Terror in der Ukraine: Weitere Journalisten und Intellektuelle verschwinden spurlos

Die Welle von Repressalien gegen die "prorussische" und linke Opposition in der Ukraine geht unvermindert weiter. Seit RT DE am 10. März über das spurlose Verschwinden mehrerer Prominenter berichtet hat, sind weitere Fälle dazu gekommen. Das Schicksal der Verschwundenen ist bislang unklar.

Die ukrainische antifaschistische Buchautorin und Bloggerin Miroslawa Berdnik hat RT DE zuletzt am 12. Dezember 2020 in einem Artikel über zu Kunstobjekten umgewidmete Ikonen erwähnt. Seit einigen Tagen bereitet ihr Schicksal allen, die sie kennen, Sorgen. Seit Donnerstagabend gab es für über 24 Stunden keinerlei Lebenszeichen von ihr, seitdem werden auf ihren Facebook-Seiten Inhalte gepostet, die weder vom Stil noch vom Inhalt dem entsprechen, was Berdnik bislang, viele Jahre lang, schrieb. Telefonisch sind sie und ihre Tochter nicht zu erreichen. Ihren Aufenthaltsort, offensichtlich in einer der russischsprachigen Städte im Süden oder Osten der Ukraine, hielt Berdnik aus Angst vor Verfolgung durch nationalistische Schlägerbanden geheim. 

Wie die gehbehinderte 63-Jährige, die seit dem Sieg des Euromaidan vor acht Jahren von jedem massenwirksamen Medium ausgeschlossen ist und nur über ihre Accounts in den sozialen Medien mit ihrer Leserschaft kommuniziert, dem ukrainischen Staat hätte gefährlich werden können, ist nicht nachvollziehbar. 2016 hatte der ukrainische Sicherheitsdienst sie schon einmal festgenommen. Damals regte sich jedoch lautstarker Widerstand unter anderem aus Israel, wo sie für ihr antifaschistisches Wirken und die Kritik am ukrainischen Nationalismus so bekannt ist, dass sie 2014 sogar offiziell in der Knesset eingeladen war. Der SBU war gezwungen, sie gehen zu lassen. Die absurden Ermittlungsverfahren liefen seitdem ergebnislos weiter.

Dieses Mal herrscht wie auch in anderen Fällen des Terrors gegen Intellektuelle und Prominente in Kiew Schweigen. Von den europäischen Menschenrechtsschützern, die zu keinem der Verstöße des Kiewer Regimes seit 2014 jemals ihre Stimme erhoben haben, sowieso.  

Kurz vor ihrem Verschwinden berichtete Berdnik darüber, dass die NGO "Stop der Zensur" zu ihrer "Liquidierung" aufgerufen hatte. 

Berdnik schrieb am Mittwoch: 

"Eine Organisation, die von der US-Regierung finanziert wird, hat zu meiner Beseitigung durch unbekannte Patrioten oder durch den SBU aufgerufen.

Es gibt eine Organisation namens Media Detector, die über USAID von der US-Regierung und einer ganzen Reihe anderer nichtstaatlicher amerikanischer und europäischer Stiftungen finanziert wird. Es war diese Organisation, die über die sogenannte 'Stopp die Zensur'-Bewegung, vertreten durch Mustafa Nayem, die Studenten dazu aufrief, mit Kaffee, Regenschirmen und guter Laune auf den Maidan zu kommen. Und am 24. Februar 2014, nachdem Janukowitsch geflohen war, erstellten sie eine 'schwarze Liste' von Journalisten, Politikwissenschaftlern und Meinungsführern, darunter Buzina, Pogrebynsky, Ravreba, Chalenko und viele andere Maidan-Gegner, und forderten, sie mit Auftrittsverboten zu belegen oder sie des Landes zu verweisen. Einige der Personen auf dieser Liste, wie Buzina, wurden getötet, andere wurden gezwungen, politische Flüchtlinge zu werden, und einige sind in den letzten Wochen verschwunden.

Sie haben mit Geldern der US-Regierung ein Projekt namens 'Board of Shame' ins Leben gerufen, in dem sie eine Liste von 'Feinden der Nation' veröffentlichen und wo sie 'unbekannte Patrioten' dazu aufrufen, die Personen in der Liste zu beseitigen. Die letzte Aktualisierung enthält meinen Nachnamen."

