von Oleg Chawitsch
In der vergangenen Woche haben die Außenminister der EU beschlossen, die Mission zur militärischen Unterstützung der Ukraine (EUMAM Ukraine) einzuleiten, die eine Ausbildung von ukrainischen Militärangehörigen vorsieht. Die Mission hat zum Ziel, mindestens 15.000 ukrainische Soldaten und Offiziere auszubilden und startet Mitte November 2022.
Formell wird sich das Hauptquartier der EUMAM in Brüssel befinden, und ihr Kommandant wird der französische Vizeadmiral Hervé Bléjean, der die Abteilung für Militärplanung und Operationsführung beim Europäischen Dienst für Außenbeziehungen leitet. Doch die meisten Übungsplätze der Mission werden sich in Deutschland und Polen befinden. Dabei verzögerte sich die Genehmigung der Mission ausgerechnet dank den polnischen Behörden, die sonst ihre Solidarität mit der Ukraine so lautstark verkünden.
Der Chefdiplomat der EU Josep Borrell hatte noch Anfang August erklärt, dass die EU ukrainische Militärangehörige "in einem Nachbarland der Ukraine" ausbilden wolle. Polen versuchte gleich, die Geldmittel dafür in die Hand zu nehmen. Die polnischen Behörden schlugen vor, ein zentrales Ausbildungslager in der Nähe der ukrainischen Grenze einzurichten und dort ganze Kampfgruppen bis zur Bataillonsstärke auszubilden. Doch dagegen trat Berlin an und forderte, dass ein bedeutender Teil ukrainischer Militärangehöriger auf deutschem Gebiet ausgebildet werde. Beinahe zwei Monate verlor Brüssel, um Warschau zu überreden.
Schließlich wurde eine Kompromisslösung gefunden. Der Großteil der ukrainischen Soldaten wird in Polen, in der Nähe der Stadt Rzeszów, trainieren, ebendort wird sich auch "die Stabstelle" der Trainingsmission befinden. In Deutschland wird dagegen das Operationskommando der Mission stationiert sein. Spezialisten der Bundeswehr planen, etwa 5000 ukrainische Soldaten und Offiziere auszubilden. In anderen EU-Ländern, die sich der Mission anzuschließen wünschten, werden bedeutend weniger Ukrainer ausgebildet.
Das Mandat der EUMAM Ukraine gilt für zwei Jahre, das vorläufige Budget umfasst 106,7 Millionen Euro. Gerade wegen des Geldes forderte Polens Regierung, dass die ganze Ausbildung in ihrem Land stattfinden solle. EUMAM Ukraine wird aus dem Europäischen Friedensfonds finanziert – dem gleichen, der noch vor dem Beginn der russischen Militäroperation teilweise Waffenlieferungen an Kiew bezahlte. Auch wenn gleichzeitig mit dem Beschluss über die Gründung der Mission zur Ausbildung ukrainischer Militärangehöriger eine Aufstockung des europäischen Friedensfonds um 500 Millionen Euro auf insgesamt 3,1 Milliarden Euro beschlossen wurde, reicht das Geld dort inzwischen nicht aus.
Beispielsweise rechnete Polen damit, für die an Kiew gelieferten Waffen eine Kompensation in Höhe von 85 Prozent aus eben diesem Fonds zu erhalten. Hierzu beanspruchte es von Brüssel 1,8 Milliarden Euro. Allerdings wurden bisher nur 45 Prozent der Lieferungen kompensiert, was den polnischen Außenminister Zbigniew Rau zur entrüsteten Bemerkung veranlasste, dass er sich zwar nicht betrogen, aber auch nicht zufrieden fühle. Dabei sah Josep Borrell keine Probleme und behauptete, dass die EU auch weiter Möglichkeiten finden werde, Waffen für die Ukraine zu finanzieren. Angeblich reiche das Geld dafür aus.
Es ist klar, dass der Großteil des Budgets der neuen Mission die Ausgaben Polens für Waffenlieferungen an Kiew nicht kompensieren wird. Doch wollte Warschau die Ausbildung der ukrainischen Armee auf polnischem Territorium nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus geopolitischen Gründen finanzieren. Denn auch wenige Monate reichen aus, um ukrainischen Soldaten und Offizieren eine Gehirnwäsche zum Thema einer polnisch-ukrainischen Union oder wenigstens einer "ewigen polnisch-ukrainischen Freundschaft und Waffenbruderschaft" zu verpassen.
Im letzten Fall erinnert man sich in Warschau gerne an den Pakt zwischen Jozef Pilsudski und Simon Petljura aus dem Jahr 1920, als die "Ukrainische Volksrepublik" (UVR) zu einem Verbündeten Polens wurde – freilich unter Verzicht auf Wolhynien und Galizien. Damals gelang es sogar einer über hunderttausendköpfigen polnischen Armee, in der sich weniger als 15.000 Soldaten der UVR befanden, für wenige Wochen Kiew zu erobern. Allerdings befreiten die Bolschewiki die ukrainische Hauptstadt schnell wieder und kamen danach bis nach Warschau. Der sowjetisch-polnische Krieg endete mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Riga im März 1921. Demnach erkannte Polen nicht nur die russische, sondern auch die ukrainische sozialistische Sowjetrepublik an und verpflichtete sich, Anhänger von Petljura bei ihren Versuchen, die Macht in der Ukraine an sich zu reißen, nicht zu unterstützen.
