Ein flächendeckender Stromausfall zählt angesichts unserer technisch vernetzten Welt heute zu den schlimmsten Katastrophenereignissen, die Europa heimsuchen können. Zwar ist das letzte Ereignis dieser Art bereits Jahrzehnte her, doch zeigte sich schon damals, wie verletzlich das Stromnetz ist. Am Ostermontag 1976 löste ein Waldbrand einen verheerenden Dominoeffekt aus. Dieser führte dazu, dass Teile der Schweiz, Österreichs und Deutschlands über mehrere Stunden einem Blackout ausgesetzt waren. Allerdings ist die damalige Lebensrealität in keinster Weise mit der Welt von heute vergleichbar. Denn schon die ersten Stunden ohne Strom brächten das Leben, wie wir es heute kennen, zum Stillstand.
Nahezu jeder Bereich unserer Gesellschaft ist auf eine sichere und zuverlässige Stromversorgung angewiesen – auch die kritischen Infrastrukturen: "Besonders schwerwiegend wären Ausfälle in der Informations- und Telekommunikation, Versorgungsausfälle bei der Wasser- und Abwasserversorgung sowie im Lebensmittelbereich. Auch die Krankenversorgung und die Gefahrenabwehr mit essenzieller Bedeutung für die Gesellschaft wären massiv betroffen", heißt es auf der Webseite des Bundesamts für Bevölkerungsschutz. Denn ohne Strom gibt es weder Licht noch Heizung, aus der Leitung kommt zudem kein Wasser. In Städten würden Menschen in Aufzügen festhängen – und zwar ohne Aussicht auf Hilfe, da die Mobiltelefone nicht mehr funktionieren würden. Auch nicht mit voll geladenem Akku.
Infolge ausgefallener Ampelanlagen käme es auf unseren Straßen vermehrt zu Unfällen und lebensrettende Operationen könnten ohne Strom bereits nach wenigen Tagen nicht mehr durchgeführt werden. "Ab drei Tagen aufwärts würden wir heute einschätzen, dass das zu katastrophalen Zuständen führen würde", erklärte Wolfram Geier, Abteilungspräsident beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.
Was sich wie die Handlung eines schlechten Katastrophenfilms anhört, ist indes eine durchaus ernstzunehmende Bedrohung für unsere Gesellschaft. Das hat nunmehr auch die EU-Kommission erkannt. "Es ist gut möglich, dass Katastrophenhilfe auch innerhalb der EU nötig wird", sagte der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarčič, Anfang der Woche dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Doch die EU sei auf alle Eventualitäten vorbereitet. Folgen eines flächendeckenden Stromausfalls und anderer daraus resultierender Notlagen könne die EU im Notfall demnach mittels zweier Szenarien begegnen:
"Wenn nur ein oder eine kleine Zahl an Mitgliedsstaaten von einem kleinen Zwischenfall wie einem Blackout betroffen ist, können andere EU‑Staaten über uns Stromgeneratoren liefern, wie es während Naturkatastrophen geschieht", erklärte der EU-Kommissar. Wäre hingegen eine große Zahl an Staaten zur selben Zeit betroffen – mit der Folge, dass die EU-Länder ihre Nothilfelieferungen an andere Mitglieder begrenzen müssten. Dann könne die Kommission den Bedarf aus ihrer strategischen Reserve bedienen, zu der laut Lenarčič Löschflugzeuge, Generatoren, Wasserpumpen, Treibstoff, aber auch medizinisches Gerät und inzwischen auch Medizin gehörten.
"Schon während der Corona-Pandemie haben wir gelernt, dass wir nicht erst im Krisenfall reagieren können, und wir versuchen deshalb inzwischen, künftige Krisen vorherzusagen", beruhigte Lenarčič. So habe sich die EU vor Beginn des Ukraine-Kriegs am 24. Februar vorausschauend auch bereits "gegen chemische, biologische, radiologische und nukleare Notfälle gewappnet. Auf diese Weise konnten wir nun schon fünf Millionen Jodtabletten an die Ukraine liefern, für die Anwohner bedrohter Atomkraftwerke."
Über das EU-Katastrophenschutzverfahren können alle EU-Mitgliedsstaaten, aber auch alle anderen Länder der Welt Hilfe im Fall von Waldbränden, Überschwemmungen, Erdbeben und ähnlichen akuten Krisen beantragen. Die Hilfen können Lenarčič zufolge noch am selben Tag weitergeleitet werden.
