Auf Twitter werden derzeit angeblich durch einen Google-Mitarbeiter geleakte Schreiben der Kommission der Europäischen Union (EU) verteilt, in denen die Kommission den Inhalt der Verordnung des Rates der EU erläutert, mit der das Senden der Programme von RT in der EU verboten wurde.
Entgegen dem Wortlaut der Verordnung, die das Senden untersagt (auf Englisch: to broadcast; auf Französisch: diffuser) wird in diesen Dokumenten die Auffassung vertreten, dass jegliche Inhalte mit Bezug zu "RT" verboten seien. Danach würde sich das Verbot auch auf Online-Texte, journalistische Artikel in Textform und jede Verlautbarung in sozialen Medien erstrecken. Begründet wird diese weite Auslegung der Verbotsnorm mit der Annahme, der Rat habe schließlich ein "sehr breites und umfassendes Verbot" verhängen wollen.
Würde Google die Webseiten von RT und Sputnik nicht aus seinen Datenbänken entfernen ("entlisten"), so würde das dem Nutzer das Auffinden solcher Angebote erleichtern und damit zur Ausstrahlung beitragen, heißt es in dem mutmaßlich aus Brüssel stammenden Text.
In dem Abschnitt des Dokuments, der die sozialen Netzwerke betrifft, wird ausgeführt, dass diese verpflichtet seien, ihre Nutzer von dem Verbreiten jeden Inhaltes von RT und Sputnik abzuhalten. Die Auslegungsschrift bemerkt an dieser Stelle, dass "to broadcast" in einem weiten Sinne (lato sensu) verstanden werden müsse. Von diesem Verbot betroffen seien nicht nur die Accounts, die eine Nähe zu RT oder Sputnik aufweisen, sondern Accounts eines jeden Individuums. Accounts, die "formal oder faktisch" RT oder Sputnik gehören, seien ohnehin zu suspendieren. Im folgenden Absatz wird die Vervielfältigung (reproduction) mit Ausstrahlung (broadcasting) gleichgesetzt.
Posts von Individuen, die Inhalte von RT oder Sputnik reproduzieren, dürfen laut den Erläuterungen der Kommission nicht veröffentlicht werden. Wenn sie veröffentlicht wurden, seien sie zu löschen. Grundsätzlich sei eine Abgrenzung zwischen dem von RT und Sputnik übernommenen Text und den eigenen Ausführungen des Nutzers vorzunehmen, diese obliege dem sozialen Netzwerk ungeachtet des Verbots der allgemeinen Überwachung in Art. 15 der Richtlinie über den Internethandel.
Die derart weite Auslegung der EU-Verordnung wird von den an der Diskussion beteiligten Twitter-Usern kritisch bewertet. So schreibt die am Zentrum für Internet und Gesellschaft der Stanford Law School dozierende Juristin Daphne Keller:
"Das ist wirklich ein starkes Stück. Wie @tjmcintyre bemerkt, ist es verrückt (wenn es stimmt, wovon ich ausgehe), dass die EU-Behörden die Öffentlichkeit hierüber nicht informiert haben. Wir wissen es nur, weil Google es mit der @lumendatabase geteilt hat. Vielen Dank an denjenigen, der bei Google dafür gekämpft und die Veröffentlichung abgesegnet hat."
Ein anderer Nutzer, den Daphne Keller anspricht, und dessen Post sie geteilt hat, schreibt:
"Bemerkenswerte Neuigkeiten für Technikrechtsexperten. Die EU-Sanktionen gegen Russia Today und Sputnik verlangen:
* Suchmaschinen müssen alle ihre Inhalte löschen und
* Social-Media-Firmen die Beiträge von Einzelpersonen löschen, die deren Inhalte wiedergeben.Diese Auslegung geht viel weiter als viele beim Lesen der Verordnung selbst dachten, und hebt das in der E-Commerce-Richtlinie enthaltene Verbot der allgemeinen Überwachung auf. Sollte dies zutreffen, wirft dies erhebliche Fragen der Verhältnismäßigkeit und der freien Meinungsäußerung auf.
Hier ist der Text des entsprechenden Teils der Verordnung. Ich bin nicht davon überzeugt, dass er tatsächlich das bedeutet, was die Kommission behauptet. Es ist ein großer Sprung vom Verbot von "Sendungen" zum Verbot jeglicher Verbreitung von Text usw."
Ob der geleakte Text tatsächlich von der Europäischen Kommission stammt, kann derzeit noch nicht verifiziert werden. Die Stanford Law School liegt in den USA, Kalifornien, und gilt als ein weltweit führendes Kompetenzzentrum für die rechtliche Regulierung des Internets und für das IT-Recht.
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