Eine Analyse von Fjodor Lukjanow
Zwischen Belgrad und Pristina kommt es regelmäßig zu Spannungen, da die Frage rund um den Kosovo seit dem Jahr 1999, als die Provinz, nach dem von den USA angeführten NATO-Feldzug gegen das ehemalige Jugoslawien, de facto die Unabhängigkeit erlangte, nie gelöst wurde. Diesmal besteht jedoch die Gefahr, dass die mehr oder weniger routinierten Reibungen, zu einem gefährlichen Konflikt eskalieren, weil sich die geopolitischen Rahmenbedingungen dramatisch verändert haben.
Das Kosovo-Problem wurde Ende des 20. Jahrhunderts in strikter Übereinstimmung mit dem damals vorherrschenden Ansatz und in scheinbarer Alternativlosigkeit gelöst. Streitigkeiten wurden in den meisten Teilen Europas – das heißt außerhalb der ehemaligen UdSSR – nach den Vorstellungen der EU von Fairness beigelegt. Wo sie nicht einvernehmlich gelöst werden konnten, wurde Druck auf die Aufständischen ausgeübt, bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt, die in erster Linie eine war, die wie immer von den USA angewendet wurde. Die widerspenstigsten Akteure waren jene auf dem Balkan. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre fand der Krieg in Bosnien statt, in der zweiten Hälfte der Konflikt um den Kosovo. Ohne die qualitativen und moralischen Aspekte der Politik der letzten 25 Jahre zu bewerten, können wir über das Wichtigste sprechen.
Die Region entwickelte sich unter Bedingungen, in denen der einzige zukünftige Fahrplan für die verschiedenen Staaten eine eventuelle Mitgliedschaft in der EU war – mit Aussichten, die von relativ zeitnah bis zeitlich sehr fern reichten, aber unvermeidlich schienen. Es gab keine anderen Optionen, keinen Plan B, C oder D. Dementsprechend war es die EU, die alle Prozesse vor Ort regelte und im Allgemeinen wurde diese Konstellation als selbstverständlich angesehen.
Darüber hinaus haben andere Kräfte wie Russland und die Türkei, die traditionell auf dem Balkan aktiv und wichtig waren, ihre Anwesenheit signalisiert – und das oft ziemlich deutlich –, aber nie den Anspruch erhoben, eine entscheidende Stimme bei der Art und Weise zu haben, wie die Dinge arrangiert wurden. Dieser Rahmen definierte auch den Handlungsspielraum für die Länder in der Region, einschließlich derjenigen, die am lautesten unzufrieden waren, so wie Serbien.
Jetzt aber haben sich zwei wichtige Umstände geändert: Erstens befindet sich die EU in einem so verletzlichen Zustand, dass sie nicht bereit ist, die volle Verantwortung für die äußerst komplexe politische Situation in ihrer unmittelbaren Peripherie zu übernehmen. Sie kann keine Mitgliedschaft versprechen und selbst, wenn sie eine solche Zusage gemacht wird, würde das nichts garantieren.
Die Bewältigung der Probleme auf dem zentralen Balkan – in Bosnien und im Kosovo – durch die EU hat im letzten Vierteljahrhundert nicht zum gewünschten Ergebnis geführt. Umso unwahrscheinlicher ist es, dass es jetzt klappen wird, denn der zweite Umstand ist, dass sich Russland und der Westen, also die EU, die USA und die NATO, in einem Zustand akuter Konfrontation befinden.
Infolgedessen gibt es keinen Grund, Moskaus Hilfe bei der Lösung der Situation zu erwarten, sei es im Kosovo oder in Bosnien. Im Moment kann die vom Westen bevorzugte Praxis der "selektiven Interaktion" – wir arbeiten mit Russland zusammen, wo wir es brauchen, lehnen es aber ab, uns in anderen Fragen zu engagieren – nicht länger angewendet werden. Es wird keine Zusammenarbeit geben. Russland und der Westen werden überall auf gegenüberliegenden Seiten der Barrikaden stehen, egal um welches Thema es sich handelt. Wir befinden uns in einem systemischen Kalten Krieg. Und diese Realität kann großen Einfluss darauf haben, was auf dem Balkan passieren wird.
Die Frage ist, inwieweit regionale Akteure ihre Leidenschaft für Kräftemessen, Revanche oder Expansion bewahrt haben. Es besteht der Verdacht, dass dieser Eifer erschöpft ist und entmannt wurde, aber falls dieser Eifer immer noch brennt, werden diesmal externe Kräfte in den Konflikt eingreifen und die gegnerischen Seiten unterstützen.
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Fjodor Lukjanow ist Chefredakteur von Russia in Global Affairs, Vorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und Forschungsdirektor des Valdai International Discussion Club