Das Europäische Parlament hat am Donnerstag beschlossen, Ungarn als "Wahlautokratie" zu bezeichnen. Die Einstufung erfolgt nun zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Kluft zwischen Budapest und Brüssel weiter vertieft. Die EU beschuldigt Ungarn der Korruption und anderer Rechtsverstöße. Dem Land droht aufgrunddessen die Kürzung von EU-Mitteln in Milliardenhöhe.
In einer Abstimmung mit 433 zu 123 Stimmen beschloss das Parlament, Ungarn nicht mehr als "Demokratie" zu bezeichnen, sondern als "hybrides Regime einer Wahlautokratie", wie es in dem nicht bindenden Gesetzestext heißt.
In ihrem Bericht über das politische System Ungarns behaupteten die EU-Gesetzgeber, dass die Wahlen und die Unabhängigkeit der Justiz des Landes gefährdet seien und dass die Regierung Orban die Rechte von Migranten, Minderheiten und der LGBT-Gemeinschaft eingeschränkt habe. Die Schlussfolgerungen des Berichts basierten auf einem "zunehmenden Konsens unter Experten", hieß es in dem Dokument.
In einem anderen Dokument der Behörde werden vor allem Defizite in der öffentlichen Auftragsvergabe kritisiert. Es gebe "schwerwiegende systembedingte Unregelmäßigkeiten, Mängel und Schwachstellen in den öffentlichen Vergabeverfahren".
Ungarn entgegnete, dass der Bericht "auf subjektiven Meinungen und politisch voreingenommenen Aussagen beruht" und "ein weiterer Versuch der föderalistischen europäischen politischen Parteien ist, Ungarn und seine christlich-demokratische, konservative Regierung anzugreifen".
Der Bericht fordert die Europäische Kommission auf, "die verfügbaren Instrumente voll auszuschöpfen", um Budapest wieder in Einklang mit den "europäischen Werten" zu bringen. Allerdings besteht noch immer die Möglichkeit für einen Kompromiss mit Budapest. Daher könnte Ungarn dennoch weiterhin EU-Gelder erhalten.
Die Abstimmung erfolgte einen Tag, nachdem Bloomberg berichtet hatte, dass die Europäische Kommission aufgrund von Korruptionsvorwürfen gegen Ministerpräsident Viktor Orbáns Regierung möglicherweise mehr als 40 Milliarden Euro an Finanzmitteln für Ungarn einbehält. Die Kommission hatte kurz nach der Wiederwahl von Orbáns Partei Fidesz im April begonnen, diese Vorwürfe zu untersuchen.
Das Europäische Parlament stimmte 2018 für die Anwendung von Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Ungarn als Reaktion auf Orbáns hartes Vorgehen gegen Einwanderung und die angebliche Missachtung der "Grundwerte" der Union. Wenn dieser Schritt vom Europarat ratifiziert wird, könnten Ungarn seine Mitgliedsrechte entzogen oder Sanktionen verhängt werden.
Ungarn hat nicht nur die Einwanderung stark eingeschränkt, sondern ist in letzter Zeit auch wegen der Reaktion der EU auf den Konflikt in der Ukraine mit der EU aneinandergeraten. Ungarn hat sich geweigert, Waffen aus seinem Hoheitsgebiet in die Ukraine einzuführen, sich gegen Sanktionen gegen russische fossile Brennstoffe gewehrt und seine eigenen Gasbezüge aus Russland aufgestockt.
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