Den Beschwichtigungen der EU-Kommission scheinen Deutschlands Städte und Kommunen allerdings nicht zu trauen. Lieber bereiten sie sich selbst auf die drohenden Gas- und Strommangellagen vor – so auch die Bankenmetropole Frankfurt am Main. Und zur Vorbereitung hat die Stadt allen Grund: Würde dort über mehrere Tage hinweg der Strom ausfallen, hätte das fatale Folgen – für Menschen weltweit. Denn die Main-Metropole ist nicht nur die Heimat weltweit agierender Banken, sondern auch die zahlreicher Rechenzentren. Diese wiederum sind für die Banken im Notfall überlebenswichtig. Denn Experten befürchten, dass kaum ein Institut auf längere Stromausfälle vorbereitet ist.
Da die Banken bei ihrem Tagesgeschäft aber zunehmend auf eine funktionierende Datensicherung angewiesen sind, könnte ein großflächiger Stromausfall einen massiven Verlust von Daten zur Folge haben. Anders ausgedrückt: Das Geld auf dem Konto wäre dann weg. Da der Finanzplatz Frankfurt mit seinen rund 200 Banken zu einem der wichtigsten Finanzstandorte der Welt gehört, beträfe ein möglicher Verlust von Daten somit nicht nur Kunden in Deutschland, sondern auch jene in anderen Teilen der Welt. Ein Krisenszenario, das durch die Speicherung der Bankdaten in Rechenzentren verhindert werden soll.
Hier kommt DE-CIX ins Spiel, ein Internetknoten, der zu den größten der Welt gehört. In Frankfurt ist der DE-CIX aus über 35 verschiedenen Rechenzentren erreichbar und bildet eine der weltweit größten von einem Unternehmen betriebenen Interconnection-Infrastrukturen. Damit die Daten der DE-CIX-Kunden, zu denen genauso Banken zählen, auch im Fall eines möglichen Blackouts weiterhin gesichert sind, setzt das Unternehmen auf eine dezentrale und redundante Infrastruktur. Dementsprechend werden die Daten nicht nur auf einem, sondern gleich auf mehreren Servern gespeichert. Somit kann im Notfall von einem Server auf den anderen gewechselt werden. Doch auch diese Branche ist von einer funktionierenden Energieversorgung abhängig.
Gewiss könnten die Daten selbst bei einem flächendeckenden Stromausfall wenige Tage lang gesichert werden. Doch bei einem europaweiten Blackout wären auch die in Rechenzentren gespeicherten Daten verloren – trotz ihrer zumeist unabhängigen Stromversorgung durch eigene Kraftwerke, Batteriemodule und auch Notstromaggregate. "Das Risiko, einen flächendeckenden Blackout zu erleben, ist höher als noch vor einigen Jahren", erklärte Günter Eggers vom Verband der Internetwirtschaft Eco dem Handelsblatt.
"Die Branche betrachtet die technische und organisatorische Vorbereitung auf einen bis zu drei Tage oder länger andauernden Stromausfall als einen wesentlichen Teil ihrer Dienstleistung."
Es sei aber völlig unklar, ob die Maßnahmen noch funktionieren würden, wenn die Mitarbeiter wegen ausgefallener Transportmöglichkeiten nicht mehr ihre Arbeitsplätze erreichen könnten.
Hinzu kommt, dass nicht viele Faktoren nötig sind, um Europas empfindliches Stromnetz zu einem kompletten Absturz zu bringen. Auch wenn es zu gebietsweisen Blackouts infolge der Energiekrise kommt, muss das europäische Stromnetz stets ausglichen sein. Wird dieses nicht konstant bei 50 Hertz Netzfrequenz stabilisiert, drohen Stromausfälle. Bei einer zu starken Abweichung der Netzfrequenz vom Idealwert droht sogar der Zusammenbruch der europaweiten Stromversorgung – ein flächendeckender Blackout.
Sobald bei einem Unterangebot von Strom ein Wert von 47,5 Hertz unterschritten wird, beginnen sämtliche Kraftwerke damit, sich selbstständig abzuschalten – europaweit. Ein schnelles Wiederhochfahren des komplexen Systems ist dann nicht mehr möglich. Europa wäre zurück in der Steinzeit. Ob sich die Menschen hierzulande dann aber noch Gedanken um ihr verloren gegangenes Geld machen würden, bleibt fraglich.
Mehr zum Thema - "Das ist ein Schuss ins Herz" – Demonstranten fordern Ende der Sanktionspolitik