von Anton Gentzen
"Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit", soll der US-amerikanische Senator Hiram Johnson kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 gesagt haben. Hundert Jahre später wurde die Wahrheit auf dem Kiewer Maidan erschossen, und bis heute ist nicht aufgeklärt, wer all die Schützen waren.
Im Westen wird gern vor "Russischen Trollfabriken" gewarnt. Begriffe und Namen wie Olgino, Prigoschin oder "Putins Koch" hat jeder schon einmal gehört. Unabhängig von der Frage, ob und in welchem Umfang sich Russland solcher Methoden im Informationskrieg bedient, sind diese Begriffe Totschlagargumente, um jeden Diskussionsbeitrag, jeden Tatsachenbericht und jede Meinung eines Russen oder aus Russland – soweit sie nicht das westliche Narrativ stützen – zu delegitimieren und ohne jede Prüfung zu verwerfen.
Audiatur et altera pars (man höre auch die andere Seite)? Die Wahrheit wird im Streit geboren? All das scheint nicht mehr zu gelten, und zuletzt hat sich Europa gar durch das Verbot russischer Auslandsmedien einem Propagandamonopol unterworfen und damit indirekt eingestanden, nicht mehr mit der Kraft des besseren Argumentes oder des überzeugenderen Beweises den Kampf um die Köpfe der Europäer gewinnen zu können. Braucht die Wahrheit Verbote, um sich durchzusetzen? Oder sind Verbote und Tabus eher Instrumente der Lüge, die kurz davor steht, entlarvt zu werden?
Während das russische Narrativ stets von einer Schar von "Faktenprüfern" und Gegendarstellern kritisch beäugt wurde und russische Medien allein deshalb gezwungen waren, besonders sorgfältig in dem Tatsachenbericht und besonders sauber in der Argumentation zu sein, werden das Denken und die Emotionen der Europäer seit 2014 und besonders intensiv seit dem 24. Februar dieses Jahres von den Produkten ganz anderer Fabriken bestimmt, denen kaum jemand auf den Zahn fühlt und deren Existenz dem durchschnittlichen Europäer nicht einmal bekannt ist – den ukrainischen Troll- und Fake-Fabriken. Inwieweit sie von Kuratoren und Technologen aus NATO-Ländern betreut werden und dominiert sind, bleibt vorerst im Reich der Spekulation.
Es sind mehrere Einrichtungen, die sich in der Ukraine mit der psychologischen und informationellen Kriegführung befassen. Da wäre zum einen das der Armee angegliederte Zentrum für Spezielle Informationelle und Psychologische Operationen. Ja, Informationen und emotionalisierende Bilder, Filme, Texte sind längst eine eigene Waffengattung, und die ukrainischen Info-Krieger haben ihr Handwerk von den weltweit führenden Meistern des Fachs erlernt.
Parallel existiert noch ein Netzwerk professioneller (und natürlich lohnend vergüteter) Info-Krieger, genannt SafeUA mit – nach eigenen Angaben – 4.700 Mitarbeitern.
Das Problem: Die ukrainischen Infokrieger beliefern die europäischen Medien, einige direkt, andere auf Umwegen und beeinflussen so die Wahrnehmung und das Denken eines ganzen Kontinents.
So realistisch können Fälschungen sein:
Der unten präsentierte 15minütige Dokumentarfilm liefert einen ersten Blick hinter die Kulissen. Wertvoll ist er vor allem deshalb, weil er zeigt, wie leicht die meisten der dort produzierten Fakes und psychologischen Kriegsgeschosse eigentlich zu durchschauen wären. Vieles würde sich durch eine Recherche in der Google-Bildsuche aufklären, anderes würde entfallen, wenn man die russische Berichterstattung etwas ernster genommen und vor Wochen oder Monaten die Bilder im ganz anderen Kontext gesehen hätte: Viele der ukrainischen Fake-Lieferanten liefern schlechtgemachten Pfusch zum Selbstkostenpreis.
Das aktuelle Paradebeispiel, auch in der Doku zu sehen, ist das Bild eines Vaters, der sich unter Tränen von seiner Tochter verabschiedet. Die Tochter wird aus dem Gefahrengebiet evakuiert, der Vater bleibt, um mit der Waffe in der Hand sein Land zu verteidigen. So weit, so wahr. Doch während dieses Foto dem europäischen Medienkonsumenten in zahlreichen deutschen, britischen und französischen Zeitungen als Illustration einer ukrainischen Familientragödie präsentiert wurde, war es in Wahrheit Wochen vor der russischen Intervention entstanden: Es waren Kinder und Frauen des Donbass, in diesem Fall aus der Stadt Gorlowka, deren Evakuierung gefilmt wurde. Und der Vater des Mädchens wird auf Seiten der "Separatisten" gegen die ukrainische Bedrohung in den Krieg ziehen.
Über das bereits acht Jahre währende, blutige Leiden des Donbass haben die westlichen Medien nie berichtet. Diese Hälfte der Realität, ohne welche die andere Hälfte nur eine halbe Wahrheit (und damit schlimmer als die Lüge) ist, wurde den übrigen Europäern bewusst und hartnäckig vorenthalten. Die Bilder dieses Leidens dann auch noch zur Illustration des entgegengesetzten, anderslautenden Narrativs zu missbrauchen, ist das nicht unmenschlich, nicht zynisch? Entschuldigt hat sich – unter den Dutzenden Zeitungen, die das aus der Ukraine zugelieferte Bild ungeprüft übernommen hatten – nur die französische Le Monde.
Die Doku zeigt auch andere Beispiele für Fakes aus ukrainischer Produktion und möglicherweise wird so manchen ein Aha-Effekt ereilen – hoffentlich. Vor allem aber sollten sich alle Europäer fragen, was mit ihren Zeitungen und TV-Sendern los ist, die ihren Lesern und Zuschauern so offensichtliche Fakes als die Realität verkaufen. Ist es so schlecht um den Intellekt in den Redaktionsstuben bestellt? Oder machen die das bewusst?
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