Eine Analyse von Alexei Sakwasin und Elisaweta Komarowa
Radoslaw Sikorski, ein Abgeordneter des Europäischen Parlaments und ehemaliger polnischer Außenminister, hat Moskau beschuldigt, das Budapester Memorandum verletzt zu haben. Zudem behauptete er, dass der Westen in einem solchen Fall das Recht habe, der Ukraine Atomsprengköpfe zur Verfügung zu stellen, damit sie ihre Unabhängigkeit verteidigen könne.
Analysten sind sich jedoch einig, dass es katastrophalen Folgen auf globaler Ebene bedeutet, falls Kiew in den Besitz von Atomwaffen kommt.
Angesichts Sikorskis Äußerung über die Notwendigkeit der Bereitstellung von Atomwaffen an die Ukraine sprach Wjatscheslaw Wolodin, der Vorsitzende der russischen Staatsduma, von der Provokation eines nuklearen Konflikts. Auf Telegram schrieb er:
"Sikorski provoziert einen nuklearen Konflikt mitten in Europa. Er denkt weder an die Zukunft der Ukraine noch an die Polens. Sollten seine Vorschläge zur Verwirklichung kommen, werden diese Länder nicht mehr existieren, ebenso wie Europa."
Wolodin empfiehlt Sikorski, "sich von einem Psychiater untersuchen zu lassen, sein Mandat niederzulegen und zu Hause unter Aufsicht zu bleiben". Der Vorsitzende der russischen Staatsduma erklärte wörtlich:
"Genau wegen solchen Leuten wie Sikorski muss die Ukraine sowohl von der Nazi-Ideologie befreit als auch entmilitarisiert werden, um den atomfreien Status des Landes zu gewährleisten."
Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Außenministeriums, erklärte diesbezüglich, dass der polnische Politiker durch die geforderte Verletzung des Nichtverbreitungsregimes eine Bedrohung für den Planten darstelle. Zudem gefährde Sikorski das polnische Volk, indem es in die nukleare Neuaufteilung der Welt verstrickt werde. Auf Telegram schrieb Sachrowa:
"Polnische Politiker, die von einem amerikanischen Antriebsriemen gesteuert werden, legen eine extremistische Ideologie an den Tag, verbreiten Hass, schüren Konflikte und bedrohen jetzt auch noch den Planeten mit der Verletzung des Nichtverbreitungsregimes für Atomwaffen. Vor allem gefährden sie aber das polnische Volk, das in eine nukleare Neuaufteilung der Welt verstrickt wird."
In einem Interview mit dem ukrainischen Fernsehsender Espreso TV am späten Abend des 11. Juni hatte Sikorski Moskau beschuldigt, das Budapester Memorandum von 1994 verletzt zu haben, in dem Kiew auf Atomwaffen verzichtete und im Gegenzug die Unterstützung seiner Souveränität und territorialen Integrität durch Russland, die USA und Großbritannien zugesichert bekam. Sikorski erklärte:
"Weil Russland das Budapester Memorandum verletzt hat, glaube ich, dass wir als Westen das Recht haben, der Ukraine Atomsprengköpfe zu überlassen, sodass sie ihre Unabhängigkeit verteidigen kann."
In einem Kommentar an RT sagte Nikolai Kostikin, ein Experte für politisch-militärische Analysen, dass eine mögliche Bereitstellung von Atomwaffen an die ukrainischen Streitkräfte zu einer Eskalation im Ukraine-Konflikt führen und einen nuklearen Konflikt in Europa unvermeidlich machen würde:
"Wenn das geschieht, wird das ein nuklearer Konflikt in Europa sein. Russland wird alles daran setzen, dies zu verhindern."
Wiederbelebung des Memorandums
Zum jetzigen Zeitpunkt lehnt der kollektive Westen eine Übergabe von Atomwaffen an Kiew ab. Unter anderem sagte die stellvertretende US-Außenministerin für europäische und eurasische Angelegenheiten Karen Donfried bei einer Senatsanhörung am 12. Juni, dass die Lieferung von Atomwaffen an die Ukraine keinesfalls infrage komme.
