Ukrainische Regierung fühlt sich von deutscher Seite zu Verhandlungen gedrängt

Vor dem Hintergrund des Besuchs führender EU-Politiker sieht sich die Ukraine unter Druck gesetzt, friedliche Verhandlungslösungen mit Moskau zu finden. Alexei Arestowitsch, Berater des ukrainischen Präsidenten, befürchtet, "sie werden versuchen, ein Minsk III zu erreichen".

Ukrainische Regierungspolitiker sehen sich von verschiedenen Ländern, darunter Deutschland, zu Verhandlungslösungen gedrängt und warnen vor einer vermeintlichen Einmischung von außen. So erklärte Alexei Arestowitsch, Berater des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij, vor dem Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz, des französischen Präsidenten Emmanuel Macron und des italienischen Präsidenten Mario Draghi in Kiew gegenüber dem Boulevardblatt Bild:

"Ich fürchte, sie werden versuchen, ein Minsk III zu erreichen. Sie werden sagen, dass wir den Krieg beenden müssen, der Ernährungsprobleme und wirtschaftliche Probleme verursacht, dass Russen und Ukrainer sterben, dass wir das Gesicht von Herrn Putin wahren müssen, dass die Russen Fehler gemacht haben, und dass wir verzeihen müssen und ihnen eine Chance geben müssen, in die Weltgemeinschaft zurückzukehren."

Auch in den baltischen Staaten und Polen ist man vor dem Besuch von Scholz, Macron und Draghi skeptisch. Ein osteuropäischer Diplomat sagte am Montag der Welt:

"Wir fürchten, dass sie in Wahrheit eine Verhandlungslösung wollen, die zu früh kommt und sehr schmerzhaft für die Ukraine sein könnte."

Die Vorwürfe Kiews dürften sich darauf beziehen, dass Deutschland, Frankreich und Italien versuchen könnten, die Regierung in Kiew zu überzeugen, nach einer voraussichtlichen militärischen Niederlage der Ukraine im Donbass im Sommer den Verlust der Ostukraine und der Krim zu akzeptieren und damit zu einer friedlichen Verhandlungslösung in Moskau zu kommen.

Nach Einschätzungen aus Diplomatenkreisen aus den USA, Deutschland, Frankreich und Italien würden nach einem Bericht der Welt langfristige massive Waffenlieferungen an die Ukraine nicht nur die eigenen militärischen Fähigkeiten schwächen, sondern auch den Krieg in der Ukraine verlängern. Damit dürften sich die Kosten für den Wiederaufbau des Landes erhöhen und die Sanktionen und deren Folgen für die EU-Volkswirtschaften verlängern. Bei einem Besuch am Mittwoch in Rumänien sprach auch Macron vor allem über Verhandlungen und weniger über Waffen:

"An einem bestimmten Punkt wird das Gewehrfeuer aufhören müssen, und Gespräche müssen aufgenommen werden."

In seiner Rede machte Macron auch eine klare Ansage an den ukrainischen Präsidenten Selenskij:

"An einem bestimmten Punkt wird Präsident Selenskij mit Russland verhandeln müssen, und wir werden auch am Tisch sitzen, indem wir Sicherheitsgarantien abgeben werden. Das ist die Realität, und das muss passieren."

Bereits Anfang Juni hatte sich Macron teilweise bereit zu Kompromissen mit Moskau gezeigt und erklärt, dass man "Russland nicht demütigten" dürfe. Auch die Regierung in Rom hatte vor einem Monat Friedensverhandlungen gefordert. So hatte der italienische Außenminister Luigi di Maio damals betont, man brauche nun eine diplomatische Gegenoffensive. Einige Personen sprechen sich jedoch deutlich gegen friedliche Verhandlungslösungen aus. So erklärte der Grünen-Politiker Anton Hofreiter der Welt:

"Jetzt steht an, die Ukraine militärisch zu unterstützen, damit sie ihre Verteidigungsfähigkeit behält und dadurch das Regime Putin zu ernsthaften Verhandlungen gezwungen wird. Es ist jetzt nicht die Zeit, über die territoriale Integrität der Ukraine zu spekulieren."

Auch NATO-Chef Jens Stoltenberg drängt weiterhin auf die schnelle Lieferung weiterer hochmoderner Waffen an die Ukraine.

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