Mehrere Tage wurde um die strategisch wichtige Kleinstadt Wolnowacha in der Donezker Volksrepublik (DVR) gekämpft. Nun ist sie seit drei Tagen unter Kontrolle der Donezker Volksmiliz, und die Einwohner bekommen humanitäre Hilfe. Bei den Hilfsausgaben kommt ein Reporter des örtlichen Fernsehens mit ihnen ins Gespräch. Sie erzählen übereinstimmend, dass das ukrainische Militär die Wohngebiete gezielt unter Beschuss genommen habe. Viele suchen verzweifelt nach ihren vermissten Familienangehörigen.
"Bitte melden Sie sich, wenn Sie sie gesehen haben. Alle ihre Kinder und Enkelkinder sind am Leben" - Ein Mann hält den Ausweis einer 68-jährigen Frau in die Kamera, die seit neun Tagen vermisst wird. Im Hintergrund befinden sich weitere Einwohner Wolnowachas, die an einem sonnigen Tag an der Ausgabe der humanitären Hilfe Schlange stehen. Damit beginnt ein Fernsehbericht des Donezker Kanals Oplot TV, der trotz angekündigter Einschränkungen gegen prorussische Kanäle immer noch auf Youtube zu sehen ist.
Die Behörden der Donezker Volksrepublik haben in diesem zentralen Ort der erst vor wenigen Tagen befreiten Stadt auch mobile Stromversorgung organisiert – der Ort hat noch immer keine Wasser-, Gas- und Stromversorgung. Dass die Stadt befreit ist, lässt sich an der Stimmung der Einwohner erkennen. Sie müssen nicht mehr um ihr Leben fürchten und sich nicht mehr vor Beschuss in den Kellern verstecken. Nun haben sie keine Angst mehr und erzählen von ihren Kriegserlebnissen.
Menschen, die zu Wort kommen, berichten übereinstimmend, dass die ukrainische Armee diejenige Streitkraft gewesen sei, die die Hauptlast für die Zerstörungen in der Stadt trägt. "Sie haben alle unsere Häuser zerstört. Sie fuhren mit dem Panzer und schossen auf beide Seiten – Peng, peng", erzählt eine Frau, die sich als Lija vorstellt. "Die DVRler waren noch lange nicht hier." Ein weiterer Ortsansässiger namens Roman schildert weitere Details:
"Panzerfahrzeuge mit ukrainischen Fahnen standen in den Höfen zwischen den Häusern – vor fünfstöckigen Häusern, auf den zentralen Straßen, in einstöckigen Wohnblöcken. Einer der Panzer schoss auf das lange Gebäude – es ist komplett verbrannt."
Das Kamerateam fährt durch die Straßen und zeigt die Zerstörungen: Überall sind Ruinen, Gerümpel, verbrannte Autos. Dann kommt die nächste Augenzeugin zu Wort. Sie sagt aufgebracht:
"Sie (ukrainisches Militär) haben doch gesehen – ein anderthalbjähriges Kind ist da. Kinder haben gespielt und Wasser geholt. Sie warfen ihnen eine Granate hinterher. Ist das normal?"
Dann zeigt der Reporter mitten in den Zerstörungen ein in der Erde steckengebliebenes Geschoss eines Mehrfachraketenwerfers. Laut Schussrichtung sei er aus dem Nordwesten abgefeuert worden – also von den Stellungen der ukrainischen Armee, sagt er und hält seinen Kompass in die Kamera. Die Straßen seien mit Antipanzerminen umsäumt, um die Flucht aus der Stadt mit den Autos zu verhindern. Auch das fordert Opfer: Ein explodierter Wagen mit zwei noch nicht geborgenen verkohlten Leichen wird gezeigt. Für den Terror seien die 53. motorisierte Infanteriebrigade der ukrainischen Streitkräfte und das nationalistische Bataillon "Donbass" verantwortlich. Die ganze Stadt sei vermint.
Im Internet gibt es zahlreiche weitere Videos mit Augenzeugenberichten. Einer der Augenzeugen ist der 37-jährige Ruslan Demjankow aus Wolnowacha. Er habe mehrfach gesehen, wie der Militärgeländewagen der ukrainischen Armee aus US-Produktion mit einem mobilen Minenwerfer anhielt und das Zentrum der Stadt beschoss. "Er hielt für maximal zwei Minuten an, feuerte bis zu sechs, sieben Mal und fuhr weiter." Er war auch Zeuge davon, wie ein Auto mit Flüchtlingen von den ukrainischen Streitkräften beschossen wurde – er habe die Verletzten geborgen. "Das passierte noch am 26. oder 27. Februar um zehn Uhr. Das Auto wurde mit weißen Tüchern gekennzeichnet." Die ukrainische Armee habe einen Konvoi aus drei Autos aus einem Schützenpanzer und mit einem Maschinengewehr "wegen einer Verwechslung" beschossen. Vier Personen starben, fünf weitere wurden verletzt.
Derzeit finden Kämpfe um die Stadt Sewerodonezk im Norden der Lugansker Volksrepublik statt. Wie ein evakuierter Einwohner berichtet, wendet die ukrainische Armee auch dort die Verteidigungsstrategie an, bewohnte Gebiete als Schutzschild zu benutzen: "Technik der Ukraine – Panzer, Haubitzen, Grads, Minenwerfer stehen in den Wohngegenden zwischen den Häusern."
Auch in den anderen Teilen der Ukraine und den Donbass-Republiken wird derzeit gekämpft. Die Sturmgruppen der Donezker Volksrepublik und der russischen Armee liefern sich schwere Straßenkämpfe in der großen Industriestadt Mariupol im Süden der DVR. Kämpfe finden auch in den Vororten Charkows und Kiews statt. Laut UN-Angaben sind nach Beginn der russischen Militäroperation am 24. Februar mehr als 600 Zivilisten gestorben, über 1.000 wurden verletzt, wobei die Zahlen für die Ukraine und die Volksrepubliken des Donbass gelten. Die russische Militärführung gibt an, in der Ukraine nur Militärziele zu beschießen. Diese befinden sich aber oft in der Nähe der Wohngebiete, was zu unvermeidlichen zivilen Menschenopfern führt.
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