Nikolai Kostikin erklärte diesbezüglich:
"Meiner Ansicht nach wollen die Vereinigten Staaten tatsächlich nicht, dass die Ukraine Atomwaffen erhält oder, um genau zu sein, dass sie darüber selbst verfügt. Eine andere Sache ist die, dass Washington im Rahmen seiner militärischen Erschließung des Landes in der Lage ist, sein eigenes Atomwaffenarsenal in der Ukraine zu stationieren. Eigentlich ist die Spezialoperation der russischen Streitkräfte gerade dazu da, eine solche Entwicklung zu verhindern."
Erwähnenswert ist, dass die Vereinigten Staaten nach dem Zusammenbruch der UdSSR der Hauptinitiator für die Denuklearisierung der unabhängigen Ukraine waren. Zum damaligen Zeitpunkt befürchtete Washington, dass Kiew nicht in der Lage sein würde, eine angemessene Kontrolle über sein Atomwaffenarsenal zu gewährleisten.
Anfang der 1990er-Jahre verfügte die Ukraine über 165 ballistische Interkontinentalraketen vom Typ Satan (SS-18) und Skalpel (SS-24), etwa 900 nukleare Sprengköpfe, 400 Überschall-Langstrecken-Marschflugkörper vom Typ Raduga Ch-22 Burja und Langstreckenbomber vom Typ Tu-22M3 für den nuklearen Einsatz.
Durch Verschrottung und Übergabe an die Russische Föderation entledigte sich die Ukraine ihrer Atomwaffen. Als Ersatz lieferte Moskau Kiew kostenlose Brennelemente für Kernkraftwerke, während die USA finanzielle Unterstützung leisteten. Die ukrainischen Behörden zögerten mit der Auflösung des Atomwaffenarsenals und beklagten sich über die bescheidene Entschädigung. Dennoch wurde der Vorgang erfolgreich abgeschlossen.
Nach dem Euro-Maidan diskutierte Kiew intensiv über eine mögliche Rückkehr zum Nuklearstatus. Man berief sich darauf, dass die Parteien des Budapester Memorandums ihre Verpflichtungen nicht eingehalten hätten. Die neuen ukrainischen Machthaber argumentierten, dass Russland die territoriale Integrität des Landes verletzt habe, während die USA und Großbritannien die notwendige militärisch-politische Unterstützung unterlassen hätten.
Wladimir Selenskij, der 2019 das Präsidentenamt in der Ukraine übernahm, behielt diese Politik bei, obwohl kein Unterzeichnerstaat einschließlich der Ukraine das Budapester Memorandum ratifiziert hat.
Die Frage über Zukunft des Budapester Memorandums wurde der Bevölkerung der Ukraine in einem eigenartigen Referendum gestellt: Ende Oktober waren die Bürger des Landes aufgefordert, bei Kommunalwahlen ihre Meinung darüber zu äußern, ob es nötig sei, das Thema der Einhaltung des Budapester Memorandums auf internationaler Ebene voranzutreiben.
Die Ukrainer befürworteten diese Idee. Daraufhin versuchte Kiew, das Budapester Memorandum wiederzubeleben und bestand gleichzeitig auf einem neuen internationalen Abkommen, das "direkte und zuverlässige Garantien für Frieden und Sicherheit" bieten sollte.
Doch die Beharrlichkeit der Kiewer Diplomatie erwies sich als fruchtlos. Am 19. Februar stellte Selenskij auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Vertragspartnern des Budapester Memorandums und den westlichen Ländern praktisch ein Ultimatum. Falls Kiew keine Sicherheitsgarantien erhalte, so habe man "jedes Recht, das Budapester Memorandum für gescheitert zu halten und alle Vorgaben des Pakets von 1994 in Frage zu stellen", so der ukrainische Präsident.
Moskau interpretierte Selenskijs Worte als eine Absicht, den nuklearen Status der Ukraine wiederherzustellen.
