Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, hat im EU-Parlament erklärt, dass ihr Gremium und die ungarische Führung "nicht in der Lage waren, eine gemeinsame Basis" in der Frage der Anti-Korruptionsreformen zu finden. Sie fügte hinzu, dass die Antwort Budapests auf eine förmliche Aufforderung in dieser Angelegenheit dem obersten EU-Organ keine andere Möglichkeit lasse, als "zum nächsten Schritt" überzugehen. Sie sagte:
"Die Kommission hat den ungarischen Behörden heute mitgeteilt, dass wir nun ein förmliches Schreiben versenden werden, um den Konditionalitätsmechanismus in Gang zu setzen."
Sie bezog sich dabei auf das Ende 2020 angenommene Instrument, das es der EU erlaubt, einem Mitglied, das sich nicht an "die demokratischen Grundsätze der Union" hält, Hilfsgelder vorzuenthalten.
Die Ankündigung, den Konditionalitätsmechanismus auszulösen, erfolgte zwei Tage nach dem vierten erdrutschartigen Wahlsieg in Folge für die Partei Fidesz-KDNP von Viktor Orbán am vergangenen Wochenende. Der Sieg veranlasste Orbáns Stabschef Gergely Gulyas, die EU-Kommission aufzufordern, "die Grundregeln der Demokratie" zu akzeptieren und "die ungarischen Wähler nicht dafür zu bestrafen, dass sie eine Meinung geäußert haben, die Brüssel nicht gefällt". Gulyas bezog sich damit offenbar auf die harsche Kritik der EU-Führung an Orbáns Politik.
Johannes Hahn, der EU-Kommissar für Haushalt und Verwaltung, machte deutlich, dass die Behörde vorhabe, die Umsetzung des Mechanismus zu beschleunigen. Eine Aussetzung der Mittel würde jedoch zusätzliche Verhandlungen zwischen den Beteiligten und eine qualifizierte Mehrheit im EU-Rat erfordern. Die EU-Kommission wird Einzelheiten zu bestimmten Fällen vorlegen müssen, in denen Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit direkt zum Missbrauch von EU-Haushaltsmitteln durch ungarische Behörden geführt haben, was bedeutet, dass der Prozess voraussichtlich Monate dauern wird.
Der Konditionalitätsmechanismus wurde zusammen mit einem milliardenschweren Konjunkturpaket von der EU im Jahr 2020 auf dem Höhepunkt der COVID-19-Pandemie verabschiedet und trat am 1. Januar 2021 in Kraft. Er sollte als "zusätzliche Schutzebene in Fällen dienen, in denen Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit die finanziellen Interessen der EU gefährden oder beeinträchtigen könnten."
Ungarn und Polen, die Hauptnutznießer der Haushaltsmittel, haben gegen das neue Verfahren geklagt, jedoch erfolglos. Der EU-Gerichtshof (EuGH) erklärte im Februar, Brüssel habe das Recht, seine Grundwerte zu verteidigen und somit die Finanzierung der Mitgliedsstaaten an die Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen.
Polen und Ungarn hatten stets argumentiert, dass der Mechanismus in keinem der EU-Verträge enthalten sei. Sie betonten auch, dass der EuGH seine Befugnisse überschreite, indem er einen solchen Mechanismus genehmige.
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