Während der Verbleib von Miroslawa Berdnik unbekannt ist, besteht im Fall von Juri Tkatschow, einem Journalisten aus Odessa, mehr Klarheit, jedoch nicht weniger Grund zur Sorge: Am Sonnabend, dem 19. März, schrieb er um 6.34 Uhr MEZ in seinem Telegram-Account, nachdem er seit den frühen Morgenstunden wie üblich bereits mehrere Nachrichten gepostet hatte:

"Sie sind gekommen um mich zu holen. War nett mit euch." 

Dies ist mit Stand Sonntagmittag auch der letzte Eintrag des Journalisten. Seine Frau hat zwischenzeitlich berichtet, dass tatsächlich Beamte des ukrainischen Sicherheitsdienstes SBU in der Tür standen. Juri habe die Tür geöffnet und keinen Widerstand geleistet. Dennoch sei er zu Boden gebracht und geschlagen worden. Sie selbst sei angeherrscht worden, in ihr Zimmer zu gehen. Durch die halb geöffnete Tür habe sie beobachten können, wie einer der Beamten im Bad herumhantierte. Im offiziellen Teil der Durchsuchung seien später in ebendiesem Bad eine Handgranate und ein Sprengsatz "gefunden" worden. 

Derzeit befindet sich Tkatschow laut seiner Frau im Gefängnis des Sicherheitsdienstes. Weder sie noch ein Anwalt erhalten Zutritt, es gibt keinen Gerichtsbeschluss.

Ebenfalls in den Händen des SBU, diesmal in Kiew, befindet sich der 69-jährige Schriftsteller, Dichter, Satiriker und Dozent für Geschichte Jan Taxyr. Der an Krebs erkrankte Taxyr wurde am 10. März in seiner Kiewer Wohnung festgenommen. Seitdem gibt es keinen Gerichtsbeschluss und kein Lebenszeichen von ihm. Verwandte und der beauftragte Rechtsanwalt erhalten keinen Zugang zu ihm. 

Seine Tochter ist sich allerdings sicher, dass Taxyr noch am Leben ist. Sie ist darüber besorgt, dass er nicht die zur Behandlung seiner Erkrankung erforderlichen Medikamente erhält.  

Hier die Übersetzung ihrer Videobotschaft: 

"Am 10. März wurde mein Vater von SBU-Beamten ohne Anklage in seiner Wohnung in Kiew festgenommen. Mein Vater befindet sich jetzt in der Untersuchungshaftanstalt Lukyanivske, es wurde kein Verdacht gegen ihn erhoben. Papa braucht rechtlichen Beistand. Er schrieb uns, dass wir versuchen sollten, medizinische Unterlagen zu finden, die seine Krebsdiagnose bestätigen. Es gibt diese Diagnose und es gibt eine Reihe anderer gesundheitlicher Probleme. Und überhaupt: Papa wird dieses Jahr 70 und fühlt sich nicht gut. Mein Vater braucht Rechtsschutz und Unterstützung."

Das öffentliche Wirken von Jan Taxyr beschränkte sich in den letzten acht Jahren auf die Verteidigung der Rechte der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats. 

Nach wie vor kein Lebenszeichen gibt es von den Politologen Dmitri Dshangirow und Juri Dudkin, der Politikerin und Journalistin Olena Bondarenko, den kommunistischen Aktivisten Alexander und Michail Kononowitsch sowie anderen Prominenten, über deren Verschwinden RT DE am 10. März berichtete.

Es ist zu befürchten, dass die Repressalien, über die wir berichten können, nur die Spitze des Eisberges sind. Meldungen über verschwundene oppositionelle Politiker, Journalisten, Intellektuelle, Anwälte, Aktivisten häufen sich seit Anfang März. Nach Schätzungen von Beobachtern könnte sich die Zahl der Betroffenen inzwischen auf mehrere Tausend addieren. Wie viele vom SBU verhaftet und wie viele von rechtsradikalen Banden umgebracht wurden, lässt sich derzeit nicht beurteilen. 

In der Nacht zum Sonntag hat der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij zudem alle Parteien des politisch linken Flügels verboten. Die Maßnahme betrifft die Parteien "Oppositionsplattform – Für das Leben" und "Oppositionsblock", die im Parlament vertreten sind, aber auch die außerparlamentarischen Organisationen "Scharis Partei", "Die Unseren", "Linke Opposition", "Union der linken Kräfte", "Derschawa", "Fortschrittlich-sozialistische Partei", "Sozialistische Partei", "Partei der Sozialisten" und "Wladimir Saldos Block".

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