Seit dem Beginn der russischen Militäroperation in der Ukraine am 24. Februar muss man in Deutschland extrem vorsichtig sein und jegliche Äußerungen vermeiden, die hiesige Behörden als eine "Solidarisierung mit dem russischen Angriffskrieg" interpretieren könnten. Zumindest dann, wenn man etwa beim Messenger-Dienst Telegram über eine beträchtliche Abonnentenzahl verfügt.
So ist es nun der deutsch-russischen Bloggerin und freien Journalistin Alina Lipp ergangen, gegen die laut dem zum Werbekonzern Ströer gehörenden Portal T-Online bereits seit Februar ermittelt wird. Die Ermittlungen nahm die Staatsanwaltschaft Lüneburg auf, vor ein paar Tagen hat die Staatsanwaltschaft Göttingen den Fall übernommen. Nun wird sich die Zentralstelle für Hasskriminalität im Internet mit dem "Fall Alina Lipp" beschäftigen.
Alina Lipp betreibt einen Telegram-Kanal "Neues aus Russland". Da sie seit sechs Monaten in Donezk lebt, konnte die 28-Jährige seit Februar aus der von den Kriegshandlungen betroffenen Region authentisch und unmittelbar berichten – und zwar aus der russischen Sicht. Das große Bedürfnis nach solchen Informationen aus erster Hand ließ die Zahl von Abonnenten innerhalb von nur wenigen Monaten von einigen Tausend auf 155.000 anwachsen.
Am Mittwoch wandte sich Alina Lipp an ihre Kollegen wie auch die Nutzer mit einem Appell und stellte an sie adressierte Schreiben der Lüneburger Staatsanwaltschaft ins Netz. Wie aus den Dokumenten hervorgeht, wird gegen Lipp nach § 140 des Strafgesetzbuches ermittelt – wegen "Belohnung und Billigung von Straftaten". In dem Brief, der auch die Beschlagnahme von Geldern in Höhe von 1.600 Euro und das "Anhalten" von weiteren 12.000 Euro von ihrem deutschen Spendenkonto rechtfertigen soll, werden die Gründe genannt, die es wahrlich in sich haben.
Da laut Staatsanwaltschaft der "am 24. Februar begonnene Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine" eine Straftat nach §13 des Völkerstrafgesetzbuches (Verbrechen der Aggression) darstellt, sei auch deren Gutheißung strafbar.
Die Äußerungen Lipps auf sozialen Kanälen seien dafür geeignet, das psychische Klima innerhalb der Bevölkerung der Bundesrepublik aufzuhetzen, einen Dissens innerhalb der Gesellschaft herbeizuführen und Zweifel an der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Meinungsbildung und der Wahrhaftigkeit der medialen Berichterstattung innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu säen.
Auch könne die Vertrauenswürdigkeit des demokratischen Systems insgesamt erschüttert werden – wegen ihrer Postings wie solchen am 24. Februar, als sie gemeldet hatte, "die Denazifikation habe begonnen" und dass die Bevölkerung die Russen und die "Befreiung" durch sie feiern würde. Strafbar sei auch die Mitteilung vom 12. März, wonach es seit Jahren zu einem Genozid durch die Ukrainer kam.
Die Staatsanwaltschaft betont, dass die genannten Postings aufgrund der großen Gesamtzahl nur "exemplarisch" seien. Die Bloggerin, die ihren Kommentar zu den Anschuldigungen vielsagend unweit vom Denkmal an die ermordeten Kinder in der Donezker Volksrepublik dreht, weist noch sichtlich belustigt darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft auf eine Einladung zu ihrer Anhörung verzichte, weil sie damit "den Ermittlungszweck gefährden" würde: "Sie ermitteln gegen mich, aber wollen mich nicht anhören. Interessant."
"Das, was mir passiert ist, kann allen unabhängigen Bloggern und Journalisten passieren und wir müssen uns gegen Zensur zusammenschließen", sagte Lipp.
Im Fall von Alina Lipp ist es bemerkenswert, dass die strafrechtliche Ermittlung parallel zu einer massiven Diffamierungskampagne gegen sie und einige andere Vertreter der alternativen Medien stattfindet. Seit dem Beginn der neuen Phase des Ukraine-Krieges im Februar haben zahlreiche deutsche Medien inzwischen eine unübersichtlich gewordene Anzahl von Beiträgen produziert, die Lipp als "Putins" Infokriegerin dämonisieren – so als ob der russische Präsident sie noch im Jahr 2021 vorsorglich aus Lüneburg nach Donezk teleportiert hätte, um sie von dort seine Ansichten dem deutschen Publikum mitteilen zu lassen.
Nun, nachdem es bekannt geworden ist, dass Lipp bis zu drei Jahre Haft drohen, brechen die deutschen Medien wie etwa T-Online in Jubel aus und teilen mit, dass endlich "Putins Sprachrohr" für seine Kriegspropaganda bestraft werden könne.
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