von Seyed Alireza Mousavi
Während die Beziehungen der beiden verfeindeten NATO-Staaten Griechenland und Türkei wegen Streitigkeiten um Gasvorkommen und Hoheitsgebiete im Mittelmeer angespannt sind wie lange nicht mehr, bereiste die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock letzte Woche nacheinander beide Länder am östlichen Mittelmeer.
Bekanntlich stellt sich Frankreich traditionell im Streit um das Erdgas im Mittelmeer an die Seite Griechenlands und faktisch gegen die Türkei. Dagegen fungierte Deutschland bislang als ein neutraler Vermittler zwischen Ankara und Athen. Führende Politiker in Berlin haben stets versucht, gegenüber der Türkei keine unnötig härteren Töne anzuschlagen. Die Bundesregierung wurde vor allem in der Ära Merkels für die Türkei als ein vertrauter Partner auf diplomatischer Ebene gesehen, der sich um eine Einbindung der türkischen Außenpolitik in Konzepte der EU bemühte.
Diesmal trat Baerbock in der Türkei jedoch als eine höchst undiplomatische "Diplomatin" auf: Im Territorialstreit zwischen der Türkei und Griechenland stellte sich die Bundesaußenministerin Baerbock mit einem höchst zweifelhaften Schritt ausdrücklich auf die Seite Griechenlands, wobei sie sich obendrein in der gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu heftige Wortgefechte lieferte. Als Reaktion auf Baerbocks Positionierungen sagte Çavuşoğlu in Istanbul, bei solchen Streitigkeiten solle Deutschland besser "lösungsorientiert" sein wie unter Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Frau Merkel hat das getan. Um die Wahrheit zu sagen, war Deutschland in dieser Zeit ein ehrlicher Vermittler." Deutschlands Politik sei damals ausgewogen gewesen, fügte Çavuşoğlu hinzu.
In der gemeinsamen Pressekonferenz kritisierte Baerbock zudem die Inhaftierung des sogenannten "Philanthropen" Osman Kavala. Für den türkischen Präsidenten Erdoğan ist der Appell zur Freilassung des "türkischen Soros" Kavala ein Beweis für die Einmischung des Westens in innere Angelegenheiten der Türkei sowie für eine internationale Verschwörung gegen seine politische Linie.
Nach dem offen ausgetragenen Streit zwischen Baerbock und Çavuşoğlu in Istanbul kritisierte die Türkische Gemeinde in Deutschland den Umgang mit türkischen Befindlichkeiten. Gökay Sofuoğlu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, fürchtet offenbar, dass die türkisch-stämmige Bevölkerung unter diesen Verhältnissen leiden könnte. Der CDU-Außenexperte Johann Wadephul warf der Außenministerin Baerbock einen "ungeschickten Stil" vor. Dass Baerbock die Türkei von Athen aus öffentlich kritisiert habe, halte er für "nicht hilfreich", sagte der CDU/CSU-Fraktionsvize am Sonntag.
Baerbock, die einen "ideologischen Umbau des Auswärtigen Amtes" vorantreibt, traf nach der Konfrontation mit Çavuşoğlu auch in einem weiteren undiplomatischen Schritt mehrere Oppositionspolitiker in der Hauptstadt Ankara. Sie traf sich dort am Samstag unter anderem mit dem Co-Vorsitzenden der drittgrößten parlamentarischen Partei, der prokurdischen Partei HDP. Die türkische Regierung wirft jedoch dieser Partei vor, der verlängerte Arm der PKK zu sein, die in der Türkei, Europa und den USA als "Terrororganisation" gilt.
Baerbock zeigte auf ihrer diplomatischen Tour in Griechenland und der Türkei ihre ganz persönliche moralische Überheblichkeit gegenüber Türken und ruinierte damit faktisch die neutrale Rolle Deutschlands zwischen Ankara und Athen. Und das geschah gerade zu einer Zeit, in der die Türkei für den Westen im Zuge des Ukraine-Kriegs eigentlich strategisch unverzichtbar ist. Ankaras Kontrolle über den maritimen Zugang zum Schwarzen Meer und die gelungene Vermittlerrolle der Türkei in der Frage, wie wieder Weizenexporte aus ukrainischen Häfen möglich werden, bringen das Land am östlichen Mittelmeer in eine Schlüsselposition für das restliche Europa. Baerbock, die von einer "feministischen Außenpolitik" träumt, hat mit ihrem Antrittsbesuch in Ankara ein Stück mehr den Weg geebnet, damit Russland die Türkei stärker an seine Seite binden kann.
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