Und wenn Polen heute ukrainische Militärs auf dem eigenen Gebiet durchaus offen ausbildet – dieser Prozess begann lange vor der Einleitung der neuen EU-Mission, was der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki offen zugab – so wurden im Jahr 1921 Trainigslager für Petljura-Anhänger als Sägewerke und Ähnliches getarnt. Um ihre Proxy-Krieger für den "Zweiten Winterfeldzug der Armee der UVR" zu bewaffnet, mussten die Polen fast schon zu theatralischen Aufführungen mit "Überfällen Unbekannter auf Waffentransporte und Grenzposten" greifen.
Der "Erste Winterfeldzug" war in den Jahren 1919-1920 noch ein gemeinsamer Vorstoß der Armee der UVR und lokaler Warlords durch das Hinterland der Roten und Weißen Armeen. Petljura unternahm ihn, um seine Position bei Verhandlungen mit Pilsudski zu stärken. Der zweite Feldzug im Oktober und November 1921 war dagegen vollständig von Polen organisiert und bezahlt worden. Ehemaligen Soldaten der UVR, die aus Internierungslagern in die "Aufständische Armee" gemustert wurden, kam die Rolle des Kanonenfutters zu beim abermaligen Versuch Warschaus, Moskaus Position in der Ukraine zu schwächen. Als die gescheiterten "Aufständischen" größtenteils im Kampf gegen die Kavalleriedivision von Grigori Kotowski beim Städtchen Basar des ehemaligen Gouvernements Wolhynien (heute Gebiet Schitomir) fielen, wuschen die Polen ihre Hände in Unschuld.
Und nun, nach über einem Jahrhundert, gibt die militärische Mission der EU Polen eine Chance, etwas wie einen "dritten Winterfeldzug" in die Ukraine zu organisieren. An Analogien mangelt es nicht: Trainingslager auf polnischem Boden für ukrainische Soldaten, gekämpft werden soll auf dem Gebiet der Ukraine und im Winter (ein Ausbildungskurs dauert zwei bis drei Monate, sodass der erste im Januar oder Februar abgeschlossen sein wird). Und selbst der Gegner ist der gleiche: Russland. Der einzige Unterschied ist, dass die Ausbildung von der EU bezahlt wird, doch für Polen ist es offensichtlich unwichtig, bedenkt man die aufrichtige Russophobie seiner Regierung und einiger seiner Bürger.
An der Aufrichtigkeit der polnischen Ukrainophilie habe ich persönlich dagegen Zweifel. Es geht nicht nur darum, dass ein großer Teil der Polen Wolhynien und Galizien als "Kresy Wschodnie", also Polens östliches Grenzland ansieht, und dass Lwow für dieses Land nicht weniger bedeutet, als die Krim für Russland. Für Warschau ist die Hilfe für Kiew beim bewaffneten Konflikt eine eigenartige Investition. Dies belegen beispielsweise die Erklärungen des polnischen Vize-Ministerpräsidenten Jacek Sasin. Noch im Mai hatte der Politiker gestanden: Polens Regierung möchte, dass das internationale Zentrum für Wiederaufbau der Ukraine, das diverse dafür vorgesehene Finanzfonds vereinigt, sich in Warschau befindet.
Und Anfang Oktober rief Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki dazu auf, das im Westen eingefrorene russische Vermögen zwischen der Ukraine und der EU, darunter auch Polen, aufzuteilen. Damals behauptete er:
"Dieses Vermögen ist riesig, etwa 350 Milliarden Euro. Und heute kann man auf dieses Vermögen zum Wohle der Ukraine zurückgreifen, aber auch zum Wohle der Bewohner der EU, der Bewohner Polens."
Und so werden nicht nur die im Rahmen der künftigen EU-Mission ausgebildeten, sondern alle ukrainischen Soldaten in Warschau als Kämpfer für polnische nationale Interessen angesehen. So war es auch vor über hundert Jahren, während der zwei "Winterfeldzüge" der Petljura-Anhänger. Und die Tatsache, dass sich die ukrainischen Streitkräfte als Erben von Banderisten sehen, die über 100.000 polnische Zivilisten in Wolhynien und Galizien getötet hatten, kümmert die polnische Regierung nicht. Warnungen erklingen nur aus Reihen der Opposition.
So hatte noch im Juli der Parlamentsabgeordnete der konservativen Partei Konfederacja Janusz Korwin-Mikke die Befürchtung geäußert, dass im Falle einer Niederlage im Konflikt mit Russland Wladimir Selenskij Polen angreifen könnte. Damals schrieb er auf Twitter:
"Ein gewonnener Krieg gegen den "Erbfeind", die Polen, wird ihm ganz gelegen kommen. Der Westen wird seinen Schützling nicht aufhalten, und Weißrussland und Russland würden in diesem Fall die Ukraine gerne unterstützen."
Korwin-Mikke illustrierte seinen Post mit einer Karte von polnischen Gebieten, die von ukrainischen Nationalisten beansprucht werden. Ob dieser Feldzug im Winter stattfinden würde, präzisierte er nicht.
Übersetzt aus dem Russischen.
Oleg Chawitsch ist gebürtiger Westukrainer und Experte für die ukrainische Politik. Seit 2014 publiziert er hauptsächlich auf der Plattform ukraina.ru und in russischen Medien.
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