Von Daniele Pozzati
"Hilfe! Die Faschisten sind zurück"
Die internationalen Mainstream-Medien schauen in die 1920er und 1930er Jahre zurück, um Giorgia Melonis kommende Regierung zu interpretieren. Als ob sich diese Jahre in ihrer ursprünglichen Form wiederholen könnten. Und als hätten sie sich nicht schon in gewisser Weise, besonders in Italien, mit einer Art Gesundheitsdiktatur wiederholt.
"Der instrumentelle Einsatz des Antifaschismus durch die [sozialliberale] PD und eine gewisse Linke, die ihn als Wahlplattform nutzen, ist wirklich demütigend", sagte während der Wahlkampagne Marco Rizzo, der Sekretär der (kleinen, wiedergeborenen) Kommunistischen Partei Italiens.
"Stattdessen sollten der liberale Totalitarismus und das Verhalten von Big Finance, Big Pharma und der Verbotsregierung angegriffen werden."
"Die Feinde meiner Feinde sind meine Freunde", denkt der Meloni-begeisterte Euro-Skeptiker, Anti-Imperialist, Russland-Anhänger, Querdenker, AfD- oder Die Linke-Wähler und so weiter. Dann findet man heraus, Meloni ist seit Februar 2021 Mitglied einer transatlantischen Denkfabrik. Schließlich stellt sich die Frage: Ist sie Erbfolgerin von Berlusconi oder Draghi? Nach Orbáns Vorbild oder SYRIZAs? Demnächst also die blonde West-Dienerin?
Wenn die Medien so scharf darauf sind, die Vergangenheit heranzuziehen, um Giorgia Melonis kommende Regierung zu deuten, dann sollten sie eher ein etwas späteres Jahr auswählen – eines, das heute noch völlig relevant ist: das Jahr 1943.
Hier ein ausführliches Zitat von Alessandro Meluzzi, einer dank seiner vielseitigen Interessen bekannten Medienpersönlichkeit in Italien. Meluzzi ist gelehrter Arzt, Professor für forensische Psychiatrie, ehemaliger Politiker, ehemaliger Freimauer, orthodoxer Priester und gilt als Universalgelehrter:
"Italien ist kein souveränes Land. Wir müssen diese tragische Wahrheit akzeptieren. Wir müssen wissen, dass diese Wahrheit auf den 13. September 1943 zurückgeht, als sich Italien bedingungslos den Alliierten ergab – in Anwesenheit eines Vertreters der englischen Krone, eines Vertreters der USA, der englischen Freimaurerei, des Vatikans, und jemand sagte auch, eines Angehörigen der Cosa Nostra, was stimmen mag, wir waren schließlich in Sizilien. Und dann wurden diese Pakte im Jahr 1947 von De Gasperi [Italiens erster Premierminister der Nachkriegszeit] mit geheimen Klauseln ratifiziert, die dann öffentlich gemacht wurden.
Somit weiß man, dass man in Italien weder Staatsoberhaupt noch Ministerpräsident werden kann – ohne die Zustimmung der Siegermächte, also der englischen Krone und der Vereinigten Staaten von Amerika. Es wird also davon ausgegangen, dass Giorgia Meloni nicht Premierministerin werden konnte, wenn sie ihre Zustimmung nicht gehabt hätte."
Das heißt längst nicht, dass Regierungschefs in Europa keinen Spielraum gewinnen können. Das weiß insbesondere die EU, die einen italienischen Orbán befürchtet, und alles tun wird, um dieses Ergebnis zu verhindern.
Italiens erste Regierungschefin
Giorgia Meloni hat ihren politischen Erfolg auf den Ruinen der Lega-Fünf-Sterne-Koalition aufgebaut, der es im Jahr 2018 nicht gelang, das italienische Interesse im Rahmen der EU zu verteidigen. Sie hat nichts versprochen, was sie nicht halten kann: Stichwort Italexit. Somit hat sie die EU bisher nicht offen herausgefordert, zumindest nicht auf eklatante Weise.
Das euroskeptische Gleichnis der Fünf-Sterne-Bewegung muss sie getroffen haben. Es fing im Jahr 2014 mit dem Vorschlag eines konsultativen, daher juristisch wertlosen Referendums über den Austritt Italiens aus der EU an, und endete fünf Jahre später im Dezember 2019 mit einem entscheidenden Beitrag zur Wahl von Ursula von der Leyen zur Chefin der Europäischen Kommission!
Realistin bis zum Zynismus: zweideutig und rätselhaft scheint Meloni auf Nummer sicher zu gehen, vor allem geopolitisch. In Bezug auf die Volksabstimmungen in der Ukraine hat Meloni Worte verwendet, die auch ein NATO-Generalsekretär hätte sagen können:
"Farce-Referendum. Putin demonstriert erneut seine neoimperialistische Vision im sowjetischen Stil, die die Sicherheit des europäischen Kontinents bedroht."
