukrainischen Fahnen "die Befreiung" feiern und kommentierte dies mit den Worten:
"Alle, die mit den Russen zusammengearbeitet haben und Cherson nicht verlassen konnten, und das sind Tausende, wenn nicht Zehntausende, sind erledigt.
Das Einzige, was ich hoffe und erwarte, ist, dass zumindest ein Mindestmaß an Recht und Gesetz eingehalten wird."
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