Eine Analyse von Dr. Karin Kneissl
"Unsere europäischen Partner sollten der Türkei dankbar sein, dass sie den Transit unseres Gases auf den Europäischen Markt ungehindert sichert", sagte Präsident Wladimir Putin in Sotschi letzten Freitag bei seinem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Die TurkStream-Pipeline, die im Januar 2020 offiziell von den beiden Präsidenten eröffnet wurde, liefert russisches Erdgas über das Schwarze Meer und wichtige türkische Transitrouten nach Südosteuropa, wo die Leitung als Balkan Stream weiter nach Serbien verläuft.
Die politische Entscheidung für diesen direkten Erdgaskorridor zwischen Russland und der Türkei war im Dezember 2014 getroffen worden. Ab dem Frühjahr 2014 wurde das ursprüngliche Pipeline Projekt South Stream, welches Russland mit dem EU-Staat Bulgarien über das Schwarze Meer verbinden sollte, auf Druck der EU-Kommission gestoppt. Hintergrund war die Krim-Krise. South Stream sollte Nord Stream 1 und 2 ergänzen. Gazprom und der italienische Konzern ENI waren die wesentlichen Investoren. Im Juni 2014 sollten die Bauarbeiten starten, Zehntausende von Arbeitsverträgen waren bereits vergeben. Doch dann stockte alles. Moskau wartete bis Jahresende, wie sich die EU noch entscheiden wollte. Mit dem Argument, dass Wettbewerbsregeln bei der Ausschreibung des Terminals an der bulgarischen Küste verletzt worden wären, zog sich die EU-Kommission zurück und beging ihrerseits Vertragsbruch.
Die Türkei als Energiehub für Europa
Die Türkei wurde spätestens mit der transkaukasischen BTC-Erdölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan, die unter Leitung von BP errichtet und ab 2005 in Betrieb genommen wurde, zu einem entscheidenden Transitland für europäische Energiekunden. Geopolitisch war auch diese Leitung in ihrer Entstehungsgeschichte von Anbeginn an brisant. Der erste Tschetschenienkrieg in den 1990er Jahren und politische Umstürze in Georgien spielten dabei eine Rolle. So manche Pipeline hat ihr Drehbuch. Mal ein klügeres, mal ein völlig gescheitertes. Letzteres war der Fall bei der unter österreichischer Federführung der OMV vorangetriebenen Projekt der Nabucco-Pipeline. Dieses Projekt wurde als teures Marketingspektakel betrieben, aber es gab nie einen Einspeisungsvertrag für die Erdgaskunden. Die Türkei spielte auch hierbei eine wichtige Rolle. Es ging damals klar um die Umgehung russischer Erdgaspipelines. Ab 2014 schwenkte die Türkei um und begann ihrerseits eine intensive Energiekooperation mit Russland.
Die Türkei wird in Rubel zahlen
Erdoğan kündigte am Freitag in Sotschi an, ein "neues Kapitel in den Beziehungen zwischen den beiden Staaten eröffnen zu wollen". Das Ergebnis der vertieften Kooperation kann sich sehen lassen, denn ein Paket der zuvor auf Beamtenebene erarbeiteten Verträge wurde offiziell unter Dach und Fach gebracht. Wichtige Investitionsprojekte zwischen den beiden Ländern werden laut dem russischen Staatschef wie geplant fortgesetzt. Der bilaterale Handel zwischen beiden Ländern habe in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 50 Prozent zugenommen, wodurch frühere Verluste wettgemacht werden konnten. Der zweitwichtigste NATO Staat beteiligt sich nicht an den Sanktionen der USA und EU gegen Russland, vielmehr engagiert sich die Türkei in diplomatischen Vermittlungen.
Putin lobte zudem die aus Russland und über die Türkei verlaufende Pipeline TurkStream. Die sei nicht nur eine der wichtigsten Versorgungsadern Europas, sondern funktioniere "im Gegensatz zu anderen Richtungen unserer Kohlenstofflieferungen störungsfrei, dynamisch und ohne Ausfälle", sagte der Präsident mit Blick auf die seit Juni zurückgefahrenen Gasliefermengen bei der Pipeline Nord Stream 1. Die Türkei zahlt russischen Angaben zufolge künftig einen Teil der Gaslieferungen aus Russland in Rubel. Darauf hätten sich die beiden Präsidenten geeinigt, sagte der russische Vizeministerpräsident Alexander Nowak laut der Nachrichtenagentur Interfax.
Lehrbeispiel gelebter Diplomatie
Das Dossier der bilateralen Beziehungen zwischen Ankara und Moskau ist von vielen Gegensätzen – ob in Syrien oder in Libyen – geprägt, zu denen sich noch historischer Ballast gesellt. Aber es ist faszinierend zu beobachten, wie es sowohl auf technisch-diplomatischer Ebene als auch im politischen Gespräch zwischen den Staatsspitzen gelingt, diese Spannungen aufzulösen. Es sei in Erinnerung gerufen, dass die Ermordung des damaligen russischen Botschafters Andrei Karlow im Dezember 2016 in Ankara das Verhältnis zwar erschütterte – wie zuvor schon der Abschuss eines russischen Kampfjets beim Anflug auf Syrien durch die türkische Luftabwehr – aber die Beziehungen blieben professionell aufrechterhalten. "Unsere Gespräche mit der Türkei sind manchmal schwierig, aber sie enden immer mit einem positiven Ergebnis; wir haben gelernt, einen Kompromiss zu finden", sagte Putin.
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