Melonis Mitgliedschaft in der transatlantischen Denkfabrik "Aspen Institute" kam jedoch erst im Februar 2021 zustande, als Meloni bereits zwei Jahrzehnte Politik hinter sich hatte. Eine ziemlich späte Entscheidung für eine NATO-Versteherin. Damit erhielt Meloni sozusagen die Erlaubnis des US-Imperiums – jene Zustimmung der Siegermächte, von der Meluzzi spricht – Italiens nächste Regierungschefin zu werden.
Eine "Italy first"-Politik mit etwas Hilfe von US-Freunden
Eines ist sicher: Allein kann Rom wenig Spielraum gegenüber der EU gewinnen, aber wenn die Republikaner die kommende US-Wahl, die Midterms, zu ihren Gunsten entscheiden, dann könnte die EU "Interesting Times" mit Italien erleben – im wahrsten Sinne eines Fluches. Denn ein Trump II oder ein anderer Republikaner als Präsident würde mit Melonis Regierung einen natürlichen Verbündeten bekommen.
Insbesondere für einen Entspannungskurs mit Russland bräuchte Meloni die Zustimmung der USA. Und diese wird nicht kommen, solange die US-Demokraten an der Macht sind. Man erinnert sich, wie die US-Demokraten während Trumps Amtszeit alles versuchten, um sogar normale Diplomatie mit Russland zu verhindern.
Man sagt Meloni und denkt an Orbán. Oder besser: man dachte (in Italien) an Orbán und wählte Meloni. Während der Wahlkampagne hatte sich Meloni jedoch von Orbán "distanziert", und zwar mit Worten, die zeigen, dass die Frau auch Humor hat:
"Ich stimme einem ernsthaften Europa zu. Orbán wird seine Entscheidungen treffen, aber ich tue nicht, was Orbán sagt. Ich tue nicht, was jemand sagt, ich schaue nur auf das italienische nationale Interesse."
"Italy first" eben. Und spannend. Doch das ist noch Zukunftsmusik. Das wird man vielleicht erst im Jahr 2023 sehen, wenn Melonis Regierung sich konsolidiert. Was als Nächstes kommt, sind die heimlichen Boykottversuche, über die RT DE schon berichtet hat.
Kampfhähne, Kapaune und der EU-Autopilot
Das Staatsoberhaupthaupt der Italienschen Republik verfügt schon verfassungsgemäß über mehr Macht als der deutsche Bundespräsident. Seine Rolle ist nicht nur zeremoniell. In den letzten Jahrzehnten ist Italien zunehmend eine Art semipräsidentielle Republik geworden. Die traditionelle Zerbrechlichkeit und Prozesshaftigkeit der italienischen Bündnisse haben diese Entwicklung ermöglicht, denn es gab zunehmenden Bedarf an einem "Schiedsrichter".
Meloni beabsichtigt, die italienische Verfassung (Artikel 11 und 117) so zu reformieren, dass diese Entwicklung formalisiert und demokratisiert wird – gleichbedeutend einer Direktwahl des Staatsoberhauptes. Die Kritik gegen ihr Vorhaben: Eine Verfassung in einem souveränen Stil, nach dem Vorbild Polens und Ungarns, sei mit der EU unvereinbar.
Mit Demokratie unvereinbar ist auch das Vorgehen von Präsident Mattarella. Seit Beginn seiner Amtszeit agiert Mattarella als Garant der EU in Italien. Er ist ein Meister darin, euroskeptische Kampfhähne in ebenso viele Kapaune zu verwandeln. Stichwort: Fünf-Sterne-Bewegung. Stichwort: Salvinis Lega post-Draghi.
Man bekommt legitim den Eindruck, der Vorgang sei ihm auch mit Meloni bereits gelungen. Oder vielleicht hat Mattarella mit Meloni sein Gegenstück gefunden? Sein erklärtes Ziel ist, den EU-Autopiloten zu sichern. Das bedeutet, dass die EU mit ihren "Reformen" weitermacht, unabhängig davon, wer die Wahl gewinnt und mit welchem Wahlprogramm. Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern eine offen erklärte Vorgehensweise. Ein Zitat Draghis aus seiner Zeit als Präsident der Europäischen Zentralbank von 2011 bis 2019 wird genügen:
"Die Märkte haben keine Angst vor den Wahlen, die Reformen laufen 'auf Autopiloten.'"
Mattarella hat durch seine beliebten Tageszeitungen wie Corriere della Sera und La Repubblica zu verstehen gegeben, er werde das letzte Wort über die folgenden Minister haben: Innen- (pro Immigration), Außen- (pro EU), Verteidigungs- (pro NATO) und Finanzminister (pro Austerität). Hinzu kommen die Medien, die fast alle prinzipiell gegen Meloni sind. Sie könnten Skandale, die auch ihre Familienangehörigen treffen würden, problemlos künstlich schaffen.
Welche Bündnisse möglich sind
Italien gilt längst als ein Land, dessen Bündnisse instabil sind und fast jährlich wechseln. Wie sieht es diesmal mit Melonis Wahlsieg aus?
