Eine große Mehrheit der Europaabgeordneten hat sich dafür ausgesprochen, der Ukraine, Moldawien und Georgien den Status eines EU-Beitrittskandidaten zu verleihen. Die Abstimmung fand im Vorfeld des Gipfels des Europäischen Rates statt, der am Donnerstag und Freitag über die Annahme der Bewerbungen der drei Länder entscheiden soll.
Bei der Abstimmung am Donnerstag stimmten 529 Abgeordnete für die Annahme der Resolution, 45 stimmten dagegen, 14 weitere enthielten sich.
Vorausgegangen war eine Plenarsitzung am Mittwoch, nach der eine Pressemitteilung herausgegeben wurde, in der man sich für die Verleihung des begehrten Status an die drei Länder aussprach.
"Angesichts der Aggression Putins und des Engagements der ukrainischen, moldawischen und georgischen Bevölkerung für ihre europäische Zukunft forderte eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten die Staats- und Regierungschefs der EU auf, allen drei Ländern den Weg zum Beitritt zu öffnen", heißt es in dem Dokument.
Eine Reihe von Abgeordneten betonte, dass begonnene Reformen in der Ukraine, Moldawien und Georgien fortgesetzt werden müssten. Andere wiesen darauf hin, dass der Weg zur EU-Mitgliedschaft für diese drei Länder langwierig sein werde. In der Tat gibt es in der Liste der Anforderungen Punkte, die noch nicht erfüllt zu sein scheinen. Am Donnerstag hieß es zunächst, dass Georgien erst EU-Kandidat werden dürfe, wenn es weitere Reformen einleitet.
Für die EU-Beitrittskandidaten sind von 2021 bis 2027 insgesamt 14,16 Milliarden Euro als sogenannte "Heranführungshilfen" eingeplant. Das Geld soll Reformen unterstützen, die Auszahlung müsste jedoch von den Mitgliedsstaaten bewilligt werden. Diese Gelder sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Wiederaufbau der hoch verschuldeten Ukraine wird schätzungsweise weit mehr als eine Billion Euro kosten, während die ungewisse Zukunft des Landes Schätzungen kaum zulassen.
Selbst wenn die Ukraine Beitrittskandidat ist, heißt das nicht, dass sie direkt Mitglied der EU werden könnte. Vor dem Beginn von Beitrittsverhandlungen muss Kiew zunächst sieben Voraussetzungen erfüllen. Unter anderem geht es um eine unabhängige Justiz und eine stärkere Korruptionsbekämpfung – insbesondere auf hoher Ebene. Die EU-Kommission fordert außerdem, dass Standards im Kampf gegen Geldwäsche eingehalten werden und ein Gesetz gegen den übermäßigen Einfluss von Oligarchen umgesetzt wird.
Die Entschließungen des Europäischen Parlaments sind nicht bindend. Zwar stellten sich sowohl die Mehrheit der Europaabgeordneten als auch die Europäische Kommission hinter die Bewerbung der Ukraine, das letzte Wort haben jedoch die Staats- und Regierungschefs aller 27 EU-Mitgliedsstaaten.
Bei einem regulären EU-Gipfel wollten die Staats- und Regierungschefs am Donnerstagnachmittag darüber entscheiden, ob die Ukraine und deren kleines Nachbarland Moldawien den Status als EU-Beitrittskandidat bekommen. Eine Entscheidung über den Status muss einstimmig getroffen werden.
Kiew hatte seinen offiziellen Antrag auf EU-Mitgliedschaft Ende Februar gestellt, nur wenige Tage nach Beginn des Krieges. Moldawien und Georgien folgten diesem Beispiel Anfang März.
Die EU hatte Albanien, Nordmazedonien, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo 2003 einen EU-Beitritt in Aussicht gestellt. Inzwischen ist der Prozess aber festgefahren, unter anderem, weil Bulgarien Forderungen an Albanien und Nordmazedonien nicht noch erfüllt sieht. Die Staats- und Regierungschefs Serbiens, Albaniens und Nordmazedoniens sollen sich bis Mittwochmittag einen Gipfel-Boykott offengehalten haben – entschieden sich dann aber dagegen.
Mehrere Medien hatten zudem behauptet, einige Mitgliedsstaaten hätten sich zunächst gegen die Bewerbung der Ukraine ausgesprochen. Der französische Präsident Emmanuel Macron hatte die Ukraine und die anderen Beitrittskandidaten gewarnt, dass die EU-Mitgliedschaft für sie noch Jahrzehnte entfernt sein könnte, und sogar die Schaffung einer "europäischen politischen Gemeinschaft" als Alternative vorgeschlagen.
Seit die Europäische Kommission am vergangenen Freitag ihre Meinung kundtat, änderte sich der Tonfall in den Erklärungen der einzelnen Mitgliedsstaaten jedoch, und in den letzten Tagen war von einem Konsens über die ukrainische Kandidatur die Rede.
Dass die Ukraine die Anforderungen im Rahmen von EU-Beitrittsverhandlungen erfüllen kann, bleibt äußerst unwahrscheinlich. Der Europäische Rechnungshof hatte dem Land noch im September ein verheerendes Zeugnis ausgestellt. "Obwohl die Ukraine Unterstützung unterschiedlichster Art vonseiten der EU erhält, untergraben Oligarchen und Interessengruppen nach wie vor die Rechtsstaatlichkeit in der Ukraine und gefährden die Entwicklung des Landes", hieß es damals.
Zwar hätten EU-Projekte und EU-Hilfen dazu beigetragen, die ukrainische Verfassung sowie eine Vielzahl von Gesetzen zu überarbeiten. Die Errungenschaften seien allerdings ständig gefährdet, und es gebe zahlreiche Versuche, Gesetze zu umgehen und die Reformen zu verwässern. Das gesamte System der strafrechtlichen Ermittlung und Strafverfolgung sowie der Anklageerhebung bei Korruptionsfällen auf höchster Ebene sei alles andere als gefestigt.
Zudem gilt es als ausgeschlossen, dass die Ukraine vor Kriegsende EU-Mitglied wird. Denn dann könnte Kiew nach Artikel 42, Absatz 7 des EU-Vertrags militärischen Beistand von anderen EU-Staaten einfordern – die EU wäre offiziell Kriegspartei.
Da in der EU in vielen wichtigen Bereichen die Einstimmigkeit gilt, sind Entscheidungen bereits mit 27 Mitgliedern oft eine zähe Angelegenheit. Laut Bundeskanzler Olaf Scholz müsse die EU sich "erweiterungsfähig" machen. Dazu gehöre auch, für einige Entscheidungen das Prinzip der Einstimmigkeit aufzuheben. Jedoch ist sehr unwahrscheinlich, dass alle Staaten bereit sind, ihr Vetorecht aufzugeben.
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