Kurz vor Beginn des militärischen Sondereinsatzes in der Ukraine erklärte der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin, dass Kiew die wissenschaftliche und industrielle Infrastruktur für den Bau von Atomsprengköpfen und Mitteln zu deren Beförderung beibehalten habe. Dies stelle eine Gefahr für die Sicherheit Russlands dar. Am 22. Februar antwortete der russische Staatschef auf Fragen von Journalisten:
"Die Ukraine verfügt seit der Sowjetzeit über eine ziemlich umfassende nukleare Kompetenz. Dort gibt es mehrere Kernkraftwerke und die Nuklearindustrie ist recht gut und weit entwickelt, es gibt Schulen, es gibt alles, um dieses Anliegen in einem viel schnelleren Tempo zu lösen als in den Ländern, die diese Probleme von Grund auf lösen."
Putin machte klar, dass es Kiew lediglich an Systemen zur Urananreicherung fehlt, um Atomwaffen herzustellen. Auch diese Frage, so betonte der russische Staatschef, sei jedoch kein "unlösbares Problem".
Weiter wies der russische Präsident auf Trägersysteme hin, die den ukrainischen Streitkräften zur Verfügung stehen: Taktische Totschka-U-Systeme mit ballistischen Raketen von 110 Kilometern Reichweite. Zudem sei das in Dnipropetrowsk ansässige Unternehmen Juschmasch in der Lage, zur Wiederherstellung des nuklearen Status der Ukraine beizutragen, so Putin.
Genau dieses Unternehmen hat zu Sowjetzeiten interkontinentale ballistische Raketen entwickelt und arbeitete nach dem Euro-Maidan an dem Projekt des Raketensystems Grom mit der Aussicht, die Reichweite seiner Munition auf 1.500 Kilometer zu erhöhen.
Außerdem hielt man es in Moskau für möglich, dass der Westen unter bestimmten Umständen US-amerikanische Atomsprengköpfe, die sich in der BRD befinden, nach Kiew überführen könnte. Nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums sind die US-Sprengköpfe technisch für eine Montage auf Totschka-U-Raketen geeignet.
Ferner war das Kiewer Regime laut russischen Medien im Vorfeld der Spezialoperation im Begriff, eine nukleare Waffe, eine sogenannte "schmutzige Atombombe" auf der Basis von Uran und Plutonium zu entwickeln.
Direkte Bedrohung für Russland
Nach dem Beginn der militärischen Spezialoperation hat die Kiewer Führung ihre Forderungen an Russland und den Westen sowie ihre Rhetorik in Bezug auf Atomwaffen nicht aufgegeben. Am 10. Juni behauptete Selenskij auf dem Kopenhagener Demokratie-Gipfel, Russland habe durch die Verletzung des Budapester Memorandums "den gesamten Kampf für nukleare Abrüstung in der Welt nivelliert". Er beklagte sich:
"Was sind Worte über nukleare Abrüstung noch wert, wenn die Ukraine, der man das drittstärkste Atomwaffenarsenal abgenommen hat, von einem Staat angegriffen wird, welcher zu denjenigen gehört, die sich verpflichtet haben, auf Aggressionen zu verzichten und welcher immer noch ein Atomstaat ist?"
Der Analytiker Kostikin nimmt an, dass Kiew weiterhin auf das Budapester Memorandum spekuliert, in der Hoffnung, militärische und politische Vorteile zu erzielen. Er erklärte:
"Offensichtlich lässt die Ukraine nicht von ihren Versuchen ab, Atomwaffen zu bekommen oder sie von anderen Staaten als 'Sicherheitsgarantie' auf ihrem Territorium stationieren zu lassen."
Eine ähnliche Auffassung vertritt Nikolai Meschevitsch, leitender Forscher am Europa-Instutit der Russischen Akademie der Wissenschaften. In einem Kommentar an RT betonte er, dass Zugeständnisse des Westens an das Kiewer Regime katastrophale Folgen haben werden.
"Nukleare Waffen in den Händen des Kiewer Regimes sind nicht nur eine direkte Bedrohung für Russland, sondern bergen auch die Gefahr einer unkontrollierten Verbreitung in der Welt. Ich hoffe, dass Sikorski – wie auch einige andere russophobe Politiker – bei seinem Vorschlag nicht daran gedacht hat und dass die westlichen Regierungen die Ernsthaftigkeit dieses Problems verstehen", schloss Meschevitsch.
Übersetzt aus dem Russischen
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