Die italienischen Rechts-Bündnisse haben sich als deutlich stabiler erwiesen, etwa Berlusconis Regierungen in den Jahren 2001 bis 2006 und von 2008 bis 2011. In der Regel sind italienische Koalitionen stabil, wenn der Regierungschef auch der Vorsitzende der führenden Partei ist. Das ist auch im Fall von Melonis Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) so. Und weder der 85-jährige Berlusconi noch der stark demütigte Salvini (Meloni hat dreimal so viele Stimmen erhalten) sind in der Lage, Giorgia Meloni zu gefährden. Nicht im Geringsten! Melonis Partei hat mit 25 Prozent wesentlich mehr Stimmen als Berlusconi (8 Prozent) und Salvini (8 Prozent) zusammen!
Kein politisches Theater mehr? Doch. Aktuell läuft schon das erste Stück, und dabei entsteht bereits ein alternatives Bündnis zu dem, das noch nicht im Amt ist! Salvini will unbedingt – wie schon im Jahr 2018 – Innenminister werden. Meloni möchte das nicht. Auch weil sie weiß, dass Mattarella seinen Namen ablehnen könnte.
In der Lega herrscht zurzeit Aufruhr. Salvini hat sich vor seinen Wählern für die 2G-Regel am Arbeitsplatz entschuldigt. Er weiß, dass diese ausschlaggebend dafür war, dass viele seiner Wähler entweder Meloni gewählt haben oder einfach zu Hause geblieben sind.
Sollte die Lega implodieren, könnte ein neuer Sekretär aus Melonis Bündnis austreten und sich entscheiden, seine ehemaligen Wähler aus der Opposition wiederzugewinnen. Und der passende Ersatz liegt schon vor: "Terzo Polo" (die Partei Dritter Pol) des ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi und Carlo Calenda. Die beiden würden sicherlich Interesse zeigen, der Koalition beizutreten, sollte Meloni sie dazu einladen.
Somit wirkt Meloni als eine der stärksten Regierungschefs, die Italien in den letzten dreißig Jahren gekannt hat. Im Inneren sollte dies ausreichen, um den neutralisierenden Einfluss von Mattarella zu reduzieren.
Meloni und Russland
In Bezug auf Russland bewegt sich Giorgia Meloni mit äußerster Vorsicht, die USA nicht zu irritieren. Solange die Demokraten die US-Außenpolitik bestimmen, gibt es keinen Spielraum für Meloni, eine einige Ostpolitik aufzubauen.
Dies gelang aber Berlusconi, vor genau zwanzig Jahren, mit dem im Jahre 2002 auf dem Luftwaffenstützpunkt "Pratica di Mare" außerhalb von Rom einberufenen NATO-Gipfel, mit dem eine Entspannungsphase zwischen den USA und Russland startete. Am 28. Mai 2022, zum zwanzigsten Jubiläum des historischen Treffens, erinnerte Berlusconi in der italienischen Presse an seinen diplomatischen Erfolg mit diesen Worten:
"Ich beanspruche stolz, Italien eine führende Rolle in der Außenpolitik gegeben zu haben in voller Übereinstimmung mit unseren westlichen Verbündeten, indem ich 2002 George Bush und Wladimir Putin an denselben Tisch brachte, damit die Vereinigten Staaten und die Russische Föderation, den Vertrag unterzeichneten, der mehr als fünfzig Jahre Kalten Krieg beendete."
Berlusconi bot bereits an, in den Ukraine-Friedensverhandlungen in Zusammenarbeit mit Angela Merkel zu vermitteln. Ein politisch starker Joe Biden (körperlich und geistig zeigt er auf jeden Fall keine Stärke) würde dies bestimmt verhindern wollen. Ein nach der kommenden höchstwahrscheinlichen Niederlage bei den US-Midterms geschwächter Biden müsste seinen Ton ändern.
Die Hoffnung stirbt zuletzt – und zurecht
Die Hoffnung gilt, neben Glauben und Liebe, als christliche Kardinaltugend. Und die vielleicht schönsten Worte über das Wahlergebnis Italiens – schön, weil gleichzeitig realistisch und Vertrauen schaffend – sind die des Erzbischofs Carlo Maria Viganò, des ehemaligen Apostolischen Nuntius in den USA. Seit dem Jahr 2020 hat Viganò die Pläne des Great Reset mehrfach scharf angeprangert:
„Viele der von der PD verlorenen Stimmen sind in Melonis Partei geflossen. Dies bestätigt die Erwartungen derjenigen, die Giorgia Meloni nicht für das, was sie ist, gewählt haben, sondern für das, was sie sein kann; nicht für das, was sie gesagt hat, sondern für das, was alle von ihr erwarten.
Eine Meloni, die jene soliden Grundprinzipien des zivilen Zusammenlebens verteidigt. Grundprinzipien, die von der Soziallehre der Kirche inspiriert sind, und die die Italiener nicht bereit sind, aufzugeben: Schutz der natürlichen Familie, Achtung des Lebens, Sicherheit und der Kampf gegen die illegale Einwanderung, das Ende von Gender und LGBTQ+ Indoktrination für Minderjährige, Unternehmensfreiheit, Präsenz des Staates bei strategischen Vermögenswerten, größeres Gewicht in Europa und – wenn der Himmel will! – der Austritt aus dem Euro und die Rückkehr zur nationalen Souveränität."
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