Erdoğan in Vermittlungsrolle: Welche Strategie verfolgt die Türkei im Ukraine-Krieg?

Das erste Treffen auf Regierungsebene zwischen Moskau und Kiew seit Ausbruch des Ukraine-Krieges ist nun durch Vermittlung der Türkei geplant. Ankara schaltet sich als Vermittler in dem Ukraine-Krieg ein, um damit nicht als Verlierer auf der geopolitischen Ebene aus dem Ukraine-Kriege hervorzugehen.

von Seyed Alireza Mousavi

Das erste Treffen auf Regierungsebene zwischen Moskau und Kiew seit Ausbruch des Ukraine-Krieges ist für Donnerstag geplant. Die Außenminister aus Moskau und Kiew, Sergei Lawrow und Dmitri Kuleba sollen voraussichtlich in Antalya zu einem Gespräch zusammenkommen. Die Türkei unterhält sowohl mit Russland als auch mit der Ukraine gute Beziehungen und hat sich deswegen – neben Israel im Nahen Osten – ebenfalls als Vermittler angeboten. Ankara hat ein großes eigenes Interesse an einer Entschärfung der Lage um das Schwarze Meer. Bereits vor dem Ausbruch des Krieges traf sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Anfang Februar mit dem ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskij und bot ihm an, ein Gipfeltreffen zwischen Selenskij und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Türkei auszurichten.

Seit Jahren fährt die Türkei erkennbar eine Schaukelpolitik zwischen Russland und dem Westen. Während Erdoğan in Moskau das Luftabwehrsystem S-400 bestellte, beteuerte er zugleich seine Treue zur NATO, indem die türkische Regierung stets auch für die Osterweiterung dieser Allianz eintritt.

Die Türkei stimmte kürzlich für die Resolution zur Verurteilung des Ukraine-Krieges bei der UN-Vollversammlung. Die Wiedervereinigung der Krim mit Russland im Jahr 2014 hat Erdoğan mehrfach angeprangert – unter anderem angeblich wegen der Präsenz ethnisch-türkischer Tataren auf der Halbinsel. Den offenen Zorn der Kremlführung aber zog die Türkei auf sich, als sie ihre Kampfdrohnen auch an die Ukraine verkaufte. Die Türkei und die Ukraine vereinbarten kurz vor dem Ausbruch des Ukraine-Krieges eine Rahmenvereinbarung sogar über die Herstellung der im Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan kürzlich eindrucksvoll kampferprobten Bayraktar TB2-Drohnen in der Ukraine. Kiew hat mittlerweile bereits Kampfdrohnen vom Typ Bayraktar aus der Türkei erhalten und soll diese auch schon im Ukraine-Krieg in der Nähe der umkämpften Stadt Kiew eingesetzt haben.

Als Russland seinerzeit den Drohnenverkauf an Ukraine scharf kritisierte, erklärte man in Ankara, es handele sich dabei um einen Deal zwischen privaten Unternehmen und nicht um eine staatliche Hilfe für die Ukraine. Der Regierungssprecher in Ankara erwähnte jedoch nicht extra, dass bekanntermaßen dieses fragliche Waffenunternehmen "Baykar" Erdoğans Schwiegersohn Selçuk Bayraktar gehört.

Die Türkei sieht im Grunde die Ukraine als einen Teil ihrer regionalen Einflusssphäre, um ihre revisionistischen neu-osmanischen Ambitionen am Schwarzen Meer zu verwirklichen. Zugleich ist Russland einer der wichtigsten Handelspartner für Ankara sowie der Hauptlieferant von Öl und Gas in die Türkei. 

Israel nimmt die Vermittlungsrolle im Ukraine-Kriegs aus taktischen Gründen ein, auch weil das Land seit der russischen Militärintervention auf Wunsch Syriens im Jahre 2015 eine tatsächlich funktionierende Sicherheitskoordination mit Russland pflegt, um mutmaßliche Bedrohungen durch Iran von Syrien aus abzuwenden. Die Türkei hingegen schaltet sich als Vermittler im Ukraine-Krieg vermutlich vor allem deshalb ein, um damit  aus diesem Konflikt in Osteuropa nicht auf der geopolitischen Ebene als Verlierer hervorzugehen. 

Die Wiedervereinigung der Halbinsel Krim mit Russland brachte die Armee Russlands sehr nahe an die türkische Grenze im Schwarzen Meer. Nachdem Russland im Ukraine-Krieg Cherson eingenommen und Odessa nun ins Visier genommen hat, könnte es seine Präsenz im Schwarzen Meer vollständig etablieren und die Bewegungsfreiheit der Türkei und des Westens in dieser strategischen Region ernsthaft beeinträchtigen. Die Türkei verweigerte deswegen kürzlich zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg Kriegsschiffen die Durchfahrt durch den Bosporus und die Dardanellen. Diese Entscheidung erfolgte in Ankara, nachdem Kiew von der türkischen Regierung gefordert hatte, ebendiese Meerengen zum Schwarzen Meer für Russlands Kriegsschiffe zu sperren. Die türkische Regierung berief sich bei ihrer Entscheidung auf den Artikel 19 der Konvention von Montreux , in dem es heißt, dass die Türkei in Zeiten eines Krieges, an dem sie selbst nicht beteiligt ist, Kriegsschiffen der Kriegsparteien die Passage verwehren kann. Obwohl der Schritt weithin als mögliche Quelle für Streit zwischen Ankara und Moskau interpretiert wird, bleibt die Montreux-Konvention ein entscheidendes Dokument, das aber auch den Zugang der NATO und der westlichen Seestreitkräfte zum Schwarzen Meer in Friedenszeiten wirksam einschränkt.

Die türkische Regierung überlegt seit Jahren, parallel zur Bosporus-Meerenge einen Kanal zum Schwarzen Meer zu bauen, um ihre eigene Position gegenüber anderen Anrainerstaaten wie Russland und der Ukraine in der Region zu verstärken.

Offenbar betrachtet man allerdings in der türkischen Regierung den Ukraine-Krieg mit Sorge und hofft, dass die Lage nicht weiter angeheizt wird, wodurch aus dem Ukraine-Krieg etwa eine Konfliktzone am ganzen Schwarzen Meer werden könnte. Insofern ist Präsident Erdoğan zurückhaltend in seiner Strategie, da er es sich einerseits nicht mit dem russischen Präsidenten Putin verderben, zum anderen auch die Verbindungen in die Ukraine nicht aufs Spiel setzen will.

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