Der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Sonntag bei seinem Besuch in Finnland, die von den USA geführte NATO-Militärallianz wolle die Position der Ukraine am Verhandlungstisch stärken, er fügte aber hinzu, dass jedes Friedensabkommen Kompromisse beinhalten würde, auch bezüglich des Territoriums.
Im Anschluss an ein Treffen mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö nahm Stoltenberg auch an den Kultaranta-Gesprächen teil, einem jährlich stattfindenden öffentlichen Forum zur Erörterung aktueller politischer Ereignisse. Der NATO-Sprecher erklärte dort, der Westen sei zwar bereit, für die Stärkung des ukrainischen Militärs "einen Preis zu zahlen", aber Kiew werde Moskau sicherlich einige territoriale Zugeständnisse machen müssen, um den derzeitigen Konflikt zu beenden. So sagte Stoltenberg:
"Frieden ist möglich. Die Frage ist nur: Welchen Preis sind Sie bereit, für den Frieden zu zahlen? Wie viel Territorium, wie viel Unabhängigkeit, wie viel Souveränität ... sind Sie bereit, für den Frieden zu opfern?"
Stoltenberg gab dabei keine eigenen Ansichten zu den Bedingungen preis, die die Ukraine akzeptieren sollte. Er betonte vielmehr, dass "es die Sache derjenigen ist, die den höchsten Preis zahlen", dies zu entscheiden, während die NATO und der Westen den Ukrainern weiterhin Waffen liefern, "um ihre Position zu stärken", wenn es zu Verhandlungen über eine Lösung kommen sollte.
Der NATO-Generalsekretär sprach sich auch nicht direkt für die Abtretung ukrainischen Territoriums aus, erwähnte jedoch das Beispiel Finnlands, das Karelien als Teil eines Friedensabkommens zum Ende des Zweiten Weltkriegs an die Sowjetunion abtrat. Stoltenberg bezeichnete diese finnisch-sowjetische Einigung als "einen der Gründe dafür, dass Finnland aus dem Zweiten Weltkrieg als unabhängige, souveräne Nation hervorgehen konnte".
Stoltenbergs Äußerung kommt in einer Zeit, in der die Stimmung umschlägt und die Ukraine von ihren westlichen Unterstützern bald zu einem Friedensabkommen gedrängt werden könnte. Während US-amerikanische und britische Regierungsvertreter öffentlich noch darauf beharren, dass die Ukraine ihren Krieg mit Russland "gewinnen" könne, deutet dagegen ein jüngst veröffentlichter Bericht des US-Senders CNN darauf hin, dass sich dennoch Offizielle in Washington, London und Brüssel bereits ohne ihre ukrainischen Amtskollegen treffen, um einen möglichen Waffenstillstand und eine Friedensregelung zu besprechen.
Auch der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij ließ bereits verlauten, nicht näher genannte ausländische Akteure seien jetzt bemüht, "uns ein wenig" zu einer Einigung zu drängen, da die Öffentlichkeit in den Ländern, die die Ukraine unterstützen, "kriegsmüde" werde.
Der französische Präsident Emmanuel Macron dagegen bestritt öffentlich, Selenskij dazu gedrängt zu haben, im Gegenzug für ein Ende der Feindseligkeiten einige Gebiete der Ukraine aufzugeben, wie es der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger im letzten Monat vorgeschlagen hatte.
Kissinger hatte im Mai vorgeschlagen, dass die Ukraine eine Rückkehr zum "Status quo ante" akzeptieren solle – was heißen würde, dass sie ihre Gebietsansprüche auf die Krim aufgibt und den Volksrepubliken Donezk und Lugansk Autonomie gewährt. Die Halbinsel im nördlichen Schwarzen Meer gehört seit 2014 zur Russischen Föderation, während Moskau die Unabhängigkeit der Volksrepubliken Donezk und Lugansk kurz vor Beginn seiner militärischen Spezialoperation Ende Februar anerkannt hatte.
Selenskij hat in den letzten Monaten mehrfach seine Position zu einem möglichen Friedensabkommen geändert. Der ukrainische Präsident bekundete hin und wieder ein Interesse an Verhandlungen mit Russland, vertrat wie seine Mitarbeiter oder das US-Außenministerium kurz darauf jedoch wieder eine gegenteilige Meinung. Nachdem Selenskij Ende letzten Monats seine Bereitschaft zur Aufnahme von Verhandlungen angekündigt hatte, erklärte er nur wenige Tage später seinen Bürgern, dass es "keine Alternative zu unseren ukrainischen Flaggen" geben werde, die über den Donbass-Republiken wehen sollten.
Während des Gesprächs mit Stoltenberg am Sonntag sagte der finnische Präsident Niinistö, man verstehe in Finnland, "dass es für die Ukraine nach all den Kämpfen sehr schwierig ist, ihr Land aufzugeben". Er fügte hinzu:
"Aber dass Russland alle seine Gebiete verlieren könnte, ist zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar. Es ist absolut schwierig, Frieden zu erreichen."
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